Seit die Authentizität in unseren hyperindividualisierten Leistungsgesellschaften das wichtigste Verkaufsargument von allen geworden ist, quellen die deutschen Innenstädte geradezu über vor Liebe und Zuwendung. Jede Brezel wird "liebevoll" "für Sie" "zubereitet", jeder Schal handgewoben. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Handschrift: Die Schilder, die in den Schaufenstern der veganen Kuchencafés die Öffnungszeiten anzeigen, sind natürlich mit der Hand geschrieben. Die Angestellten der großen amerikanischen Kaffeehauskette versehen die Kunststoffbecher vor der Transaktion handschriftlich mit Vornamen. Und die Angestellten der großen Buchhandelsketten individualisieren ihr Sortiment, indem sie besondere Bücher mit handgeschriebenen Notizen versehen. In vollautomatisierten Fertigungsprozessen ist die Handschrift der Beweis, dass ein anderer Mensch das Produkt, bevor man es kauft, schon einmal in der Hand gehabt haben muss. Während an die Existenz authentischer, unverkünstelter Kulturen niemand mehr glauben mag, ist das letzte unbestreitbar Echte die bloße menschliche Berührung.
Insofern ist die Idee des Rowohlt-Verlags, seine Bücher vor dem Versand erstens in Geschenkpapier einzuwickeln und zweitens mit einer persönlichen Notiz zu versehen, diese aber konsequent gedruckt zu vervielfältigen, als Kritik dieser falschen Authentizität zu verstehen. Für Gilles Deleuze entsteht das Individuelle durch den Wechsel von Repetition und Abweichung. Auf diesen Gedanken spielt Rowohlt an, wenn es jetzt die Abweichung - die Handschrift - in vielfacher identischer Ausführung unter die Leute bringt und so darauf aufmerksam macht, dass es sich dabei selbst um Repetition handelt. Das Authentische, so Rowohlt und Deleuze, ist nur eine Täuschung.