Verteidigungsschrift für den Marxismus:Die friedfertigen Absichten der Marx'schen Lehre

Deshalb spreche viel dafür, so Terry Eagleton, sich vertrauensvoll an Karl Marx und seine Lehren zu wenden: "Der Kapitalismus ist der Zauberlehrling: Er hat Kräfte beschworen, die vollkommen außer Kontrolle geraten sind und uns nun mit der Vernichtung bedrohen. Der Sozialismus soll diese Kräfte nicht etwas steigern, sondern sie unter vernünftige Kontrolle des Menschen bringen." Seltsam ist das schon: Denn war es Karl Marx und Friedrich Engels mit dem "Kommunistischen Manifest" nicht darum gegangen, die Arbeiter gegen die "Bourgeoisie" aufzupeitschen? Und nun sollen ihre Ideen dazu taugen, eben dieselbe Bourgeoisie vor sich selbst zu retten?

Wenn ein Werk "Warum Marx recht hat" (im Original: "Why Marx Was Right") heißt, könnte man eine Auseinandersetzung mit dem jüngsten Stand des Kapitalismus und seiner Krisen erwarten, auf der Grundlage einer ökonomischen Theorie, die Karl Marx vor allem im "Kapital" liefert. Terry Eagleton aber hat etwas anderes im Sinn: Er wirbt um Verständnis, ja um Billigung der Marx'schen Lehre, mit dem Argument, deren Absichten seien ungleich friedfertiger, maßvoller und gemeinnütziger als die kapitalistische Praxis.

Deswegen verrechnet er die Gewalt, mit der sich die Nationalstaaten durchsetzten, mit den Massenmorden unter Stalin und Mao, deswegen lässt er Karl Marx an "Liebe und Mitmenschlichkeit" glauben, deswegen verwandelt er ihn in einen Anhänger der "Mittelklasse" und "ihrer großen revolutionären Werte: Freiheit, Selbstbestimmung und Selbstentfaltung. Selbst abstrakte Gleichheit hielt er für einen gehörigen Fortschritt gegenüber den Hierarchien des Feudalismus.

Er glaubte eben nur, dass diese wünschenswerten Prinzipien nicht zum Tragen kommen können, solange es den Kapitalismus gibt." Einen netteren, harmloseren, rücksichtsvolleren Karl Marx als den grenzenlos gutmütigen Revolutionär, den Terry Eagleton entwirft, gab es selbst unter den heuchelnden Menschenfreunden des real existierenden Sozialismus nicht.

Entsprechend ist das Buch aufgebaut: Es ist keine Auseinandersetzung mit dem Weltzustand oder mit marxistischen Argumenten, sondern ein Versuch, ein paar landläufige Einwände gegen die kommunistische Lehre zu entkräften - der Marxismus sei eine historisch überholte Lehre etwa, oder er würdige den Menschen zum Instrument der Geschichte herab, oder er reduziere alles auf Wirtschaft, oder er verlange nach einem totalitären Staat, oder die Arbeiterklasse sei ja längst verschwunden.

Interessenkonflikte in ein gemeinsames Anliegen umlügen

Das alles seien Missverständnisse, beteuert Terry Eagleton, lauter Vorurteile, die einer Prüfung nicht standhielten und die Menschen von ihrem eigenen Besten abhielten: "Selbstverständlich wären die Sozialisten überglücklich, wenn die Führungskräfte aus Wirtschaft und Verwaltung sich ebenfalls auf ihre Seite schlagen würden. Die Marxisten hätten nicht das Geringste dagegen, wenn sich ihnen Richter, Rockstars, Medienmagnaten und Generalmajore scharenweise anschlössen. Nichts spräche gegen Rupert Murdoch und Paris Hilton, sofern sie genügend Reue zeigten und zu einer längeren Bußzeit bereit wären."

Es ist, als ginge das Elend, das "Wirtschaftsführer", "Generalmajore" im Allgemeinen sowie Rupert Murdoch im Besonderen in der Welt anrichten, nicht darauf zurück, dass diese Gründe haben und Zwecke verfolgen (die es dann zu verstehen und zu kritisieren gälte) - sondern auf Verfehlungen wider besseres Wollen. "Pfäffisch" hätte man im neunzehnten Jahrhundert Terry Eagletons Verfahren genannt, selbst die brutalsten Interessenskonflikte in Verfehlungen an einem gemeinsamen Anliegen umzulügen.

Mit Karl Marx und seiner Überzeugung, der Lohnarbeiter lebe nur insoweit, "wie es das Interesse der herrschenden Klasse erheischt" - woraus dann ein handfester Gegensatz entsteht, der nur revolutionär aufzuheben sei -, haben diese Beteuerungen nichts zu tun. Im Gegenteil hat es schon etwas Absurdes, wenn Terry Eagleton in seinem Vorwort zu einer gerade erschienen Ausgabe des "Kommunistischen Manifestes" über Karl Marx schreibt, dieser sei "ein Prophet" im "ursprünglichen biblischen Sinne, jemand, der uns warnt, dass wir unseren Pfad der Ungerechtigkeit verlassen müssen, wenn die Zukunft nicht zutiefst unangenehm werden soll."

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