Es muss sich ja nicht so elend lang hinziehen wie in Kafkas Türhüterlegende, in der der Rechtssuchende Jahre um Jahre "vor dem Gesetz" warten muss. Aber auch Suhrkamps Geduld ist auf eine harte Probe gestellt, der Bundesgerichtshof hat die Wartezeit des Verlags vor den Toren des Rechts soeben noch einmal unerbittlich verlängert. Die vom Verlag betriebene und von der Mehrheitsgesellschafterin, der Familienstiftung um Ulla Berkéwicz, so dringend herbeigesehnte Umwandlung in eine Aktiengesellschaft ist vorerst auf Eis gelegt.
In der Tat ist die Umwandlung, der Kern des Insolvenzplans, für den Verlag von elementarer Bedeutung. Nur sie kann, so sehen es längst nicht mehr nur die Verlagsleitung und der Sachwalter des Insolvenzverfahrens, nur sie kann den äußerst verlustreichen Konflikt zwischen den verfeindeten Verlagsgesellschaftern zivilisieren.
Welche Lage hat der BGH also geschaffen? Letztlich geht es um die vom Berliner Amtsgericht ausgesprochene Bestätigung des Insolvenzplans. Gegen diesen Beschluss hatte Hans Barlach, der Minderheitsgesellschafter und grimmige Gegner der Umwandlung, Beschwerde eingelegt, die aber vom Landgericht in zwei parallelen Beschlüssen als unzulässig verworfen wurde.
Dies wiederum akzeptiert der BGH nicht. Er gab Barlachs Rechtsbeschwerde statt, hob die abweisenden Beschlüsse des Landgerichts auf mit der Maßgabe, dass die Berliner Richter die Sache erneut prüfen müssen. Es geht um rein prozessuale Probleme. Aber auch die können bekanntlich ihre Tücken haben.
Jede Klage vertiefte das Zerwürfnis weiter
Da außer den beteiligten Juristen kaum noch einer den Überblick über die verwickelten Konflikte in der Causa Suhrkamp hat, zunächst eine kurze Rekapitulation: Seit Barlach im Jahr 2006 von Andreas Reinhart die Minderheitsanteile gekauft hat, herrscht zwischen den beiden Kontrahenten Krieg. Inzwischen dauert er bald acht Jahre, ohne dass er an Intensität und Mittelverschleiß nachgelassen hätte.
Schauplätze sind die Gerichtssäle, weit mehr als 30 Verfahren wurden eingeleitet, in denen alles, was für den Verlag von Bedeutung ist, zum Streitgegenstand wurde. Sei es die verlegerische Linie, sei es die Profitabilität, sei es die Qualifikation als Verlagsleiter oder Mitunternehmer, sei es der Umzug Suhrkamps von Frankfurt nach Berlin, sei es die Trennung von Privat- und Verlagsangelegenheiten in der Geschäftsführung, seien es Vertrauensbrüche, Vorschüsse für Großautoren oder sei es schlicht die Verwendung des Gewinns - jede Klage vertiefte das Zerwürfnis weiter.
Immerhin hat man 2009 versucht, sich durch eine umfassende Neugestaltung der Gesellschaftssatzung doch zusammenzuraufen. Der Verlag war und ist als Kommanditgesellschaft organisiert, und Barlach wurden mit der Vertragsänderung sehr viel mehr Mitspracherechte eingeräumt, als sie ein normaler Kommanditist besitzt.
Doch die Lage wurde damit nicht befriedet, das Unheil nahm nun erst recht seinen Lauf. Barlach hatte jetzt wirksame Hebel in der Hand, mit denen er die Verlagsleitung massiv unter Druck setzen konnte. Für positive Mitunternehmerschaft reichten die Instrumente nicht, aber für destruktive Veto-, Blockade- und Störmanöver allemal.
Hierin liegt der Grund, warum dem Verlag so viel an der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft liegt. Barlach behielte in der AG seinen 39-Prozent-Anteil, doch auf die Geschäftsführung könnte er als Aktionär keinen Einfluss nehmen, er wäre entmachtet. Genauer gesagt, seine Rolle würde in der AG auf das reduziert, was sie ursprünglich zu sein hatte: die Rolle eines Investors, nicht mehr die eines Mitverlegers.
Wenn aber alles mit dem Insolvenzplan steht und fällt, kommt es darauf an, ob er wirksam wurde. Die Gläubiger stimmten dem vom Verlag aufgestellten Plan im vergangenen Oktober zu - nur Barlach stimmte dagegen.
Da das Insolvenzgericht den verabschiedeten Insolvenzplan bestätigte, wird jetzt in den Beschwerdeverfahren "nur" noch darüber gestritten, ob das Gericht die Bestätigung zu Recht ausgesprochen hat oder nicht. Aber natürlich liegt der Teufel im Detail. Die Hauptfrage lautet, welche Schlüsse die BGH-Entscheidung, auch wenn sie nur prozessuale Fragen klärt, für den endgültigen Ausgang dieses sehr speziellen, für Suhrkamp aber existenziellen Streits zulässt.
Auf das Hauptargument Barlachs wird gar nicht eingegangen
Aus der Begründung lässt sich nur Indirektes entnehmen. Auffällig ist allerdings, dass der BGH mit keinem Wort auf die Behauptung Barlachs eingeht, die Verlagsleitung habe die Insolvenz des Verlags rechtsmissbräuchlich selbst herbeigeführt.
Das war ja das Hauptargument, mit dem Barlach das Insolvenzverfahren von Anfang an zu Fall zu bringen suchte. Doch weder das Insolvenzgericht noch der BGH ließen sich darauf ein, ebenso wenig wie sie es auch nur der Rede für wert hielten, dass Barlach durch die Umwandlung verfassungswidrig enteignet werde.
Dennoch hat es die Begründung des Gerichts in sich. Den größten Teil ihrer Aufmerksamkeit widmen die Karlsruher Richter der Frage, ob Barlach gegen die Beschlüsse des Amts- und Landgerichts Berlin Beschwerde einlegen könne. Denn Barlach hatte bei der Verabschiedung des Insolvenzplans im Oktober 2013 zwar dagegen gestimmt, aber in dem Termin nicht glaubhaft gemacht, dass der Plan ihn wesentlich schlechter stelle, als wenn die Insolvenz ohne den Plan durchgeführt werden würde.
Die Berliner Richter sprachen ihm wegen dieser Unterlassung das Recht zur Beschwerde ab, die Karlsruher Richter hingegen bescheinigten ihm, dass er die von ihm behauptete "Schlechterstellung" noch im gerichtlichen Verfahren glaubhaft machen könne. Das sieht aus wie der Streit um des Kaisers Bart, ist es aber nicht.
Denn der BGH deutet an, er halte es für möglich, dass Barlach eine Benachteiligung durch den Plan tatsächlich darlegen könne. In diesem zentralen Punkt aber, so scheint es, hat sich das höchste Gericht nicht hinreichend mit der Lage Suhrkamps vertraut gemacht.
Der BGH meint, dass Suhrkamp nach Abschluss der Insolvenz alle Gläubigerforderungen begleichen und trotzdem den Verlagsbetrieb fortsetzen könne, eine Umwandlung in die AG sei daher womöglich nicht nötig und wäre dann ungerechtfertigt zu Barlachs Nachteil. Doch damit stellen die Karlsruher Richter die Fakten und Prognosen für Suhrkamp auf den Kopf.
Zum einen, weil der Plan entgegen der Unterstellung des BGH gar nicht vorsieht, dass alle Gläubiger befriedigt werden, im Gegenteil, den beiden Gesellschaftern wird auferlegt, auf Gewinnforderungen in Millionenhöhe zu verzichten.
Zum anderen verkennen die Richter das Ausmaß der Misere des Verlags, nämlich die aussichtslos verfestigte Feindschaft zwischen den Gesellschaftern, die nur in der neutralisierenden Konstruktion der AG beherrschbar und entdramatisiert werden kann. Ohne Kapitalerhöhung kommt der Verlag nicht aus der Krise - und kein Dritter, kein Investor, kein mäzenatisch motivierter Helfer wird in Suhrkamp investieren, solange Barlach über seine Blockade- und Vetohebel verfügt.
Ohne den Insolvenzplan stünde Barlach mit leeren Händen da
Der Einzige, der unter diesen Umständen Kapital zuschießt, wäre Barlach selbst (im Zweifel mit Hilfe seiner Kompagnons) - doch mit einer Verschiebung der Kapitalanteile zu seinen Gunsten würde man aus Sicht der Mehrheitsgesellschafterin den Bock zum Gärtner machen. Nie und nimmer würden sich die Stiftung und die Autoren Suhrkamps darauf einlassen.
Überhaupt lässt der BGH die rechtliche Stellung, Bedeutung und Eigeninteressen der Autoren außer Betracht. Nicht nur, dass jeder Insolvenzplan auch von ihnen als Gläubiger des Verlags abgesegnet werden muss. Vielmehr haben sie wegen des außerordentlichen Kündigungsrechts ihres Autorenvertrags ein Wörtchen mitzureden, sobald sich die Mehrheitsverhältnisse der Gesellschaft entscheidend verändern.
Alles in allem stünde Barlach, gäbe es den Insolvenzplan nicht - würde Suhrkamp also in normaler Insolvenz abgewickelt, das heißt liquidiert - mit leeren Händen da. Wird der Plan realisiert, besitzt er hingegen einen (Aktien-)Anteil an einem sich wieder erholenden, funktionierenden Verlagsunternehmen mit dem ganzen Potenzial, das Suhrkamp eben hat.