Verstorbener Linkin-Park-Sänger:Chester Bennington - Hardrocker, der das Normale liebte

Kritiker warfen Linkin Park stets vor, zu gefällig für eine Rockband zu sein. Es hat eine besondere Tragik, dass der Tod von Sänger Chester Bennington nun ein zynisches Rocker-Klischee erfüllt.

Nachruf von Johanna Bruckner, New York

Dass Erfolg Fluch und Segen zugleich sein kann, ist keine Neuigkeit. Für Chester Bennington, den verstorbenen Sänger der Band Linkin Park, war dieser Konflikt der Soundtrack seines Lebens: brüllende Fans, brüllende Kritiker.

Dank ihrer treuen Anhänger zählt die Gruppe aus Los Angeles mit sechs Nummer-eins-Alben in den Vereinigten Staaten zu einer der erfolgreichsten Bands aller Zeiten. Überhaupt nur vier Bands konnten mehr Platten an der Spitze der Billboard-Charts platzieren. Beatles, Rolling Stones, Led Zeppelin und U2, allesamt musikalische Legenden. Und in den sozialen Medien sind Linkin Park ohne Konkurrenz: Die Facebook-Seite der Musiker haben mehr als 57 Millionen Menschen abonniert - eine größere Gefolgschaft hat keine andere Band.

Aber da ist eben nicht nur Liebe. Die Musikkritiker überzogen Linkin Park fast von Beginn an mit beißendem Spott. Der BR-Jugendsender Puls überschrieb einen Artikel einmal mit der Schlagzeile: "Warum Linkin Park die Kakerlake der Musikwelt ist" - und lag damit gar nicht so weit vom Kritiker-Tenor. An Genre-Maßstäben gemessen - oder Klischees, je nach Betrachtungsweise - sind die Songs der 1996 gegründeten Band zu eingängig, zu gefällig, zu sehr Mainstream. Und das ist ja bekanntermaßen das schlimmste ästhetische Urteil, das selbsternannte und tatsächliche Musikexperten fällen können.

Im Video zu ihrem ersten Hit "One Step Closer" aus dem Jahr 2000 trägt Leadsänger Bennington die Haare wasserstoffblond gefärbt und zu Spikes aufgegelt. Aus dem Boden schießen Flammen und von der Tunneldecke hängen Gestalten mit furchterregenden Masken. Wäre da nicht Benningtons grimmige Miene beim Singen - es könnte sich auch um ein Video der Backstreet Boys handeln. Die inszenierten sich in ihrem Hit "Everybody" schließlich auch als Zombies in spinnwebenverseuchter Friedhofs-Kulisse. "Everything you say to me, takes me one step closer to the edge", singt Bennington, "and I'm about to break, I need a little room to breathe". Wie gesagt: So weit ist das nicht entfernt von der Coming-of-Age-Lyrik einiger Popsternchen aus den frühen 2000ern.

Ihren Welterfolg verdanken Linkin Park auch einer cleveren Business-Strategie

Linkin Park waren nie etwas für die Nische. Das fing schon beim Namen an. Bei ihrer Gründung firmierte die Band noch unter Xero, als Bennington 1999 dazu stieß, folgte die Umbenennung in Hybrid Theory (später der Titel des ersten Albums). Doch weil es bereits eine andere Band gab, die so hieß, musste ein dritter Name her. Linkin Park war eine Anlehnung an den damals existierenden Lincoln Park im kalifornischen Santa Monica. Praktischerweise gab es nicht nur in der Heimat der jungen Männer eine Grünanlage, die dem amerikanischen Ex-Präsidenten gewidmet war. Linkin Park, so besagt es zumindest die Band-Legende, wurden deshalb so schnell bekannt, weil viele Städte dachten, es handle sich um eine örtliche Jugendband, die es zu unterstützen gelte.

Ihren Welterfolg verdanken Linkin Park auch einer cleveren Geschäftsstrategie. Die Gruppe erkannte früh die Möglichkeiten des Internets. Gitarrist Brad Delson bemängelte einmal gegenüber CNN Money, dass zu viele Menschen in der Musikindustrie bestrebt seien, den Status quo zu wahren - dabei gelte es, Innovation zu umarmen. 2015 gründete die Band ein eigenes Venture-Capitalist-Unternehmen, das unter anderem in den Uber-Konkurrenten Lyft investierte. Und während die musikalische Konkurrenz im Probenkeller Bier-Pong spielte, machten sich die Bandmitglieder Gedanken zum Thema Vermarktung. Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit: 2013 brachten Linkin Park ein eigenes, frei erhältliches Videospiel heraus. Ziel: eine ausgebeutete Erde retten, die von (fiesen) Eliten und Maschinen kontrolliert wird.

Kritiker verachten die Band für genau solche Marketing-Maßnahmen. Eine Rockband hat nicht wie ein Buchclub zu funktionieren, der aktiv Mitgliederbindung betreibt. Eine richtige Rockband schockiert, stößt manchmal sogar ab - und wirkt gerade dadurch anziehend. Doch solche Vorstellungen, zumal gepaart mit musikelitärem Dünkel, sind nicht nur unfair gegenüber den Künstlern, sondern auch gegenüber ihren Fans.

Nirgendwo steht, dass eine Band kein Marketing betreiben darf

Es ist billig, sich über Linkin-Park-Anhänger lustig zu machen, die vielleicht noch den Rucksack mit dem Bandlogo-Aufnäher in der Ecke des Kleiderschranks liegen haben. Kunst muss sich nicht an ungeschriebene Regeln, Traditionen oder Genregrenzen halten. Und es steht auch nirgendwo geschrieben, dass eine Band kein Marketing betreiben darf, das möglichst viele Menschen erreichen soll, wenn sie ernst genommen werden will.

Linkin Park werden oft dem Crossover oder Nu Metal zugerechnet. Da wirkt es besonders paradox, dass ihnen Experimente jedweder Art übelgenommen werden. Über eine musikalische Kollaboration aus dem Jahr 2004 heißt es in dem erwähnten Puls-Artikel: "Auf ihrem Weg schafften sie es unter anderem auch noch, die Rap-Legende Jay Z in ihre Fänge zu ziehen und der Welt ein Songgeschwür namens 'Numb/Encore' zu hinterlassen." Und in jüngerer Vergangenheit wurde der Band vorgeworfen, in den Popkitsch abzurutschen.

"One More Light" heißt das aktuelle Album. Auf der gleichnamigen Single fehlen harte Gitarrenriffs, die Musik plätschert so beruhigend dahin, dass der Song auch problemlos in jedem Yoga-Studio laufen könnte. Dazu passend zeigt das Albumcover Kinder, die in den Wellen spielen, im Hintergrund geht die Sonne unter. Ja, das ist weit entfernt von den Anfängen der Band, aber es sind eben auch 20 Jahre vergangen. Oder wie es Bennington im Dezember 2016 in einem Interview mit der Webseite Teamrock.com formulierte: "Wir sind keine Heranwachsenden mehr, die unter Teenager-Angst leiden, sich fragen 'Warum ist die ganze Welt gegen mich?', und einen Weg suchen, sich auszudrücken." Soll heißen: Jeder wird älter, das gehört dazu. Auch bei Hardrockern.

"Wir sind alle anständige Leute, das macht mich stolz"

Zum Klischee-Rocker taugte Bennington ohnehin nie. Dazu war er zu schmächtig, seine Stimme zu jungenhaft, der ganze Typ zu normal. Bennington war in zweiter Ehe verheiratet, er hinterlässt insgesamt sechs Kinder. In den vergangenen Jahren erfüllte er sich einen Jugendtraum - kein teurer Oldtimer und auch keine exklusive Yacht. Nein, der Musiker sprang als Sänger bei den Stone Temple Pilots ein, seinen musikalischen Vorbildern.

Doch Benningtons Leben war Linkin Park. Im Gespräch mit Teamrock.com sagte er: "Wir sind keine Klischee-Rockband, in der jeder auf Drogen ist. Wir sind alle anständige Leute, das macht mich stolz."

Wenn Bennington von "wir" sprach, meinte er damit wohl vor allem seine Band (Mike Shinoda, Brad Delson, Phoenix Farrell, Joe Hahn und Rob Bourdon). Er selbst sei zwei verschiedene Personen, erklärte Bennington im gleichen Interview. Seine Bandkollegen hätten das einmal so beschrieben: Da gebe es Chester, aber auch "diesen verdammten Typen". Dieser Typ kämpfte gegen Alkohol und Drogen. Und ergab sich ihnen oft. Warf an besonders dunklen Tagen bis zu elf Mal LSD ein - für den Anfang. "Ich hab' dazu einen Haufen Crack geraucht, ein bisschen Meth genommen, und dann saß ich einfach nur da und bin ausgeflippt. Also hab' ich Opium geraucht, um runterzukommen", erzählte Bennington über jene Zeiten, in denen die Sucht die Oberhand hatte. Auch über seine Depressionen sprach der Musiker öffentlich, und darüber, dass er als Kind sexuell missbraucht worden war.

Es hat eine besondere Tragik, dass der Sänger nun im Tod eines der zynischeren Vorurteile über angeblich "echte Rocker" bestätigt: Bennington wurde mit 41 Jahren tot in seinem Haus in einem Vorort von Los Angeles aufgefunden. Als Todesursache wird ein Zusammenhang mit Benningtons Sucht- und psychischen Erkrankungen vermutet. Vor einigen Wochen hatte er noch bei der Trauerfeier für seinen verstorbenen Musikerfreund Chris Cornell gesungen, "Hallelujah" von Leonard Cohen.

In einem seiner letzten Interviews appellierte Bennington, Musikstars mehr als Menschen zu sehen. "Die Idee, dass Erfolg auch Glück bedeutet, macht mich wütend. Es ist irrwitzig anzunehmen, dass du immun bist gegenüber der ganzen Bandbreite menschlicher Erfahrungen, nur weil du erfolgreich bist."

Anmerkung der Redaktion: Wegen der wissenschaftlich belegten Nachahmerquote nach Selbsttötungen haben wir uns entschieden, in der Regel nicht über Suizide oder Suizidversuche zu berichten, außer sie erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Dann gestalten wir die Berichterstattung bewusst zurückhaltend und verzichten, wo es möglich ist, auf Details. Wenn Sie sich selbst betroffen fühlen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die schon in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten. Den allermeisten Menschen mit Depressionen kann geholfen werden. Deshalb ist es wie bei jeder anderen Erkrankung entscheidend, sich rasch professionelle Hilfe zu holen.

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