Kleine Verlage müssen knallhart kalkulieren. Als beispielsweise im vergangenen Jahr der relativ unbekannte Autor Frank Witzel für seinen Roman "Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969" den Deutschen Buchpreis erhielt, war er für kurze Zeit nicht lieferbar. Die Zahl der Bestellungen überstieg die gedruckte Auflage; der Berliner Verlag Matthes & Seitz kam der sprunghaft gestiegenen Nachfrage schlichtweg nicht hinterher.
Letztlich hat der überraschende Erfolg den Verlag jedoch vor der Pleite bewahrt. Dabei hatte kaum jemand damit gerechnet, dass die Wahl ausgerechnet auf ein Buch fallen könnte, das von 137 Verlagen abgelehnt worden war, bevor Matthes & Seitz zugriff. Beinahe wäre das Manuskript sogar in den Papierkorb gewandert, hätten sich nicht Witzels Schriftstellerkollege Ingo Schulze und seine Agentin Elisabeth Ruge für ihn stark gemacht.
Denn damit aus einem richtig guten Text ein erfolgreiches Buch wird, ist mehr vonnöten als nur ein guter Autor; dieser braucht Menschen um sich herum, die an ihn glauben. Solche Menschen finden sich zuhauf in kleineren Verlagen, von denen die meisten stets um ihr Überleben kämpfen müssen. Allein ihrem Idealismus verdankt die deutschsprachige Verlagslandschaft ihre einzigartige Vielfalt. Doch dieser Idealismus wird jetzt bestraft.
Ein Drittel des Gewinns fällt weg
Künftig werden es sich solche Verlage nämlich zweimal überlegen, wie groß das unternehmerische Risiko ist, das sie eingehen können. Sofern es sie dann überhaupt noch gibt. Denn die Kleinen der Branche sind durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, Verlage nicht mehr an den Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaft (VG) Wort zu beteiligen, in ihrer Existenz bedroht.
Seit 1958 verwaltet die VG Wort in Deutschland die Einnahmen aus der Zweitverwertung von Sprachwerken, also Einnahmen durch deren Verleih, Digitalisierung oder Vervielfältigung. Sie gibt die Erlöse jeweils zur Hälfte an die Urheber, die Autoren und Übersetzer, sowie deren Verwerter, die Verlage, weiter.
Diese Verteilungspraxis haben die Karlsruher Richter nun für unrechtmäßig erklärt. Der BGH schließt sich damit der Auffassung des Europäischen Gerichtshofs an. Dieser hatte im November 2015 in einem Rechtsstreit zwischen Hewlett-Packard und der belgischen Verwertungsgesellschaft Reprobel ebenfalls entschieden, dass die Tantiemen ausschließlich den Autoren zustehen. Auf 100 Millionen Euro beliefen sich die Ausschüttungen der VG Wort im Jahr 2014, die Hälfte davon ging an Buchverlage - 50 Millionen Euro, auf die sie von nun an verzichten müssen. Dabei trägt dieser Anteil ein Drittel zum Gewinn von etwa drei Prozent bei.
Die Starken stecken das weg
Da große Verlagshäuser den Verlust leichter verkraften dürften als kleine und mittlere, verhilft das BGH-Urteil ausgerechnet den stärksten Marktteilnehmern zu einem Wettbewerbsvorteil. Unter den Autoren gibt es zwei Lager: Die einen sehen sich durch den Richterspruch in ihren Urheberrechten gestärkt, die anderen befürchten, dass die Neuregelung auch ihren Interessen schadet. Denn natürlich ist es für einen unbekannten Autor besonders wichtig, einen Partner hinter sich zu wissen, der seine Werke verwertet - wichtiger jedenfalls als für einen etablierten, der zudem das Geld, das er nun zusätzlich erhält, am wenigsten nötig hat.
Debütanten und randständige Autoren werden es von nun an sehr schwer haben, der Verdrängungskampf wird sich verschärfen und die deutsche Literaturlandschaft womöglich verarmen. Das stolze Bekenntnis des einstigen Suhrkamp-Verlegers Siegfried Unseld "Wir machen nicht Bücher, wir machen Autoren" - es könnte schon bald kaum mehr sein als Nostalgie.