"Vollblüter" im Kino:Mörderische Pferdemädchen

  • Cory Finleys erster Kinofilm "Vollblüter" basiert auf seinem gleichnamigen Theaterstück.
  • Zwei Mädchen planen darin den Mord am Stiefvater der einen.
  • "Vollblüter" könnte ein Indie-Juwel mit interessanten weiblichen Hauptfiguren sein, lässt einen beim Zuschauen aber erstaunlich kalt.

Von Kathleen Hildebrand

Die Frage, was Frauen tun, wenn sie allein miteinander sind, ist ein Mysterium, das von Ingmar Bergmans "Persona" bis zu Peter Jacksons "Heavenly Creatures" ein regelrechtes kleines Subgenre an Kinofilmen inspiriert hat. Worüber sprechen sie, die Frauen, drehen sie durch, wenn niemand auf sie aufpasst? So was scheinen sich die meist männlichen Filmemacher zu fragen. Und: Ist das nicht auch ein bisschen gefährlich?

Cory Finleys erster Kinofilm "Vollblüter" basiert auf seinem gleichnamigen Theaterstück, und ungefähr im zweiten Akt gibt es eine Szene, in der diese männliche Sorge ganz wunderbar Gestalt annimmt. Seine Protagonistinnen Lily und Amanda üben vor dem Fernseher künstlich zu weinen, sie hecheln und schluchzen und sprechen dabei in sehr hoher Stimmlage. Bis plötzlich Lilys Stiefvater Mark im Zimmer steht, sich räuspert und Amanda sehr dringend nach Hause schicken will. "Meine Mutter holt mich um Mitternacht ab", sagt Amanda. "Das ist ein bisschen spät für uns, ruf sie doch an, damit sie dich jetzt gleich abholt." - "Das geht nicht, sie ist beschäftigt." - "Beschäftigt womit?" - "Chemotherapie." Da eine Krebserkrankung von Amandas Mutter im restlichen Film keine Erwähnung findet, muss man wohl davon ausgehen, dass letzteres eine ziemlich kaltschnäuzige Lüge ist.

Amanda ist die aus einer etwas weniger reichen Familie stammende Sandkastenfreundin der aus sehr reichem Haus stammenden Lily. Vor Jahren hat sie ihr Pferd umgebracht, war deshalb in der geschlossenen Psychiatrie und soll sich nun wieder ins normale Teenagerleben integrieren, wofür wiederum Lily sich von Amandas Mutter bezahlen lässt. Hier zeichnet sich schon ab, dass wahrscheinlich nicht nur eine der beiden genug Gesprächsstoff für eine längere Psychoanalyse hätte, aber die ehrgeizige Preppy-Prinzessin Lily denkt noch, dass das eben Kapitalismus ist. Richtig Lust auf Nachmittage mit dieser irren Pferdemörderin hat sie nämlich nicht.

Lily und Amanda sind kalt, aber viel mehr sind sie nicht

Doch das ändert sich schnell. Als Amanda ihr nicht nur offenbart, dass sie keine Gefühle hat, sondern auch mit ruhiger Stimme fragt, warum Lily ihren verhassten Stiefvater nicht einfach umbringt, beginnt Lilys Über-Ich zu bröckeln. Ein paar Tage später heuern die Mädchen den Stadtviertel-Kleinkriminellen und Gelegenheitsdealer Tim (der verstorbene Anton Yelchin in einer seiner letzten Rollen) als Auftragskiller an. Und das ist noch längst nicht das Ende der Teenagergrausamkeiten, die Cory Finley zu avantgardistisch-archaischer Trommelmusik im musealen Interieur von Lilys Anwesen inszeniert.

"Vollblüter" könnte also ein jeden Bechdel-Test bestehendes Juwel von einem Indie-Schocker sein. Aber trotz der sparsamen, konzentrierten Erzählweise und sehr guter Schauspieler lässt er einen beim Zuschauen bemerkenswert kalt. Was wahrscheinlich daran liegt, dass Lily und Amanda beide genau das sind, aber eben nicht viel mehr. Cory Finley war vielleicht ein bisschen zu verliebt in die Idee zweier hübscher, enigmatischer junger Psychopatinnen, als dass er die Gefühllosigkeit der beiden auch nur ansatzweise psychologisch erklären würde. Schwelgerische Kamerafahrten über vergoldete Barockuhren und Vintage-Sportwagen sollen als Begründung reichen (die bösen privilegierten Schichten!), aber sie tun es nicht. Auch um einen misanthropischen Milliardenerben wie Lilys Stiefvater zu ermorden, bräuchte es einen Grund. Zumindest für die Kinozuschauer.

Thoroughbreds, USA 2017 - Regie und Buch: Cory Finley. Kamera: Lyle Vincent. Mit: Olivia Cooke, Anya Taylor-Joy, Anton Yelchin. Universal, 90 Min.

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