Video-Spiele:Friedhofsruhe

Games für den Intellekt, nicht für den Spieltrieb: Der Videospiele-Hersteller "Tale of Tales" steht vor dem Aus.

Von Benedikt Frank

Die Behauptung, dass auch Videospiele Kulturgut sind, geht jedem Spieleentwickler inzwischen leicht über Lippen. Doch die breite Masse an Spiele-Entwicklungen liefert trotzdem immer nur neue Versionen einfacher Formeln - man hat sich in der Unterhaltungsindustrie selbstzufrieden eingerichtet.

Um so enttäuschender ist es, wenn ein wirklich innovatives Studio schließen muss. Die belgischen Entwickler Michaël Samyn und Auriea Harvey haben das Ende ihrer Firma "Tale of Tales" bekanntgegeben. Sie hatten 13 Jahre lang Spiele gemacht, die der typische Gamer kaum würdigt. Es waren Experimente mit dem Medium, die eher den Intellekt ansprechen als den Spieltrieb.

Viele negative Bewertungen finden sich im Netz, die sich darüber enttäuscht zeigen, dass die Käufer ihrer Werke gar kein richtiges Spiel erhalten haben sollen. Aber genau so stellte "Tale of Tales" den Fuß in die Tür und fragte: Was das denn sein solle, ein richtiges Spiel? In ihren Spielen sieht man die Welt nicht über den Lauf einer Waffe hinweg. Stattdessen steuert man etwa eine alte Frau über einen Friedhof.

"The Graveyard", so der Titel, könnte vieles sein: eine virtuelle Meditation, ein begehbares Gemälde oder interaktive Poesie. Aber ein Spiel? Andererseits lehnten Samyn und Harvey es ab, ihre Spiele als Kunst zu betrachten. Spielen sei ein körperliches Bedürfnis, Spiele befriedigten es nur. Dass ihre Werke dennoch als Kunst etikettiert werden, war für sie Ausdruck der Rückständigkeit einer Industrie, die nur Spaß verkaufen will: "Mit Spaß bedienen Spiele unser inneres Kind. Währenddessen verhungert aber unser innerer Erwachsener!", proklamierten sie. Um ihre sperrigen Nicht-Spiele zu genießen, muss man sie auch eher als einen Museumsbesuch denn als eine Achterbahnfahrt betrachten.

Ihrem "The Path" geben sie eine Anweisung aus dem Märchen mit: "Gehe zum Haus der Großmutter und komme nicht vom Weg ab." Daran kann man sich halten - oder auch nicht. Es gibt kein richtiges Ziel, ein Spiel ist es über das Sich-Verlaufen und Begegnungen mit dem bösen Wolf, der hier mehr ein Trauma ist als ein vermenschlichtes Tier.

Mit kleinen Spielen abseits der Trampelpfade der Industrie bereitete "Tale of Tales" auch Anderen den Weg: Indie-Titel wie "Dear Esther" setzten wie Samyn und Harvey auf Spiel-Entschleunigung. "Tale of Tales" hatte bewiesen, dass Videospiele mit wenig Action und sogar ohne besondere Herausforderung sinnliche Erfahrungen vermitteln können.

Es half nicht, dass sich das Publikum ihren Ideen nun langsam öffnete. Obwohl sie Interesse hervorriefen, Kassenerfolge wurden ihre Spiele nie. Das wurde endgültig zum Problem, als Belgien künstlerische Videospiele nicht mehr förderte. Ihren aktuellen Titel "Sunset" finanzierten sie per Crowdfunding. Sie verließen wieder einmal ausgetretene Pfade, gingen sogar auf den Massenmarkt zu. "Sunset", in dem die Spieler in die Rolle der schwarzen Putzfrau Angela schlüpfen und beobachten, wie sich im fiktiven Staat Anchuria ein Bürgerkrieg zuspitzt, müsste doch nahe genug an einem herkömmlichen Video-Abenteuer sein, dachten sie. Also raus aus der Nische! So steckten Samyn und Auriea 40 000 Dollar ins Marketing. Und fanden im Kommerz dann ihren bösen Wolf: Bis heute, einen Monat nach der Veröffentlichung, verkauften sie nur 4000 Einheiten - trotz positiver Kritik auch über die klassische Games-Presse hinaus, so berichteten auch die SZ und der britische Guardian. "Die Kreativität brennt weiter in unseren Herzen", schreiben Michaël Samyn und Auriea Harvey nun zum Abschied. Das klingt, als solle nach "Sunset" doch ein Morgen kommen. Ein Videospiel wollen sie aber nicht mehr machen: "Und falls doch, ganz sicher kein kommerzielles."

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