Verlag:Kommt! Zu! Uns!

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Claudia Baumhöver spricht von sich als "Inhaltsmensch" und freut sich über den "irren Verlag", den sie nun leitet. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Die neue DTV-Verlagschefin Claudia Baumhöver erzählt erstmals von ihren Zielen: Sie will Traditionen bewahren - und zugleich weitere Autoren ans Haus binden

Von Antje Weber

Bereits ihr früheres Büro im Hörverlag soll ja ausnehmend schön gewesen sein. Der riesige Raum, in dem Claudia Baumhöver nun bei DTV residiert, ist jedoch kaum noch zu übertreffen. Allein der Rundblick vom sechsten Stock des Verlagsgebäudes in der Tumblingerstraße auf den nahen Schlachthof und die fernen Alpen - "mehr München geht nicht", sagt sie selbst. Und dann die Einrichtung: schwere alte Ledersofas, in denen schon Heinrich Böll versank. Dazu ein neuer, vier Meter langer Tisch, an dem man "miteinander arbeiten, essen, feiern und sich direkt gegenüber sitzen kann". Wie beim Verlegen sei das, sagt Baumhöver: "Man soll Altes bewahren und Neues hinzufügen."

Genau zu diesem Zweck sitzt oder vielmehr wirbelt sie seit Januar an der Spitze der DTV Verlagsgesellschaft, wie sich der Deutsche Taschenbuch Verlag seit neuestem nennt. Mit seinen 55 Jahren ist der schon ein "großer alter Verlag", wie Baumhöver mit einiger Bewunderung sagt, ein Unternehmen mit einer bedeutenden Tradition und einer "besonderen DTV-DNA". Sie selbst war zuvor ja in einer sehr viel jüngeren Branche tätig, hat selbst erst das Medium Hörbuch höchst erfolgreich im Bewusstsein von Käufern und Verlegern verankert. Und sie denkt gerne an ihre Akustik-Ära zurück, die im Mammutprojekt "Ulysses" von James Joyce gipfelte: "Wir haben wunderbare Sachen gemacht, es war großartig."

Dass die Gesellschafter des DTV-Verlags - die Ganske-Gruppe, C. H. Beck, Hanser und Oetinger - nun gerade sie als Nachfolgerin des langjährigen Chefs Wolfgang Balk auswählten, leuchtet ein. Nicht nur, weil Baumhöver schon vom Hörverlag her an eine Struktur mit mehreren Gesellschaftern gewöhnt war. Nicht nur, weil sich nach dem Verkauf des Hörverlags an Random House womöglich zeigte, dass Konzerne ebenfalls eine sehr eigene DNA aufweisen. Und nicht nur, weil diese Frau bewiesen hat, dass sie eine besonders feine Nase für den Erfolg hat. Sondern weil da ein "Inhaltsmensch", wie sie es selbst formuliert, restlos begeistert ist von dem "irren Verlag", in dem sie gelandet ist: "Es passt einfach fabelhaft."

Entsprechend schwärmt sie in ihrem ersten Interview seit Amtsantritt erst einmal los: vom Aufbau dieses größten unabhängigen Publikumsverlags, der ja mit inzwischen 65 Millionen Euro Umsatz einer der großen Player der Branche ist und mit seinen vielen Bereichen Belletristik, Sachbuch, Unterhaltung sowie Kinder- und Jugendbuch ungewöhnlich breit aufgestellt. Dieses "große Ganze" sei einer der Gründe gewesen, warum sie sich zum Jobwechsel habe "verführen lassen", sagt sie. Einmal angekommen, traf sie auf Menschen, die sie "jeden Tag beflügeln". Sie schätzt die "ungeheure Kontinuität" des Verlags, die sich auch darin zeigt, dass sie nur zwei Vorgänger hatte, Heinz Friedrich und Wolfgang Balk. Und Baumhöver ist hingerissen von der großen verlegerischen Freiheit, mit der man hier "einen Spagat von Diderot zu Madman" machen oder sich, wie gerade geschehen, auf ein großes Humboldt-Projekt einlassen könne: "Fünf Millionen Zeichen!" Ein Koloss von Projekt, bei dem man erst nach der Entscheidung "Machen wir!" über die Finanzierung nachzudenken begann.

Zur speziellen DNA des Verlages gehört für die neue Chefin aber auch die Art, wie man miteinander umgeht, welche Dinge man wertschätzt und welche fürchtet - und sehr viel Bescheidenheit. Vielleicht manchmal zu viel. Denn Baumhöver wittert auch "unternehmerisch eine unglaubliche Chance" angesichts dieses "Juwels, das an einigen Stellen ungeputzt ist". Vor allem die Hinwendung zum Hardcover, die ihr Vorgänger zuletzt begann, will sie vorantreiben. Sie will dabei "ein größeres Selbstbewusstsein vermitteln", will auch neue Autoren ans Haus binden. Am liebsten wäre ihr ein Zeitungsartikel mit der Überschrift "Kommt zu uns!", scherzt sie. Denn man könne Autoren inzwischen so viele Möglichkeiten bieten, vom Taschenbuch über DTV premium bis zum Hardcover, in den unterschiedlichen Genres. Auch im digitalen Bereich übrigens, den sie ebenfalls weiterentwickeln will. "Wir können querspielen", sagt sie und verheißt so selbstbewusst wie angekündigt: "Wir können jetzt alles!"

Dazu gehört auch die Quervermarktung, die Baumhöver, vernetzt wie sie in der Branche ist, bereits gut beherrscht. Mit dem Herbstprogramm, das erstmals ihre Handschrift trägt, führt sie es am Beispiel John Williams vor - für sie eine "Blaupause für mediale Komplettvermarktung". Der postume Bestseller-Autor von "Stoner" und "Butcher's Crossing", für Deutschland vor einigen Jahren von Cheflektorin Patricia Reimann entdeckt, hat dem Verlag bereits glänzende Verkaufszahlen beschert. Nun präsentiert man sein Hauptwerk "Augustus", mit einer satten Startauflage von 100 000 Exemplaren. Das Werk über den römischen Kaiser wird sechs Sommerwochen lang von den Rundfunkanstalten der ARD vorgestellt werden, parallel dazu erscheint ein mit 34 Stimmen aufwendig produziertes Hörbuch (in Baumhövers ehemaligem Verlag natürlich: "Die können es!"). Es gibt Sound-Maps dazu, Video-Material, Präsentationen aller Art: "Das ist die Form der Vermarktung", sagt Baumhöver, "mit der wir gerade hochkomplexer Literatur einen breiten Rahmen geben können."

Ach ja, ein aufwendiges Lesebändchen hat man dazu auch gestaltet, in dem wichtige Zitate hervorgehoben sind. Zum Beispiel eines von Octavius Cäsar, das so beginnt: "Ich verstand jedoch wohl eher durch Instinkt als Klugheit, dass der, den das Schicksal zur Veränderung der Welt erwählt, sich zuallererst selbst verändern muss. Will er seinem Geschick treu bleiben, muss er in sich eine harte, geheime Seite finden oder schaffen". Kann Baumhöver mit solchen Sätzen selbst etwas anfangen? "Die sind zutiefst wahr", findet sie, man entwickele sich ja ständig weiter, und Macht-Positionen würden einen Menschen natürlich ebenfalls verändern. Und was das spezielle Thema Frauen und Macht angeht, so ergänzt sie: Zwar sei sie nicht an Macht als solcher interessiert, "aber ich mach's. Und ich bin wahnsinnig gern der Chef vom Team." Wichtig sei nur eines: "Sie müssen Visionen entwickeln!"

Baumhöver selbst schafft es, klare Ziele zu benennen und zugleich größtmögliche Offenheit und Flexibilität auszurufen. Denn einerseits glaubt sie an eine Zukunft des Verlags, in der das oft totgesagte Taschenbuch ebenso seinen Platz hat wie das E-Book. Doch wer wisse andererseits angesichts von Problemen wie zum Beispiel der Urheberrechtsfrage und der kargen politischen Unterstützung für die Verlage schon, wie deren Lage in einigen Jahren aussehen werde? "Wir stochern ja alle nur im Nebel." Baumhöver hat im Audio-Bereich bereits erlebt, wie eine Technik-Revolution auf die andere folgte: "Alles hängt davon ab, wie schnell wir uns auf das Neue einstellen können und wie treu wir trotzdem der alten Welt bleiben." Und genau da kämen doch die Bücher ins Spiel, findet die Verlegerin: "Die Literatur erklärt uns die Welt." Claudia Baumhövers wichtigster Auftrag an sich selbst ist daher immer derselbe: "Etwas soll bleiben."

© SZ vom 18.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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