Süddeutsche Zeitung

Volkstheater München:Weltstadt mit Herzschmerz

Herbert Achternbuschs Stück "Dogtown Munich" ist ein finales Bekenntnis zu München, wo es auch spielt und nun uraufgeführt wurde.

Von Christine Dössel

Herbert Achternbusch ist Münchner durch und durch. Mochte er sich in seinen spinösen Stücken und Filmen noch so sehr von der Heimat wegsehnen, sich nach Grönland träumen wie in "Servus Bayern" (1978), die amerikanische Prärie durchstreifen wie in "Hick's Last Stand" (1990), sich in griechisch-mythologische Gefilde wie den Hades verziehen oder sich als Toter vom Viktualienmarkt wegbeamen: "Ab nach Tibet!" (1984) - weit über Bayern kam Achternbusch dabei letztlich nie hinaus. Noch im hintersten Weltwinkel entdeckte der ewig Fortstrebende ein "Andechser Gefühl", so ein spezielles Heim- und Heimatweh, grundiert von der Sehnsucht nach Bier und Leberkäs. Am Ende war er doch wieder nur: in München.

Wenn sein jüngstes, am Münchner Volkstheater uraufgeführtes Stück "Dogtown Munich" nun auf dem Marienplatz spielt, also im Zentrum jener Weltstadt mit Herzschmerz, die schon immer der Dreh- und Angelpunkt seines Sehnens war, dann ist das wie eine finale Ankunft. Ein Bekenntnis auch. Und das Stück eine Art Vermächtnis noch zu Lebzeiten.

Der Münchner Marienplatz also. Baulärm, Japaner, Glockengebimmel. Erst hält Herkules einen Monolog über die Stadt Argos, dann tritt ein achtjähriges Mädchen auf und redet neunmalklug daher: "Schön wäre es, wenn wir was zu glauben hätten. Nicht an das, was in den Kirchen herumhängt, nicht an die Tempel des Geldes, nicht an die Tonnen der umkommenden Natur. Natürlich auch nicht an die Beschränktheit der Menschen, die immer vorhanden ist." So in der Art.

Das Mädchen nennt sich Zunge. Darauf ein Mann, der später als Theaterdirektor entlarvt wird: "Nun, wenn du Zunge heißt, dann müsste ja meine Freundin Arschloch heißen." Wesentlich zum Dada-Dialog tragen außerdem die "Ältere" und die "Jüngere" bei, Mutter und Tochter, wobei die "Jüngere" klagt, in ihr sei "nur ein Verhau, der umgerührt wird", während die "Ältere" ihr Leid in und mit der Oper ausbreitet. Auch ein Schauspieler tritt auf. Er behauptet, München sei vom Monaco Franze gegründet worden. Später wird Maria von der Mariensäule herabklettern, ihre Hitler-Liebe bekunden und als Gottesmutter abdanken mit den Worten: "Mein Herz ist ein blutiges Schnitzel."

Wie inszeniert man das? Pınar Karabulut, geboren 1987, weiß es: so assoziativ und spinnert wie möglich. Wie einen abgefahrenen Achternbusch-Traum. Den Nonsens,bairisch: Schmarren, nur ja nicht interpretieren wollen! Die junge Mönchengladbacherin mit türkischen Wurzeln hat in München studiert, kennt den Genius loci gut genug, um heiter-ironisch - nicht folkloristisch, vielmehr schrill-hysterisch - mit Klischees und Varia aus Bavaria zu operieren. Karabulut lässt Achternbuschs krude-poetisches Dialog-Konglomerat auf einer schmalen Schneise zwischen den Zuschauern spielen, darüber hängt ein Leuchtstoffring. Die eigentliche Spiel- oder besser: Tanzfläche ist jedoch der Text selbst. Vier junge Schauspieler (Julia Richter, Moritz Kienemann, Leon Pfannenmüller und Timocin Ziegler) schmeißen sich auf das Stück wie in eine Faschingsparty, machen Loopings in der Achternbuschbahn, tanzen, zappeln, hampeln in immer neuen Verkleidungen (oft aus dem Siebzigerjahre-Fundus) durch die Szenen, wirken mal wie im Impro-Workshop, mal wie im Techno-Club, und wenn Maria zuckend eine Weißwurst gebiert, ist das wie ein Exorzismus. Die originelle Musik zu der szenischen Spinnerei stammt von Daniel Murena: Elektro-Rock goes Glockenspiel.

Es herrscht an diesem überenergetischen Abend eher der Spirit einer Drogenparty als der sanfte Irrwitz eines Bierrausches. Aber zu sehen, wie der gute alte Achternbusch die Jugend inspiriert, ist schön.

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Quelle:
SZ vom 14.02.2017
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