Süddeutsche Zeitung

Filmstarts der Woche:Welche Filme sich lohnen und welche nicht

Lars Eidinger als Stasi-Spion, das Regiedebüt von Viggo Mortensen und die Rückkehr von Tom & Jerry - alle Filmstarts der Woche in Kurzkritiken.

Von den SZ-Kritikern

Albträumer

Nicolas Freund: Bei Rebekka läuft gerade gar nichts gut: Ihr Bruder Dennis hat sich umgebracht, die Eltern verstehen sie nicht, die beste Freundin faselt nur noch von Amerika und der Freund, ja, der macht eigentlich gar nichts. Dann verliebt sie sich auch noch in den Heavy-Metal-Freak Vincent, den alle anderen im Dorf für einen ausgewachsenen Psychopathen halten. Die Probleme, die Philipp Klinger in sein Spielfilmdebüt packt, würden für eine ganze Filmemacherkarriere reichen. Mit melancholischen Kleinstadtnaturbildern und Konzentration auf seine Hauptfigur gelingt es ihm aber, dieses Gewirr an Gefühlen glaubwürdig zu machen. Ein beeindruckendes Debüt mit dem vielleicht härtesten Soundtrack der deutschen Filmgeschichte.

Beckett

David Steinitz: Eine Traumreise nach Griechenland, die zum Albtraum wird. Ein amerikanisches Pärchen streunt verliebt durchs Hinterland, dann ein schrecklicher Unfall und eine Verwechslung. Der Mann, Beckett, wird gejagt, weil er Zeuge einer Politintrige wird. John David Washington, der Sohn von Denzel, ist Beckett in diesem Thriller von Ferdinando Cito Filomarino. Eine erbarmungslose Hetzjagd, der ein Konflikt zugrunde liegt, an dem die Europäische Union nicht ganz unschuldig ist. (Netflix, ab 13.8.)

Coda

Anke Sterneborg: Ein Coming-of- Age unter erschwerten Bedingungen. Ruby ist zerrissen zwischen ihrer Sehnsucht nach Selbstverwirklichung und der Verantwortung für ihre Eltern, denen sie eine Brücke zur Welt der Hörenden ist. Ruby ist Coda, "Child of Deaf Adults". In ihrem Remake des französischen Films "Verstehen sie die Béliers" hat sich Sian Heder sehr einfühlsam mit den Möglichkeiten der Zeichensprache auseinandergesetzt und mit Marlee Matlin, Troy Kotsur und Daniel Durant auch gehörlose Schauspieler besetzt. (Apple TV+, ab 13.8.).

Dream Horse

Martina Knoben: Ein Pferdefilm und ein Film über eine Dorfgemeinschaft in Wales. Da gibt es nichts, was nicht irgendwie erwartbar gewesen wäre, und doch kann man kaum anders, als den Film von Euros Lyn zu mögen. Im Zentrum steht die grundsympathische Jan (Toni Collette), eine frustrierte Supermarktkassiererin und Ehefrau, die schon Whippets und Brieftauben gezüchtet hat, und plötzlich die Idee hat, dasselbe mit einem Rennpferd zu probieren. Finanzieren soll das eine Genossenschaft der Dorfbewohner. Es ist kein Spoiler zu verraten, dass das Pferd tatsächlich ein Champion wird und das irre Projekt große Veränderungen bewirkt. Wer braucht bei einem Wohlfühlfilm, der noch dazu auf einer wahren Geschichte beruht, schon Überraschungen.

Falling

Tobias Kniebe: Wenn die Faustregel stimmt, dass ein Erzähler in all seinen Figuren steckt, muss man sich über Viggo Mortensen ernsthaft Gedanken machen. Für sein selbstgeschriebenes Filmdebüt erfindet er einen der unerträglichsten Väter der Filmgeschichte, der Schwule, Schwarze, Frauen und überhaupt alle Menschen hasst, überzeugend gespielt von Lance Henriksen. Er selbst aber schlüpft in die Rolle des schwulen Sohnes, der den halb dementen Alten pflegen will, niemals klare Widerworte gibt und dabei das Wort "Eselsgeduld" neu definiert. Bizarrer Showcase einer offenbar gespaltenen Persönlichkeit zwischen Wokeness und seltsamer Nostalgie für toxische Zeiten.

The Forever Purge

David Steinitz: Teil fünf der Horrorfilmreihe widmet sich weiter der blutigen Sezierung des amerikanischen Traums. Die jährliche "Purge Night", in der jeder morden und brandschatzen darf, um den Triebdruck fürs restliche Jahr abzubauen, hört nicht mehr auf. Amerika versinkt im Bürgerkrieg. Everardo Gout jagt ein illegales Einwandererpärchen durch brennende Städte und marodierende Horden Richtung Grenze. In dieser Welt gibt es nur noch ein sicheres Ziel jenseits der Trump'schen Mauerreste: Mexiko.

Free Guy

Anke Sterneborg: Ryan Reynolds stellt fest, dass das, was er für real hielt, nur die Schöpfung eines Unterhaltungsgottes ist. Er ist kein normaler Bankangestellter, sondern nur eine Hintergrund-Figur in einem Videospiel. Doch dann bringt die Liebe seinen Algorithmus durcheinander, und er entdeckt wie anderer KIs des Kinos vor ihm den freien Willen. Von Shawn Levy inszeniert und von Ryan Reynolds mit naivem "Dead Pool"-Charme liebenswert und schlagfertig komisch gespielt, ist das der vergnüglichste Blockbuster des Sommers.

How It Ends

Anke Sterneborg: Eine kosmische Apokalypse, gedreht unter den Bedingungen der Pandemie. Leise rast ein Meteor auf die Erde zu und die Menschheit nimmt's gelassen. Vor der großen Exit-Partysause verabschiedet sich Lisa (Zoe Lister-Jones, die den Film zusammen mit ihrem Mann Daryl Wein auch geschrieben und inszeniert hat) von Eltern, Freunden, Bekannten und Ex-Lovern, immer schön coronakonform nacheinander und auf Abstand. Eine Weltuntergangs-Wohlfühl-Komödie, ganz ohne Krawumm und Hektik.

Kunst kommt aus dem Schnabel wie er gewachsen ist

Sarah Zapf: Für ihren Dokumentarfilm begleitet Sabine Herpich Künstler mit Behinderung, die in der Berliner Kunstwerkstatt Mosaik arbeiten: von der Idee zum vollendeten Kunstwerk und der Vernissage, mal frei und mutig, mal zaghaft und bedächtig, aber immer schöpferisch und ausdauernd mit Tinte, Stiften und Pappe arbeitend. Ein achtsamer Blick hinter die Kulissen des Ateliers, das neue Zugänge zu sich selbst und zur künstlerischen Betrachtung der Welt schafft.

Nachspiel

Fritz Göttler: Nur einer hat seinen Traum verwirklichen können: Fußball spielen, professionell, Florian Kringe. Mit seiner Verabschiedung beim FC St. Pauli nach diversen Vereinswechseln, diversen Verletzungen beginnt dieser Film von Christoph Hübner und Gabriele Voss. Der dritte in der "Trilogie des Fußballer-Lebens", nach "Die Champions" und "Halbzeit". Zwei andere Spieler, die man aus den früheren Filmen kennt, sind längst schon ausgestiegen, Heiko Hesse und Mohammed Abdulai aus Ghana. Die Bilder, die der Film von Teamgeist und Spielfreude zeigt, haben ihre Intensität verloren und wirken ganz fern, der Sport ist moderner geworden, schneller und ungemein abstrakt. Heiko machte seinen Doktor in Essex und arbeitet nun in der EU-Kommission in Brüssel, Mohammed hat einen deutschen Pass bekommen und arbeitet als Busfahrer: Wer kein Ziel hat, sagt er, ist ein toter Mann.

Nahschuss

Annett Scheffel: Lars Eidinger spielt einen jungen Wissenschaftler, der sich als Stasi-Mitarbeiter in einem erbarmungslosen System verstrickt - und in seiner eigenen Schuld. Das Historiendrama beruht auf einem echten Fall, der Lebensgeschichte von Werner Teske, der 1981 als letzter Angeklagter der DDR zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Regisseurin Franziska Stünkel macht daraus ein hervorragend ausgestattetes Film-Psychogramm, das die Trennlinien bewusst verwischt: Opfer oder Täter, freier Wille oder Zwang?

New Order - Die neue Weltordnung

Sofia Glasl: Wo in Michel Francos Film die Realität aufhört und die Dystopie anfängt, ist gar nicht so leicht zu sagen. Die Bilder vom fiktiven Putsch, den er in Mexiko-Stadt ansiedelt, könnten aus den Nachrichten stammen. Selbst dann noch, wenn die Gewalt immer plakativer wird und langsam abstumpfen lässt. So abrupt die Stimmung von den Straßen in die Villen der gut Betuchten schwappt, so schnell wechselt Franco zwischen Klassendrama, blutigem Geiselgemetzel und Korruptionsthriller. Und wirkt bisweilen doch etwas unentschlossen, welcher Staatsproblematik er sich als Erstes annehmen soll.

Sommer-Rebellen

Ana Maria Michel: Jonas möchte die Ferien unbedingt in der Slowakei bei seinem Opa verbringen. Doch der ist nicht mehr, wer er mal war. Weder Boot fahren noch angeln oder schwimmen will er mit seinem Enkel. Nur für Kreuzworträtsel und Bier scheint sich der Rentner noch zu interessieren. Jonas lässt sich einiges einfallen, um seinen Opa wieder auf die Spur zu bringen - das geht nicht immer gut. Martina Saková ist ein Film mit schönen Sommerbildern gelungen, dem es nicht an Tiefgang fehlt.

Tom & Jerry

Fritz Göttler: Das sieht man gern, wenn zwei Welten ineinanderspielen, wenn gezeichnete Animationsviecher mit wirklichen Menschen interagieren: Mary Poppins, Roger Rabbit ... Nun also Tom und Jerry, die wüsten Cartoon-Helden der Fünfziger in einem Luxushotel heute in New York, das sich natürlich absolut mäusefrei präsentieren will. Katz und Maus sind inzwischen eher milde gestimmt, die fiesen Attacken und Reibereien kommen im Film von Tim Story von den Menschen. Das Genre baut auf Chaos und Zertrümmerung: Eine millionenschwere Bollywood-Prachthochzeit steht auf dem Programm, mit Elefanten und meterhoher Sahnetorte.

Die Welt wird eine andere sein

Nicolas Freund: Alsi liebt Saeed und daran ist ja zunächst mal nichts falsch. Sie ist türkischstämmige Deutsche, er kam zum Studium aus dem Libanon nach Hamburg. Selbstgewiss versucht das Paar, durch alle kulturellen Schwierigkeiten zu steuern: Sprachbarrieren, die Vorurteile der Eltern, die naiven Deutschen. Auch als Saeed ihr das Rauchen verbieten möchte und den Freunden antisemitische Vorurteile an den Kopf wirft, hält Alsi zu ihm. 2016 versetzte Regisseurin Anne Zohra Berrached mit ihrem Hardcore-Abtreibungsdrama "24 Wochen" die Berlinale in Angst und Schrecken. Auch in ihrem neuen Film geht es wieder darum, dass Politisches und Privates nicht zu trennen sind. In einer kleinen Welt der Studenten-WGs stellt der ambitionierte Film große Fragen nach Schuld und Verantwortung.

Wem gehört mein Dorf?

Doris Kuhn: Eine traurige Geschichte über Kapitalismus und Demokratie. Regisseur Christoph Eder, geboren in Göhren auf Rügen, zeigt die Veränderung seines Dorfes. Investoren haben es zu großen Teilen gekauft und zum Touristenparadies umgestaltet, der Gemeinderat, dominiert von vier neubaufreudigen Mitgliedern, war immer dabei. Es gibt Bilder aus Vergangenheit und Gegenwart, die Verbindung von Geldgier und Zerstörung wird perfekt sichtbar gemacht - die Hilflosigkeit auch.

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Quelle:
SZ vom 12.08.2021
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