Süddeutsche Zeitung

Netzkolumne:Immer schön lächeln

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Dass wir uns an die Arbeit im Home-Office gewöhnt haben, heißt nicht, dass uns die Chefs weniger im Blick haben. Mit neuester Software eher mehr.

Von Michael Moorstedt

Während in den angesagten Vierteln draußen vor den Fenstern eine endlose Party gefeiert wird, sehnt sich mancher schon zurück nach der Ruhe des Lockdowns. Es war ja nicht alles schlecht. Versprach nicht zumindest der erzwungene Rückzug aus den Büros doch auch mehr Freiheiten, eine bessere Balance zwischen Arbeit und dem Restleben, sollte noch eines vorhanden sein? So lautete jedenfalls der erste, schnellste Schluss.

Der griff mal wieder zu kurz. Bereits im vergangenen Winter kam eine Studie zu dem Schluss, das inzwischen jedes fünfte Unternehmen Software einsetzt, um seine Heimangestellten zu überwachen. Die Pandemie diente als willkommene Entschuldigung, sie einzuführen. Dank der panoptischen Programme sind die Vorgesetzten bestens darüber informiert, welche Webseiten ihre Angestellten besuchen oder welche Wörter sie in die Tastatur hacken.

Es ist eher unwahrscheinlich, dass diese Praktiken mit der Rückkehr in die Büros wieder verschwinden. Im Gegenteil - ist die Überwachung erst mal normalisiert, kann sie auch ausgeweitet werden. Das treibt mitunter bizarre Blüten. Zum Beispiel in China. Eine dortige Tochterfirma des Kameraherstellers Canon hat vor Kurzem einen Lächelsensor in ihren Büros installiert. Zugang findet dort nur noch, wer an der Pforte lächelt. Eine künstliche Intelligenz befindet darüber, ob das Zähnefletschen angemessen ist. So soll laut einem Sprecher die Arbeitsmoral im Betrieb gehoben und "in der Postpandemie-Zeit für mehr Heiterkeit" gesorgt werden.

Bei Bedarf öffnet der Telearbeiter in Übersee den Tonkanal und reglementiert den Angestellten

Das klingt reichlich dystopisch, fraglich ist allerdings, ob es sehr viel besser ist, wenn statt Algorithmen Menschen die Überwachung der Angestellten übernehmen. Das ist jedenfalls das Verkaufsargument eines Unternehmens namens Live Eye. Deren Kameras senden die Live-Aufnahmen an Subunternehmer in Indien. Die Analyse von digitalen Signalen in Länder mit billigen Arbeitskräften auszulagern, ist in der Tech-Branche längst allgemein akzeptierte Geschäftspraxis. Dank ganzer Heerscharen schlecht bezahlter Telearbeiter entledigen sich etwa so gut wie alle Social-Media-Plattformen ihres Moderationsproblems.

Eigenen Angaben zufolge zählt Live Eye etwa die Supermarktkette 7-Eleven, Shell-Tankstellen oder die Holiday-Inn-Gruppe zu seinen Kunden. Das Wissen, jederzeit von fremden Augen gesehen zu werden, soll Angestellte etwa davon abhalten, zu klauen oder mal ein paar Minuten untätig rumzustehen. Bei Bedarf kann der Telearbeiter in Übersee auch den Tonkanal öffnen und die überwachten Angestellten derart reglementieren. So schafft der Kapitalismus einmal mehr eine in sich geschlossene Ausbeutungs-Wertschöpfungskette.

"Der gesellschaftliche Raum, in dem wir noch die moderne Sklaverei finden, ist heute nicht mehr der Betrieb, in welchem die große Masse der Arbeiter arbeitet, sondern dieser soziale Raum ist das Bureau", schrieb der österreichische Ökonom Emil Lederer vor gut einem Jahrhundert. Von einer "Totalschau" des Angestellten schreibt auch Siegfried Kracauer in seinen gleichnamigen Feuilletons aus den Behörden und Banken der Weimarer Republik und äußert schnell Zweifel an dieser "an sich erfreulichen Hochschätzung fremdseelischen Lebens".

Die Zitate von einst sind umso zeitgemäßer, wenn man bedenkt, dass die zugrundeliegenden Mechanismen die gleichen sind. Neu ist nur eine damals nicht vorstellbare Effizienz. Die Arbeiter werden nicht, wie zunächst befürchtet, durch Algorithmen und künstliche Intelligenz ersetzt. Stattdessen wird ihr Management durch diese Technologien gewissermaßen ergänzt. Ganz so wie es bereits während der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert stattfand. Die Technologie erhöht eher das Tempo für die Menschen, die mit Maschinen arbeiten, anstatt umgekehrt die Maschinen effizienter zu machen.

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