Vorbericht:Das Leid der Welt

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Über die Performance-Plattform "Wilde Tendenzen"

Von SABINE LEUCHT, München

Maximal 30 Minuten sollen die Beiträge dauern, aus denen der Choreograf Manfred Kröll für die "Wilden Tendenzen" abendfüllende Pakete schnürt. Das ist nicht einfach, den Kröll kennt die Stücke meist nur aus der Konserve, und ob sie auch ihrer Intensität nach zusammenpassen, zeigt sich erst, wenn das erste Päckchen mittwochs und donnerstags und das zweite am Wochenende auf die Bretter des I-Camp kommt. Bei "All about sex" 2011, sagt Kröll, hatte er "zu 100 Prozent ein gutes Gefühl"; zwei Tage vor dem Start von "H.E.L.P." ist er immerhin nah dran.

Das Mitglied der Choreografenvereinigung "Tanztendenz", das die kleine Biennale 2009 aus der Traufe gehoben hat, um der Frage nachzugehen, wie Performer und Choreografen sich mit schwelenden Problemen auseinandersetzen, hat diesmal das ganze Bündel im Visier: den Globalisierungsdruck, Kriege, Folter, Waffenmacht und Waffenhandel. Und weil der Hilfeschrei, dessen Versalien der Yogalehrer mit positiven Gedanken auflädt - H.E.L.P. meint hier auch "Human Earth Love People" - überall gehört werden sollte, wurde die Ausschreibung erstmals in viele Sprachen übersetzt. Aus dreißig eingegangenen Bewerbungen hat Kröll dann "sehr emotional" ausgewählt. Denn wichtiger als "das Bild" ist ihm das Anliegen.

Drei "Heimspiele" und vier Gastspiele hatten offenbar eines. So dass man mit einer Nah- und einer Fernsicht auf den Krieg konfrontiert wird und überdies erfährt, was aus Mey Seifans "Zerstörung für Anfänger 1" geworden ist, nachdem jetzt ein "reloaded" am Titel hängt. Bei der Uraufführung jedenfalls glich die als "work in progress" angelegte Auseinandersetzung der syrischen Choreografin mit dem Bürgerkrieg in ihrem Land einer bunt kostümierten Erklärungsverweigerung. Doch die Wahlmünchnerin, deren Familie in Syrien lebt, ist so nah am dortigen Geschehen, dass jede Haltung legitim ist. Anders bei Lucas Hillen, der aus Amsterdam nur eine Fernsicht auf kriegerische Auseinandersetzungen anbieten kann. Hillen, der schon 2013 geladen war, bringt mit "A journey into" eine Aufführung mit nach München, die laut Kröll "viel Wahres erfühlt".

Die Tänzerin und Choreografin Yvonne Pouget, deren Solo "Die Auslöschung" den zweiten Teil eröffnet, spiegelt vor allem in ihrem Gesicht die Antworten auf die Frage, was nach Folter vom Menschen übrigbleibt, während das Kollektiv "My Sisters' Collected Fantasies" eine für zeitgenössische Tanzschulen typische metaphorische Herangehensweise pflegt: Mikrofone fungieren in "POP" als Waffen, woraus sich laut Kröll "zwölf Minuten geballte Aktion" ergibt, auf die mit Bianca Mendonzas "Continuum" die leiseste Arbeit folgt: eine tänzerische Skizze, so berührend wie ein im KZ abgelegter Blumenstrauß. Enden aber werden die "Wilden Tendenzen" wieder wild: Denn "Deal in the desert" der "Elektroschuhe" aus Berlin scheint es zu schaffen, auf leichte Art über das Thema Waffenhandel zu performen. Weswegen Yogi Kröll von "einem kleinen Licht am Ende" seiner vierten Performance-Plattform schwärmt.

Wilde Tendenzen , Mi. und Do., 15. und 16. Juli, Sa. und So., 18. und 19. Juli, 20.30 Uhr, I-Camp, Entenbachstraße 37

© SZ vom 15.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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