Verlage gegen neue Rechtschreibung:Die Karre aus dem Graben ziehen

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Mit ihrer Rückkehr zur alten Rechtschreibung wollen die drei Verlagshäuser schaffen, was die Kultusminister versäumt haben. Sie reagieren auf eine Situation, die für sie nicht länger hinzunehmen war.

Von Hermann Unterstöger

Vor ein paar Wochen gab es im Hamburger Spiegel-Haus das, was man landläufig ein konspiratives Treffen nennen würde, nur dass die kleine Sitzung eben nicht auf Anrüchiges gerichtet war, sondern auf einen in den Augen der Beteiligten - und nicht nur in deren - nötigen und heilsamen Umsturz.

Die Emissäre des Spiegels, der Axel Springer AG und der Süddeutschen Zeitung (SZ) suchten sich darüber zu verständigen, ob, wie und wann die Rechtschreibreform in den von ihnen vertretenen Häusern zurückgenommen und an deren Stelle die "klassische", vulgo: alte, Orthographie wieder eingeführt werden könnte.

Folge dieser Überlegungen ist die Entscheidung der SZ, des Spiegels und der Springer-Blätter, zu einem noch zu benennenden Zeitpunkt zur alten Rechtschreibung zurückzukehren. Die drei Häuser reagieren damit auf eine Situation, die für sie nicht länger hinzunehmen war.

Fataler Eindruck der Kultusministerkonferenz

Die neue Rechtschreibung, die 1996 für Deutschland, Österreich und die Schweiz beschlossen worden war und im August 2005 für Schulen und Behörden verbindlich werden soll, wurde von der Bevölkerung keineswegs so angenommen, wie die Initiatoren sich das vorgestellt hatten.

Die Quote der Ablehnung ist hoch wie eh und je; besonders bei den Schriftstellern stößt das Reformwerk auf teils erbitterten Widerstand. Unter den großen Blättern war es die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), die nach einem Jahr der Erprobung wieder die herkömmliche Schreibung praktizierte.

Was die Lage vollends fatal machte, war der Eindruck, die Kultusministerkonferenz, Herrin des Verfahrens immerhin, sei nicht gewillt, die meistgerügten Fehlleistungen der Reform zu reparieren beziehungsweise durch die mit der Sache betraute "Zwischenstaatliche Kommission" reparieren zu lassen.

Kollateralschäden der neuen Rechtschreibung

Man kann ja nicht sagen, dass die Reform in all ihren Elementen auf Widerstand gestoßen wäre. Die am deutlichsten sichtbare Änderung, ss statt ß nach kurzem Vokal (Kuss statt Kuß), fand im schreibenden Volk Anklang und hatte unbeschadet nunmehr neuer Fehler (Buss statt Bus) das Zeug dazu, Allgemeingut zu werden.

Für Irritation sorgte da schon eher die Idee, Wendungen wie im Einzelnen großschreiben zu lassen, statt sie, ihrem adverbialen Charakter entsprechend, einer umfassenden Kleinschreibung zu unterwerfen. In die dichteste Finsternis führten Regeln der Getrennt- und Zusammenschreibung, die Neubildungen wie tief greifend oder die viel beredete (früher: vielberedete) Fügung sitzen bleiben mit sich brachten.

Die Kollateralschäden daraus traten bald zutage. Nicht nur, dass Komposita samt ihren doch etwas anderen Betonungen Gefahr liefen, aus dem Schreibgebrauch und damit auch aus den Wörterbüchern zu verschwinden. Es trat auch eine neue Generation von Fehlern auf den Plan, völlig absurde Getrenntschreibungen à la um zu stimmen statt umzustimmen, die sich weder die Befürworter noch die Gegner der Reform hätten träumen lassen.

Ein vernünftiges Ende für eine endlose Geschichte

Selbst wenn es stimmt, dass sie weniger der Reform zur Last zu legen sind als vielmehr einer weit verbreiteten (früher: weitverbreiteten) generellen Rechtschreibschwäche, so war es doch die Reform, auf deren Boden die Verwirrung erst richtig gedeihen konnte.

Wenn nun den an der Umkehr beteiligten Häusern unterstellt wird, sie öffneten einem "orthographischen Chaos" (so der nordrhein-westfälische Kulturminister Michael Vesper) Tür und Tor, ist dazu zweierlei zu sagen.

Zum einen besteht solch ein Chaos jetzt schon, und zwar nicht zuletzt dank der vielen deutschen Kultusminister, deren Pflicht es gewesen wäre, den sozusagen schlafenden Hund Rechtschreibreform schon viel früher zu wecken.

Pferde gehen durch

Die Zeitungen versuchen das an ihrer Stelle zu tun und hoffen sehr darauf, dass die Kultusministerkonferenz das Verfahren an sich zieht und die endlose Geschichte mit Vernunft zu einem Ende bringt.

Wie dieses Ende aussehen wird, ist heute nicht zu sagen. Eine "Rückkehr" muss nicht die ausnahmslose Wiederherstellung des Status quo ante meinen. Sowohl der Spiegel als auch das Haus Springer und mehr noch die SZ favorisieren eine Lösung, die das Alte in seine Rechte setzt, ohne das praktikable Neue zu desavouieren.

Es wäre unsinnig, wenn Teile der Reform, die der Transparenz der Schreibung dienen, nun in den Graben fielen, nur weil die Pferde durchgehen.

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