Süddeutsche Zeitung

Versöhnungs-Doku:Die Augen erzählen eine andere Geschichte

"Beyond Punishment" versucht, Opfer und Täter von Gewaltverbrechen zusammenzubringen.

Von Fritz Göttler

Große Augen hat der Junge, riesig groß, und immer, wenn er den Kopf hebt, dringt eine große Ratlosigkeit aus ihnen hervor. Aber auch eine magische Kraft, als wolle er versuchen, sein Gegenüber, die ganze Welt in Bann zu ziehen. Stiva hat seine Freundin Ingrid umgebracht, aus Eifersucht. Er war im Gefängnis und ist dann wieder freigekommen, nun lebt er allein, im Norden Norwegens, in einem privaten Gefängnis aus Erinnerungen, Schuld und Scham.

Zwei Welten will der neue Film von Hubertus Siegert zusammenbringen, die eigentlich brutal entgegengesetzt sind, die Welt der Opfer und die Welt der Täter von Gewaltverbrechen. Ein Film der Fluchtlinien, der Ausweich- und Abwehrbewegungen, der Rückzugsmanöver. Eine andere seiner Hauptfiguren, Patrick von Braunmühl, sieht man immer wieder durch Berlin radeln, in unaufhörlicher Unruhe.

"Restorative Justice" heißt das amerikanische Projekt, von dem der Film ausgeht, es wird betreut von einer ehemaligen Richterin. Sie organisiert mehrmals im Jahr eine Zusammenkunft in einem Hochsicherheitsgefängnis in Wisconsin, bei der Häftlinge mit Opfern oder deren Angehörigen zusammenkommen. Man sieht die Besucher, ältere und junge Frauen, in die Gänge strömen wie eine Sightseeing-Gruppe, dann sitzen sie im Kreis mit den Häftlingen, alle versuchen, ihr Unbehagen in den Griff zu kriegen, die Beklommenheit, wenn man über sich und seinen "Fall" spricht, über die Jugend und wie man geworden ist, der man nun ist.

Was "Restorative Justice" nicht macht, ist, ein Opfer mit seinem Täter zusammenzubringen. Genau das versucht nun Hubertus Siegert an drei Fällen. Patricks Vater, der Politiker Gerold von Braunmühl, ist im Oktober 1986 von der RAF ermordet worden. Den Täter kennt man nicht, aber Patrick hat sich, um das RAF-Umfeld zu erkunden, mit Birgit Hogefeld getroffen. Hubertus Siegert hat ihn mit einem anderen RAF-Mitglied konfrontiert, Manfred, der einen Polizisten erschossen hat, im Gefängnis war, begnadigt wurde. Neben Patrick und Stiva sind noch Leola und ihre Tochter Lisa Hauptfiguren, Afroamerikanerinnen aus der Bronx, deren Sohn Darryl von einem anderen Jungen, Sean, gekillt wurde.

Mit der Gefängnisstrafe, dem Einsperren vermengt sich hier ein anderes Verfahren der Gesellschaft, von Michel Foucault skizziert in seiner "Strafgesellschaft", der "Aufbau eines ganzen Netzes spezifischer Verpflichtungen, die mit Schulden vergleichbar sind, die man zurückzahlen muss, oder mit einem Schaden, den man wiedergutmachen muss". Leola und Lisa sind empört, weil Sean ein Geständnis verweigert: "Admit it, asshole, just admit it." Gib's zu, verdammt, gib's einfach zu.

Es ist, als lasse Siegert die Betroffenen ihren Fall noch einmal verhandeln, und das ist immer eine Frage von Darstellung und Selbstdarstellung, Glaubwürdigkeit und, am anderen Ende, Exhibitionismus. Zynismus kommt ins Spiel und Selbstmitleid. Mit müdem Revoluzzer-Pathos spekuliert Manfred über die Fatalität des Lebens: "Jeder hat seine Gründe gehabt, es ist so passiert, ich konnt' es nicht verhindern, du konntest es nicht verhindern, das Leben geht weiter. . ." Es gibt keine Worte, sagt Stiva, und die Augen erzählen immer eine andere Geschichte als die Worte. Sein Trauma, seine große Angst, nachdem er seine Strafe verbüßt hat, ist das Exponiertsein: "Dein Spiegelbild zu sehen in anderer Leute Augen."

Beyond Punishment, D 2915 - Buch, Regie, Produktion: Hubertus Siegert. Schnitt: Anne Fabini. Kamera: Marcus Winterbauer, Jenny Lou Ziegel, Börres Weiffenbach. Piffl Medien, 98 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 11.06.2015
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