Von der Kunst, ein Buch nicht zu verkaufen:Der blasse Neid

Elfriede Jelinek schreibt einen "Privatroman" und stellt ihn ins Netz - und zwar nur dorthin: "Irgendwas muss die Kultur ja endgültig umbringen."

Burkhard Müller

Das Besondere an Elfriede Jelineks neuem Roman "Neid", das wird schon nach der Lektüre der ersten Seiten klar, besteht nicht in seinem Stil oder Stoff. Sondern hier erblicken wir: Eine Ich-Erzählerin, berühmte Geigerin, nicht mehr ganz jung, die von sich selbst sagt, sie sehe keine Nachfolgerin, beziehungsweise, sie sehe nur noch Nachfolgerinnen, die zu bekämpfen sie entschlossen sei; ferner erblicken wir einen ehemals vom Erzabbau lebenden Ort in den österreichischen Alpen, der jetzt, obwohl er eigentlich nur Hotels vom Substandard D aufweist, auf den Tourismus setzen will.

Jelinek

Elfriede Jelinek schreibt einen neuen Roman - im Netz.

(Foto: Foto: dpa)

Und wir hören: "Aber wenn etwas bleiben soll, muss ihm etwas geboten werden, und das ist nicht einfach bei Menschen, die sich um Gebote nicht scheren", und: "Kulturtage gibt es inzwischen überall, auch innerhalb der Berge, denn irgendwas muss die Kultur ja endgültig umbringen, damit nicht wir sie mit unserer Umarmung ersticken, doch wenn sie bloß ihre Tage hat, stirbt sie deswegen noch nicht."

Ein Roman?

Schon nach kürzester Lesestrecke wird niemand diesen Text für etwas anderes halten können als für einen Roman von Elfriede Jelinek. Das Besondere dran besteht lediglich in der Art seiner Präsentation. Als "Privatroman" ist er auf der Homepage der Autorin angekündigt. Und man fragt sich, was das heißen soll: Denn wenn er privat ist, ist er eben kein Roman, insofern Literatur zwar aus und an privaten Erfahrungen erwächst, aber daraus etwas macht, was Anspruch auf allgemeine Genießbarkeit erhebt. Unterlässt er diesen Übergang, darf von allem möglichem die Rede sein, vom Dokument, vom autobiographischen Bericht, aber eben nicht vom Roman.

Es scheint, als sollte es die Publikationsform sein, die dieses widersinnige "privat" zu rechtfertigen hat: Ausschließlich im Internet soll man den Roman lesen können; die ersten zwei Kapitel kann man bereits abrufen (www.elfriedejelinek.com). Nun hält das Internet zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen eine schwer bestimmbare Mitte, ja es ließe sich sagen, gerade diese Unbestimmbarkeit bilde seine hervorstechendste Qualität.

Keine Gegenrede

Ein Blog, ein Chatroom stehen, trotz ihrer intimen Unbedachtheit, dem Besuch durch Millionen offen, und wiederum Millionen, wenn sie wollen, können die Gegenrede vernehmen oder vermehren, die in vielen Fällen zulässig, ja erwartet ist.

Mit Gegenrede allerdings rechnet Jelinek offenkundig nicht. Der Text, den sie ins Netz gestellt hat, ist, ganz wie jedes andere Buch auch, ein langer Monolog der Verfasserin. Auch dass diese es sich ausdrücklich vorbehält, bereits Geschriebenes wieder abzuändern, dass sie also keine Bestandsgarantie für das geben will, was man gerade liest, macht die Veranstaltung nicht buchferner oder privater; die Autorin veranstaltet damit bloß eine Art vorgezogener kritischer Ausgabe ihrer selbst.

Für den Leser ergeben sich vor allem zwei bedeutsame Unterschiede zum gebundenen Buch: Erstens, das Ganze kostet nichts. Das ist gut. Zweitens, man muss es selbst herunterladen und drucken. Das ist schlecht.

Denn aus dem Drucken resultiert ein langwieriger Blattsalat (allein das erste Kapitel umfasst 84 Seiten), unter Umständen noch verlängert durch Papierstau oder Tonerversagen, und was man zum Schluss in der Hand hält, schenkt kein handlich sinnliches Vergnügen, sondern ein vollgemülltes Wohnzimmer, jedenfalls dann, wenn der Wind in die Loseblattsammlung fährt, die wohl kaum jemand zum Buchbinder tragen dürfte.

Kann die Autorin diese unbequemen Effekte wünschen? Sie wird, so darf man vermuten, irgendwann und irgendwie auch dieses Buch verkaufen wollen. Und ob sie den Unlustfaktor bei der Lektüre tatsächlich so leichterhand erhöhen möchte, wie sie es hier tut, das sollte sich vielleicht gerade Elfriede Jelinek genau überlegen.

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