Berlinale 2011:Wie in einem schlechten Krimi

Ein deutscher Regisseur hat einen Film über den Kreml-Kritiker Michail Chodorkowskij gedreht, das Werk soll bei der Berlinale Premiere feiern. Doch jetzt wurde es geklaut - und der Regisseur hat Angst.

Thorsten Schmitz

Cyril Tuschi klingt aufgeregt, er redet schnell. Am 14. Februar soll sein Dokumentarfilm über den russischen Regimekritiker Michail Chodorkowskij auf der Berlinale Weltpremiere feiern. Seit ein paar Tagen allerdings hat der Regisseur das Gefühl, Hauptdarsteller zu sein in einem Film - unfreiwillig. "Es ist wie in einem schlechten Krimi", sagt Tuschi. Er wohnt zur Zeit bei Freunden und sagt: "Man will mir Angst einjagen, und ich muss sagen, das ist ihnen gelungen."

Michail Chodorkowski vor Gericht, 2004

Chodorkowskij war einmal der reichste Mann Russlands, heute sitzt er im Gefängnis. Nun berichtet er von dort für die russische Wochenzeitung The New Times.

(Foto: AP)

In der Nacht auf Freitag sind die Berliner Produktionsräume von Tuschi verwüstet worden. Zwei Laptops und zwei PCs wurden gestohlen, darauf war die 111-minütige Endfassung des Films gespeichert. Die Polizei spricht von "hochprofessionellen Einbrechern". Es ist bereits das zweite Mal, dass Tuschi Computer gestohlen wurden, zuletzt vor ein paar Wochen auf Bali, wo der Regisseur in einem Hotelzimmer seinem Berlinale-Beitrag den Feinschliff verpassen wollte.

Tuschi sagt: "Ich bin total durch den Wind." In Russland herrsche eine "Hysterie so kurz vor der Premiere". Die Wirtschaftszeitung Kommersant druckte am Wochenende auf der Titelseite einen Bericht, dass der Film juristische Folgen haben werde für die Gesprächspartner. Chodorkowskijs Ex-Frau Elena, die in dem Film zu Wort kommt, schrieb Tuschi am Sonntag aus Sorge eine E-Mail: "Es war ein Fehler, dass Du russischen Journalisten ein Interview gegeben hast."

In fünf Jahren hat Cyril Tuschi 180 Stunden Interviews gesammelt, in Moskau, Tel Aviv, London, New York, Sibirien und in Berlin. Sein Film blickt hinter Putins Propagandamaschine und zeigt, wie Russlands einst reichster Mann zum Staatsgegner und Sträfling wurde. Chodorkowskijs Mutter und sein im New Yorker Exil lebender Sohn kommen zu Wort, der ehemalige Großaktionär des Yukos-Ölkonzerns, Leonid Newslin und Ex-Bundesaußenminister Joschka Fischer. Der erzählt von einer seltsamen Begegnung mit Russlands damaligem Präsidenten in Hamburg, bei der Putin geprahlt habe, wie Yukos ungeschoren vom Staat geschluckt werden könne.

Der Sträfling, der mindestens bis 2017 inhaftiert bleibt, kommt sogar selbst zu Wort. Es ist das einzige echte Interview in sieben Jahren mit dem Ex-Oligarchen, eigentlich sind ihm nur schriftliche erlaubt. An einem Prozesstag hatte sich Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zwei Minuten mit Chodorkowskij unterhalten, spontan hatte Tuschi den Richter anschließend um eine Interviewerlaubnis gebeten - und bekam zehn unbezahlbare Minuten. Das Gespräch zeigt einen Mann, der stark wirken möchte, der aber auch zugibt: "Ich hatte die naive Vorstellung, dass es in Russland Gerechtigkeit gibt."

Tuschi sagt, er glaube nicht, dass der russische Geheimdienst hinter den Diebstählen stehe. "Das wäre zu stillos." Seine russischen Gesprächspartner hätten ihm allerdings geraten, er müsse jetzt in Deutschland um Personenschutz bitten. Sie meinen es ernst. Sie selbst haben sich inzwischen entschieden, nicht zur Weltpremiere nach Berlin zu kommen. Die kann wie geplant stattfinden: Nur wenige Stunden vor dem Einbruch hatte Tuschi eine frühere Version des Films an die Panorama-Sektion der Berlinale gesendet.

Cyril Tuschi, dessen russischstämmige Eltern wie er selbst in Deutschland geboren sind, ist jetzt vorsichtiger geworden. "Ich wollte eigentlich einen Spielfilm über Assange machen, aber das lass' ich jetzt erst mal. Ich werde wohl einen Fantasyfilm drehen."

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