Ravel, Britten und Debussy in München:Walzer für den Frieden

Ravel, Britten und Debussy in München: Voller Wunder: die französische Sopranistin Sabine Devieilhe.

Voller Wunder: die französische Sopranistin Sabine Devieilhe.

(Foto: Anna Dabrowska)

Vladimir Jurowski dirigiert einen Antikriegsabend mit der Sopranistin Sabine Devieilhe im Münchner Nationaltheater.

Von Reinhard J. Brembeck

Der Bass hält bis zuletzt durch, gegen alle Katastrophen, die um ihn herum geschehen, die selbst die Melodiefragmente zunehmend angreifen, zersetzen, malträtieren. Der Erste-Weltkriegs-Teilnehmer Maurice Ravel hat mit "La valse" 1920 eine Totentanzphantasmagorie geschrieben, die sich zunehmend in einem grotesken Wahnsinn verrennt, der der für solcherlei Spuk anfälligen Fantasie E.T.A. Hoffmanns entsprungen zu sein scheint. Ja, es herrscht wieder Krieg in Europa. Doch Ravel, der einen der furchtbarsten überlebt hatte, war sich vor 100 Jahren komponierend sicher, dass Kultur und Gesellschaft - der Walzer ist der Gesellschaftstanz par excellence - überstehen werden. Und so dirigiert Vladimir Jurowski "La valse" im Münchner Nationaltheater, voller Erschrecken und von seinem Staatsorchester als virtuoses Klangzaubergewebe gespielt.

Der Abend beginnt im Zeichen des Ukraine-Kriegs, die Farben Hellblau und Gelb leuchten über dem Orchester. Jurowski dirigiert zu Beginn, er hat das schon vor einer Woche in Berlin gemacht, die romantisch-pathetische Nationalhymne der Ukraine, so ziemlich alle erheben sich, dann spricht er. Jurowski wurde 1972 in Moskau geboren, hat in Deutschland gelernt, lang in England gearbeitet, ist seit dieser Spielzeit Musikchef der Bayerischen Staatsoper und hat Wladimir Putin oft kritisiert. An diesem Abend ist Jurowski sichtlich und hörbar erregt ob des von diesem geführten Kriegs, er nennt ihn einen brutalsten Angriff, spricht von den Flüchtlingen, zitiert den Anfang der 1862 entstandenen Hymne ("Noch sind Ruhm und Freiheit der Ukraine nicht gestorben"). Jurowski nennt Putin wahnsinnig und einen Diktator, der einen Genozid begehe, nicht nur an den Ukrainern, auch an seinen jungen Soldaten.

Ravel, Britten und Debussy in München: Nach einer leidenschaftlichen Rede gegen den Krieg in der Ukraine fand Jurowski zur Musik zurück.

Nach einer leidenschaftlichen Rede gegen den Krieg in der Ukraine fand Jurowski zur Musik zurück.

(Foto: Lino Mirgeler/picture alliance/dpa)

Das ist eine flammende politische Rede, doch Jurowski findet den Bogen zur Musik, zu Ravels Antikriegsstück "La valse", aber auch zu Benjamin Brittens "Sinfonia da Requiem", ein unter dem Eindruck des von Nazideutschland entfesselten Zweiten Weltkriegs geschriebener Aufschrei gegen den Militarismus, in dessen um Trost ringendem Schlusssatz Jurowski ein Friedensgebet erkennen will, ein "Dona nobis pacem". Gleichwohl gelingt ihm der stürmische Marsch im Mittelsatz am packendsten.

Brittens "Illuminations" werden selten aufgeführt - und nie so filigran

Jurowski ist auch ein Meister raffinierter Gespinste, die er, die Suite aus Claude Debussys Oper "Pelléas et Mélisande" zeigt das, mit Intensität und Eleganz in eine Klangfarbenorgie verwandelt. Doch, Steigerungen sind bei diesem Dirigenten immer möglich, mit den "Illuminations", von Britten kurz vor der "Sinfonia da Requiem" komponiert, begeben sich Jurowski und seine wunderbare Sopranistin Sabine Devieilhe in die Herzkammer der Hochkultur. Der selten zu hörende und nie so filigran und stimmig aufgeführte Neunteiler vertont Gedichte aus dem nicht nur die Surrealisten zu Hochpreisungen verleitenden, gleichnamigen Buch von Arthur Rimbaud. Herausgekommen sind dabei leuchtende Fragmente einer rätselhaften Welterfahrung, die Britten leicht und fern von Rimbauds Hermetik vertont, was den Texten durchaus guttut.

Die Aufführung ist voller Wunder. Das größte ereignet sich, als Sabine Devieilhe "et je danse" (und ich tanze) singt und dabei völlig mühelos ihre leuchtend reine Stimme zu einem extrem hohen B führt, das sie wie gefordert an der Grenze zur Unhörbarkeit und auch völlig ruhig nimmt. Hier schlägt Musik um in ein Paradies, in ein klingendes Heilsversprechen, das, es ist ein Paradox, leise und ruhig anschreit gegen jede Zerstörung und alle Unmenschlichkeit.

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