Von Trinidad nach London:Nachrichten aus der Karibik

Samuel Selvon gilt als geistiger Vater von Zadie Smith: Jetzt erscheint sein Debütroman erstmals auf Deutsch.

Von Christoph Bartmann

Es fängt damit an, dass Tiger und Urmilla heiraten. Oder eigentlich: verheiratet werden. So, wie es bei einer traditionsstolzen indischen Sippe im Trinidad der Vierzigerjahre Brauch ist. Braut und Bräutigam, beide fast noch Kinder und einander völlig unbekannt, sollen fortan als Mann und Frau unter einem Dach zusammenleben und möglichst bald auch die "Ehe vollziehen". Tiger ist überfordert. Für Ratschläge von Rita, der lebensklugen Nachbarin, ist er dankbar. Urmilla dagegen braucht keine Nachhilfe, nicht, weil sie mehr wüsste, sondern, weil sie sowieso nichts wissen muss.

Von Rasse, Klasse und Geschlecht im spätkolonialen Trinidad erzählt Samuel (oder Sam) Selvon in seinem frühen Roman "A Brighter Sun" von 1952, der jetzt unter dem Titel "Eine hellere Sonne" erstmals auf Deutsch erscheint.

Die hellere Sonne des Romans leuchtet denen, die sich wie Tiger auf den Bildungspfad begeben: vom Zuckerrohrschneider zum Gemüsebauern, später dann zum Arbeiter im Straßenbau, der lesen und schreiben lernt und allerlei frühreife Frage an die Welt hat, schließlich zum Autor einer Kurzgeschichte, die vielleicht sogar einen Preis des Trinidad Guardian gewinnen wird. Es gibt Entwicklungen auf der Insel, allen voran der Highway-Bau der Amerikaner während des Krieges, die ungeahnte Dynamik in Tigers Leben bringen. Nicht aber in das seiner Frau. Die Bildungschancen, die Selvons seiner aufgeweckten Hauptfigur zuteilwerden lässt, gehen an Frauen wie Urmilla gänzlich vorbei.

Die Kapitel leitet Selvon gerne mit vermischten Meldungen ein. "Als sich im April 1944 die Wolken des Krieges lichteten", heißt es einmal, "sprossen in der Northern Range die gelben und violetten Blüten des Palisanders wie verrückt und tauchten als Kleckse in der braunen Hügellandschaft auf." Als sei er der Erstbeschreiber einer bis dahin unbeschriebenen Welt (und er ist es ja tatsächlich), will Selvon alles aufzeichnen und festhalten, was das Leben der Menschen auf Trinidad ausmacht. Die Leser sollen Trinidad verstehen lernen, weil er ihnen sein Land erklärt. Etwa den Umstand, dass die Chinesen hier wie anderswo am liebsten Wäschereien oder Lebensmittelgeschäfte betreiben.

Das britische Publikum, für das Selvon schrieb, hatte wohl tatsächlich von Trinidad wenig Ahnung

Selvon erklärt wohl deshalb so viel, weil seinen Lesern die Welt von Trinidad unbekannt ist, jedenfalls nicht mehr vor Augen steht. Selbst Spross einer indischen Familie aus Trinidad, ging Selvon 1950 als junger Mann nach England, im selben Jahr wie sein jüngerer Landsmann V. S. Naipaul. Der hatte für Selvons literarische Leistung nur ein vergiftetes Lob übrig. In ihrem klugen Nachwort zitiert Sigrid Löffler Naipauls Satz: "Selvons Begabungen mögen unwichtig gewesen sein, aber sie sind kostbar." Ein typischer Naipaul: ziemlich gemein, aber nicht ganz falsch. Bestimmt ist Selvon kein Schreiber von Naipauls Statur - dafür ist er zu liebenswürdig, zu gutmütig. "Kostbar" ist an Selvon vielleicht aber etwas anderes. Er hat, sprachlich und thematisch, den Weg gewiesen für eine Literatur der karibischen Diaspora, in London, New York und anderswo. Jahrzehnte vor dem Siegeszug des "hybriden", "postkolonialen" Schreibens aus dem "globalen Süden" hat Selvon seiner Insel zu einer literarischen Artikulation verholfen, die es bis dahin nicht gab.

Das britische Publikum, für das Selvon nach seiner Ankunft in London schrieb, hatte wohl tatsächlich von Trinidad wenig Ahnung. Die karibische Community in den großen Metropolen mag an Selvons Roman die präzise Rekonstruktion einer schon verschwundenen Herkunftswelt geschätzt haben. Bei aller Wertschätzung, die auch heutige Leser bei der Erstbegegnung mit dem Roman teilen können, bleibt Naipauls Verdikt an ihm hängen. Ja, man wird den Eindruck einer etwas biederen Schullektüre nicht ganz los - und tut dem Buch damit womöglich unrecht. Immerhin ist es gerade als Schulbuch zu einem Teil des englischsprachigen Literaturkanons geworden. Selvons eigentliche Leistung liegt indessen aber wohl gar nicht im Feld des Erzählten, sondern im Erzählen selbst.

Er hat, vielleicht als Erster, das Trinidadian Creole, und überhaupt das karibische Englisch literaturfähig gemacht. In Selvons dialogreichem Roman lässt sich das auch als sprachliche Reifung seines Protagonisten nacherleben. Erst noch äußerst eingeschränkt in seinem Ausdrucksschatz, mausert er sich später zum Rhetor, der am Ende des Romans seine verdutzte Frau schon wie folgt belehren kann: "Du machst dich impertinent. Du steigst auf das hohe Ross zum Indignieren." Die deutsche Übersetzung von Miriam Mandelkow gibt sich alle Mühe, Selvons Dialoge nachzuvollziehen. Da sind die Leute gerne mal "mucks und dösig", oft ist man auch einander "grant", entweder, weil einer "gediebt" hat, oder weil ein Mann "gehörnert" wurde. Die Irritation, die man angesichts solcher Übersetzungslösungen erlebt, ist produktiv. Denn irritierend muss auch Selvons Sprache auf seine zeitgenössischen Leser gewirkt haben; und in dieser Irritation liegt wohl der bleibende Wert dieses Romans.

Samuel Selvon: Eine hellere Sonne. Roman. Aus dem Englischen von Miriam Mandelkow. Mit einem Nachwort von Sigrid Löffler. dtv, München 2019. 252 Seiten, 22 Euro.

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