Süddeutsche Zeitung

Ausstellung der Lead Awards:Triumph der Hässlichkeit

Groteske Wurstigkeit: Ausgerechnet die Fratze Gérard Depardieus repräsentiert die Ausstellung der Lead Awards. Die Betonung des Hässlichen zeigt, welche Waffen im Zeitungskrieg wirklich zählen.

Till Briegleb

Groteske Wurstigkeit gegenüber jedem guten Geschmack: Ausgerechnet die Fratze Gérard Depardieus repräsentiert die Ausstellung der Lead Awards. Diese Betonung des Hässlichen zeigt, welche Waffen im Zeitungskrieg wirklich zählen. Vergleicht man die Schlacht der Medienerzeugnisse um Leser mit der Geschichte des Krieges, dann gleicht sie möglicherweise den zeitgenössischen Konflikten: Alle kämpfen mit allen erdenklichen Waffen und Strategien und großem Aufwand, aber niemand gewinnt. Originalität und Anti-Originalität, Humor und Horror, Großmacht und Partisan, grellbunt und pseudovergilbt stehen geheftet und geklebt nebeneinander im Regal oder hängen - wie bei der Ausstellung der Gewinner der Lead-Awards in den Hamburger Deichtorhallen - an den Wänden wie ein großes Patt. Da reihen sich Dutzende Magazin-Cover zum Tableau, alles dabei von lustig ... Text: Till Briegleb/SZ vom 17.6.2011

... über schön zu Krickelkrackel, und am Ende wird... 

... der Spiegel-Titel "Aufhören!" mit Gold geehrt: ein Bild von Westerwelle und Merkel vergrämt auf der Regierungsbank vor Trauerschwarz. Warum? "Der Siegertitel fängt ein, was wohl fast ganz Deutschland zu diesem Zeitpunkt gedacht hat", so die Jury.

Populismus als neuer Geniestreich? Die alljährliche Selbstkür ihrer schönsten Erzeugnisse durch die deutsche Medienbranche war tatsächlich selten so risikoarm wie 2011. Das Lead-Magazin des Jahres steckt in der Zeit, ...

... die Fotoreportagepreise gehen an den Stern für eine ganz anständige (man könnte auch sagen: altbackene) Bildserie von US-Soldaten in Afghanistan und... 

... ein kenterndes Flüchtlingsboot an der italienischen Küste.

Und der Visual Leader, also der prägende Bildzauberer unserer Zeit, ist Eike König, der Chef der Berliner Agentur "Hort", der mit seiner gekonnten Verbindung aus Grafik-Innovationen der Vergangenheit und Street-Art einen Trend auf den Punkt bringt: Alt sein und dabei jung aussehen.

Überhaupt zeigt der massive Zug zur Retro-Ästhetik, dass die Unsicherheit über die Zukunft der Medienbranche zu einer Selbstvergewisserung im Bekannten führt. Das prämierte Spex-Layout sieht aus wie ein amerikanisches Hochglanzmagazin aus der goldenen Ära des Druckerzeugnisses vor Erfindung des Internets. Modestrecken werden in der weichgezeichneten Appetitlichkeit von Playboy-Pin-Ups der gleichen Epoche inszeniert oder erinnern (wie beim Modefotografen des Jahres, Danko Steiner) an die depressive Glanzzeit des Androgynen im New Wave.

Selbst die Newcomer des Jahres sind optisch Enkel von Experimenten, auch wenn sie ihre Geburtsstunde als Web-Blog hatten wie die Papier-Extension der community-generierten (und somit Journalismus-freien) Mode-Website I like my Style. Sowohl deren Mischung aus Wolfgang-Tillmans-Ästhetik und einem Layout wie aus britischen Pop-Magazinen der Achtziger als auch ...

... das brave Stern-Baby Nido, welches tatsächlich dafür die Gold-Auszeichnung erhielt, dass es sich am Leser und nicht mehr an den Anzeigen-Kunden orientiere, sind gute Erzeugnisse einer Kompromiss-Kultur - aber irgendwie anregend, innovativ? Oder gar kritisch?

Der Geist der Zeit ist vielmehr dort zu orten, wo er sich seiner Verführungsleistung nicht zu schämen braucht: bei den ausgezeichneten Anzeigen und Kampagnen triumphiert die heitere Ironie über das moralische Argument. Diesels Kampagne "Be stupid", die Gold gewann, schlägt da in die gleiche Kerbe wie die Bild-Promi-Werbung. Der negative Ruf von Dummheit (in der Modebranche) und Demagogie (beim Boulevard) verwandelt sich zu Charmeoffensiven, wenn mit der Ablehnung selbstironisch gespielt wird. Umarme deine Kritiker, und jeder Widerspruch wirkt lächerlich.

Der Akzent auf politische Positionen, der sich im vergangenen Jahr in der Auswahl der Preisträger noch feststellen ließ, ist diesmal der einzigen echten Attacke gewichen, die auf einen Beauty-Contest möglich ist: die brutal ausgestellte Hässlichkeit. Jonas Ungers Nahaufnahmen von Gérard Derpardieu in seiner Küche, die das Zeit-Magazin veröffentlichte, sind von einer solch grotesken Wurstigkeit gegenüber jedem guten Geschmack, dass sie als einziges aufregendes Bildzeugnis in dieser Auswahl gelten können. Und dass ausgerechnet diese Fresse es bei allen Publikationen des Lead-Awards auf die Vorderseite geschafft hat, mag auf ein stilles Wissen der deutschen Blattmacher hindeuten, dass der Zeitungskrieg um die Leser mit den zahllosen Waffen des guten Geschmacks alleine nicht zu gewinnen ist.

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Quelle:
SZ vom 17.6.2011
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