Gedicht von Vladimir Nabokov wiederentdeckt:Supermans Hochzeitsnacht

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Vladimir Nabokov 1975 in der Schweiz. Dorthin zog er 1961 nach dem Skandal um seinen Roman "Lolita". (Foto: Imago)

Als Vladimir Nabokov einmal aus den Comics seines Sohnes ein Gedicht machte, wurde das ein Misserfolg. Jetzt ist das Werk wieder aufgetaucht.

Von Willi Winkler

Im Frühsommer 1942 erwuchs Vladimir Nabokov ernsthafte Konkurrenz. Sein Sohn Dimitri, gerade acht geworden, hatte selber zu schreiben begonnen. Überliefert ist die "Anekdote" nicht, aber sie handelte von einer Mutter, die ihr Kind verprügeln muss, ihm aber vorher Lachgas verabreicht.

Soweit bekannt, haben die Eltern ihren Sohn, der später ein mittelberühmter Bass werden sollte, nicht übermäßig geprügelt. Die Familie lebte damals seit zwei Jahren in den USA und versuchte zu überleben. Nabokov fand Beschäftigung als Entomologe am New Yorker Museum für Naturgeschichte und arbeitete an einer Gogol-Biographie. Manchmal las er dem Sohn vor, Gogols surreale Erzählung "Die Nase". "Er lachte sehr", konnte Nabokov seiner Frau melden, "aber Superman mag er lieber."

Noch ein Konkurrent also, Superman, ein Comic-Held, und Nabokov war doch Schriftsteller, der sich auf dem amerikanischen Markt erst durchsetzen musste. "Komisch", schrieb er an seinen Bewunderer Edmund Wilson, "da kann man besser Russisch als jeder lebende Mensch - wenigstens in Amerika, - und mehr Englisch als jeder Russe in Amerika, - und dann hat man solche Schwierigkeiten, an der Universität eine Stelle zu bekommen." Nabokov hatte inzwischen einen bescheidenen Lehrauftrag am Wellesley College ergattert und quälte sich damit, "eine mir neue Sprache zu handhaben". Der New Yorker forderte ihn auf, ein paar Gedichte einzusenden. Nabokov sandte "The Man of To-morrows's Lament" und bat um ein Honorar, "das meiner russischen Vergangenheit und meinen gegenwärtigen Qualen möglichst genau entspricht". Die Redaktion lehnte das Gedicht ab, es galt als verschollen, bis es jetzt, nach fast achtzig Jahren, unvermutet wieder auftauchte.

Wenn er seine Lois heiraten würde, käme das einem Erdbeben gleich

Dieses Gedicht, das das Times Literary Supplement mit einem Begleittext des russischen Gelehrten Andrej Babikov bekannt macht, wird den Blick auf Nabokovs Werk nicht gleich verändern. Es bietet aber einen Nabokov, mit dem niemand gerechnet hätte: Der Feingeist hat die triviale Literaturgattung nicht als Schund abgetan, sondern sie als Material genutzt. Comics waren für Neubürger, die wie Billy Wilder und Fritz Lang und auch Nabokov aus Berlin geflohen waren, eine Möglichkeit, den Geist der zunächst fremden Sprache zu erfassen. Babikov kann nachweisen, dass Nabokov ein ganz bestimmtes Heft vor Augen hat, wenn er den Stoßseufzer von Lois zitiert, der ihr an Clark Kents Arm entfährt, als sie beim Spaziergang des Denkmals für Superman, den todesmutigen Retter, ansichtig wird: "Oh, Clark ... Isn't he wonderful!?!"

Nabokov hält sich gar nicht erst mit den Wundertaten des Kraftlackels auf, sondern lässt Superman ausgiebig seine Doppelnatur beklagen. Er mag - "in rotem Mantel, blauer Hose vor gelbem Himmel" - über die Dächer fliegen und Schurken unschädlich machen, im Umgang mit Lois Lane muss er eine mickrige, bebrillte Existenz als Journalist führen. Jung und voll im Saft sei er, doch wenn er seine Lois heiraten würde, käme das einem Erdbeben gleich, das Hotelzimmer würde er in der "Nacht der Nächte" verwüsten und ein halbes Dutzend Militärlastwagen dazu (die USA stehen 1942 bereits im Krieg). Der Dichter kriegt gar nicht genug von seinem Begattungsrausch, den sich Superman versagen muss, malt sich ein dabei entstandenes "monströses Baby" aus, das er mit acht Jahren schon zum Feind hätte. Das war mehr, als sie beim New Yorker verkraften wollten. Dabei ist der Schluss des Klagelieds weit schlimmer, endet es doch mit dem deprimierendsten Wunsch, den je ein Übermensch geäußert hat: "Ich schau weg und wäre so gern ganz normal."

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