Süddeutsche Zeitung

Volksbühne:Charme lass nach

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Der umstrittene Kulturmanager Chris Dercon stellt sich in Berlin einer Diskussion.

Von Mounia Meiborg

Man möchte in diesen Tagen nicht Chris Dercon heißen und in Berlin auf einem Podium sitzen. Viel Kritisches ist über seine Ernennung zum Intendanten der Berliner Volksbühne gesagt und geschrieben worden. Und seit Mitarbeiter des Theaters in einer Verlautbarung den Wechsel als feindliche Übernahme beschrieben, geht es mitunter auch schmutzig zu.

Dercon sieht mitgenommen aus. Offiziell soll es bei der Diskussion im Berliner Rathaus vor handverlesenem Publikum um "Die Zukunft der Kulturmetropole Berlin" gehen. Doch natürlich wollen alle wissen, was Dercon mit der Volksbühne vorhat - und ob er seine Zusage inzwischen bereut. Nein, sagt er. "Berlin ist in Europa die Hauptstadt der Selbstbeobachtung, das habe auch ich in den letzten Monaten zu spüren bekommen." Mehrmals klagt er über die Berichterstattung und empfiehlt Journalisten fact checking. Eine Zeitung hatte fälschlicherweise von 50 Entlassungen an der Volksbühne berichtet.

Karg und wolkig bleiben Dercons Angaben zu seinen Plänen für die Volksbühne, ins Detail geht er nicht - was, wenn man wohlwollend sein will, daran liegen kann, dass er sich das Podium und die Zeit mit drei Gesprächspartnern teilt. "Die größte Frage ist für mich in Berlin nicht mehr das Zusammenwachsen Ost und West, sondern: Was passiert mit der türkischen Gemeinschaft?" Was genau ihn an der türkischen Community interessiert, lässt er allerdings offen. Ebenso wie die Frage, warum eigentlich der Flughafen Tempelhof bespielt werden soll.

Mit dem Sprechtheater scheint Dercon nach wie vor zu fremdeln. Seine Feststellung, in Berlin gebe es überall Sprechtheater, "zum Beispiel dieses Podium", verwundert mehr, als sie aufklärt. Die Stadtentwicklung scheint ihm ein Anliegen zu sein. Berlin solle von den Fehlern lernen, die Städte wie London, Paris und Barcelona gemacht hätten, und die jetzt unbezahlbare, touristische Innenstädte hätten. Dercon fordert bezahlbaren Wohnraum und erhält Beifall.

Er fährt an diesem Abend eine doppelte Strategie: Einerseits setzt er auf Umarmungen - wieder einmal lobt er den Regisseur René Pollesch und den 2015 verstorbenen Bühnenbildner Bert Neumann, den er als "Stadtarchitekten" bezeichnet. Anderseits wehrt er sich gegen Angriffe. Der charmante belgische Museumsmann ist ein bisschen weniger charmant als sonst. Zu einem Berliner Theaterintendanten passt das aber eindeutig besser.

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Quelle:
SZ vom 23.07.2016
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