Vivian Suter im Kunstmuseum Luzern:Lebende Bilder

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Seit ein Hurrikan Vivian Suters Kunst unter Schlamm begraben hat, bezieht sie Natur und Wetter in ihr Schaffen ein. Wie, das kann man nun in Luzern sehen.

Von Kito Nedo

Das Atelier der 1949 in Buenos Aires geborenen Malerin Vivian Suter liegt weit entfernt von den üblichen Kunstzentren, auf dem Gelände einer stillgelegten Kaffeeplantage in der Nähe des Städtchens Panajachel am Lago de Atitlán im Südwesten Guatemalas. Dass sich Kunstliebhaber, Kuratoren und Museumsmenschen weltweit seit einiger Zeit trotz dieses abgelegenen Standorts für Suters Werk interessieren, daran hat vermutlich der Kurator Adam Szymczyk einen großen Anteil. 2017 lud er die damals weitgehend unbekannte Suter gemeinsam mit ihrer Mutter Elisabeth Wild (1922-2020), die ebenfalls Künstlerin war, zur Documenta 14 nach Kassel und Athen ein und bescherte damit dem Werk der Suters große internationale Aufmerksamkeit - aus der viele weitere Ausstellungsprojekte folgten. Nun widmet das Kunstmuseum Luzern ihr eine Retrospektive.

Vivian Suter hat ihre Kindheit in Argentinien verbracht, kam mit 13 Jahren in die Schweiz, studierte Anfang der Siebzigerjahre in Basel Kunst, bevor sie Europa Mitte der Achtziger wieder verließ. Ihr Arbeitsstil ist variabel: Manchmal arbeitet sie auf dem Boden ihres Ateliers, manchmal an der Wand. Mitunter nimmt sie ihre großformatigen Leinwände auch nach draußen und lehnt den Spannrahmen an einen Baum, während sie ihre mit Fischleim verdickten Öl- und Acrylfarben auf die Oberfläche bringt.

Suters geschwungen-gestische Gemälde scheinen Naturformen zu folgen, der kugeligen Gestalt einer Fruchtschote etwa, dem Gewirr von Luftwurzeln oder einem Hundekopf. Dann wieder sind die Bilder geschüttet und wirken so, als seien sie auf geheimnisvolle Weise selbst an die Wasser- und Nährstoffkreisläufe des Waldes angeschlossen gewesen. Die erdige Anmutung rührt nicht nur von den Farben her, sie wird teilweise durch kleine Blätter oder Äste unterstrichen, die auf manchen Leinwänden kleben. Anderswo sind Pfotenabdrücke erkennbar, die von Suters Hunden stammen. Die Umwelt hinterlässt ihre Spuren in der Kunst, die ihrerseits die enge Verbundenheit der Künstlerin mit Tieren und Pflanzen widerspiegelt.

Das Publikum muss selbst einen Weg durch das Dickicht aus Farben und Formen finden

Bei ihren Ausstellungen hängt die Malerin ihre Bilder vom Keilrahmen befreit und einander überlappend an die Wände, oder nur an einer Holzleiste fixiert auf unterschiedlichen Höhen mitten in den Raum. Irgendwo liegt auch ein Stapel Leinwände auf dem Boden. So entsteht eine Art loses, antihierarchisches Dickicht aus Farben und Formen, durch das das Ausstellungspublikum seinen Weg selbst finden muss. Nicht das einzelne Bild, sondern die Vielheit der Bilder machen Suters Kunst zum Erlebnis. So werden die Besucher allein im ersten Saal der Suter-Ausstellung in Luzern von 220 Leinwänden regelrecht umfangen.

"Ich möchte gerne meine Arbeiten zeigen, nicht darüber sprechen", sagt Suter bis heute. Manchmal äußert sie sich dann aber doch, wie neulich, als ihr der renommierte, mit 40 000 Franken dotierte Schweizer Meret-Oppenheim-Preis verliehen wurde: "Meine Geisteshaltung ist wie eine Art Meditation, ich pflege eine osmotische Beziehung zur Natur, die sich ständig verändert. Ich denke, diese Wechselwirkung wird auch in meinem Schaffen sichtbar." Die Frage nach Natur-Ästhetik im Anthropozän, dem Zeitalter des Menschen, wird im Kunstbetrieb schon seit einigen Jahren immer stärker. Suters Leinwände scheinen auf hintergründige Weise verwoben mit all den Ökologie- und Klimadiskursen, dem Leben mit Naturkatastrophen, den Fragen nach alternativen zukünftigen Lebens- und Arbeitsentwürfen oder den sich wandelnden Mensch-Tier-Beziehungen. Das macht diese Kunst sehr zeitgenössisch.

Das Kultur- und Kongresszentrum in Luzern, ein Ende der Neunziger eröffneter Multifunktionsbau aus Glas und Stahl nach Plänen von Jean Nouvel, wirkt in seiner kühlen Techno-Affinität fast wie eine gebaute Gegenthese zur organisch geschwungenen Ökologie-Kunst von Suter, die im Inneren des Gebäudes gezeigt wird. Andererseits sind da die verschachtelten Ausstellungsräume, die kein geradliniges Abschreiten der Schau erlauben. Das passt dann wieder gut zu der gewundenen Laufbahn der Künstlerin selbst, die ihrem ganz eigenen Muster folgte.

Suter bewirft ihre Gemälde mit Erde, vergräbt sie oder lässt sie im Regen stehen

Vielleicht verzichtete Fanni Fetzer, die Ausstellungskuratorin und Luzerner Museumsdirektorin, auch deshalb auf eine chronologisch angelegte Retrospektive. Stattdessen inszenierte sie eine Folge von Räumen, die es dem Publikum ermöglicht, das Gesamtwerk von Suter seit den Anfängen in den Siebzigern bis in die Gegenwart als Sequenz von räumlichen Szenen nachzuvollziehen. Auch ohne chronologische Ordnung wird deutlich, wie die Malerin über die Jahrzehnte hinweg immer mehr Ballast abgeworfen hat, sich von konzeptuellen Anfängen über eine schwere, pastose Malweise in den Achtzigern hin zu einer von berührender Leichtigkeit geprägten Kunst der offenen Oberflächen hinbewegt hat, die für ihr heutiges Werk charakteristisch ist.

Die Natur ist für Suter dabei nicht nur Inspiration oder Theorie, sondern bahnte sich ganz real ihren Weg in die künstlerische Geschichte. Als im Herbst 2005 ein Hurrikan über Guatemala hinwegfegte, wälzten sich Regenwasser und Schlamm mit zerstörerischer Wucht auch durch Suters Atelier. Während der Aufräumarbeiten hielt die Künstlerin einen Großteil ihres Werks für vernichtet. Doch unter der Schlammkruste hatten die Bilder überdauert. Nur in anderer Form. So, als hätten sie ein Eigenleben begonnen.

Die Künstlerin akzeptierte schließlich die Einflüsse der Witterung auf ihre Kunst, und ihr Werk nahm eine neue Richtung. Seither produziert sie ihre Bilder in und mit der Natur. "Wenn ich an einem Gemälde arbeite, lasse ich es draußen stehen, komme dann wieder zurück und verändere es, bewerfe es vielleicht mit Erde, oder es regnet. Dann lasse ich es entweder so oder beschließe, noch eine weitere Farbe hinzuzufügen. Das geschieht sehr intuitiv. Manchmal vergrabe ich die Bilder auch, damit sie mit der Erde in Verbindung kommen, und grabe sie danach wieder aus. Einmal habe ich sogar vergessen, dass ich ein paar Bilder vergraben hatte, und als wir sie später wiederfanden, waren sie verrottet." Eine Kunst, die kreislauffähig ist, also nicht unbedingt den Anspruch auf Ewigkeit erhebt, das ist für die heutige Museumswelt, die das Bewahren auch weiterhin zu ihren Kernaufgaben zählt, noch immer ein provokanter Gedanke. Aber Suters Werk bietet durchaus Raum für solche Spekulationen, mit denen sich auch viele jüngere Künstlerinnen und Künstler beschäftigen. So gesehen hat diese Retrospektive einen ziemlich vorausschauenden Charakter.

Vivian Suter. Retrospektive. Kunstmuseum Luzern. Bis 13. Februar. Die Publikation zur Ausstellung, "Bonzo, Tintin & Nina", kostet 50 Franken.

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