Verkehr:Das Auto als Freiheitsmaschine hat keine Zukunft

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Ferien am Meer, um 1950: Als die Verheißung der automobilen Freiheit gerade richtig Fahrt aufnahm. (Foto: imago/Gerhard Leber)

Deutsche Politik und Industrie halten an einem überholten Mobilitätsbegriff fest. Wie es geht, zeigen andere.

Von Jörg Häntzschel

Die Deutschen wollen einfach keine Elektroautos kaufen. Nicht einmal dann, wenn der Staat 4000 Euro zuschießt. Die Kaufprämie wurde vor sechs Wochen eingeführt, sie gilt rückwirkend seit 18. Mai. Doch bis Anfang August wurden erst gut 1000 Anträge eingereicht, viel weniger als erwartet. Die Prämie sollte helfen, die Zahl der E-Autos von 25 000 Anfang 2016 auf eine Million im Jahr 2020 zu bringen. Doch das ist kaum noch realistisch. Zum Vergleich: In Norwegen fahren 15 Prozent der Neuwagen mit Strom. Ein Gesetzentwurf sieht vor, "Verbrenner" von 2025 an ganz zu verbieten.

In der Autobranche und in der Politik wiegt man die Köpfe. Wie ist der Flop zu erklären? Dabei liegt die Antwort auf der Hand. Es gibt nicht genügend Ladestationen, um die Elektroautos mit ihren geringen Reichweiten außerhalb der Städte zu brauchbaren Alternativen zu machen. Doch statt zu tun, was viel eher staatliche Aufgabe wäre, nämlich beim Aufbau eines Netzes von Ladestationen zu helfen, verschenkt die Regierung ein paar Euros in der Hoffnung, der Rest werde sich irgendwie finden. Doch er findet sich nicht: Die Energiekonzerne haben zurzeit andere Sorgen, und Deutschlands Autofirmen, die die Elektroautos vor allem brauchen, um die Durchschnittsemissionen ihrer Flotten zu senken, warten ab.

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Dabei ist sich zumindest die Politik des Ernstes der Lage bewusst: "Wir stehen weltweit vor der Neuerfindung der Mobilität", verkündete Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der die Prämie gegen viel Widerstand durchgesetzt hat. Und ergänzte zu Recht, die treibenden Kräfte seien nicht deutsche Firmen, sondern Firmen wie Google, Apple, Tesla. Verkehrsminister Alexander Dobrindt sagte: "Wir erleben eine Entwicklung, bei der wir nicht wissen, ob die Top-Hersteller von heute noch die Top-Hersteller in zehn Jahren sein werden."

Die Trennung von öffentlichem und individuellem Verkehr löst sich auf

Doch trotz dieser Einsichten halten Politik und Industrie an einem antiquierten Mobilitätsbegriff fest. Die Prämie ist dafür nur ein Symptom von vielen. Die Zukunft des Fahrens? Das ist für sie nur eine etwas modernere, etwas umweltfreundlichere Version des heutigen Autos. Was sie verdrängen, ist, dass es in Zukunft weniger um das einzelne Fahrzeug gehen wird als um die Systeme und Netze, in die es eingebunden ist. Und dass dafür ein radikaler Bewusstseinswandel nötig sein wird, für den es in Deutschland kaum Anzeichen gibt. Die deutschen Firmen verhalten sich wie ein Schreibmaschinenhersteller, der Ende der Achtziger Millionen für die Entwicklung eines neuen Farbbandeinzugs ausgibt, statt an PC und Internet zu arbeiten.

Elon Musk, dessen kalifornischer Auto-Start-up Tesla Marktführer bei den Elektroautos ist, hat die Zeichen der Zeit hingegen erkannt. Seine Autos sind teuer - die Oberklasse-Limousine Tesla S kostet 70 000 Euro. Allerdings ist das Stromtanken im Preis inbegriffen. Geht die Batterieladung dem Ende entgegen, findet das Auto den nächsten "supercharger", der das Auto in 30 Minuten lädt. Mittlerweile hat Musk auch in Europa so viele Ladestationen installiert, dass man mit seinen Autos von Sizilien bis Norwegen fahren kann.

Teslas Produkt ist also nicht nur das Auto, sondern auch die Infrastruktur. Dass es ihm um mehr geht als nur um teure E-Limousinen, zeigt schon, dass Musk unter anderem den Solarstrom-Giganten Solar-City betreibt. Mit dem Betrieb der Ladestationen hat Musk übrigens die Bahn-Tochter DB Energie beauftragt. Die alte Trennung von öffentlichem und Individualverkehr verfließt zunehmend. Der Cowboy auf seinem Pferd als Urahn des Autofahrers verabschiedet sich für immer in den Sonnenuntergang. Die Zukunft des Fahrens ähnelt eher dem Postkutschensystem.

Die schleichende Entmachtung des Fahrers ist längst im Gange

Doch mit Systemen haben es die alten Autobauer nicht. Obwohl sich das von ihnen mitverkaufte Freiheitsversprechen des Autos immer schwerer einlösen lässt, halten sie stur am Auto als Individualismusmaschine fest. Unabhängigkeit, also Nicht-Vernetztheit, ist das wichtigste Verkaufsargument. Wer vernetzt sein will, kann ja Straßenbahn fahren. Das einzige Netz, das die westliche Autokultur toleriert, ist das Straßennetz. Doch auch dessen Beschränkungen sind zu viel der Gängelung. Kaum ein Werbespot kommt ohne Bilder von Off-Road-Eskapaden aus. Die Zivilisation zu verlassen, durch Wüsten und über Lavafelder zu jagen wie ein Puma, das ist das Ideal. Um diesen Traum wahr zu machen, schrauben Ingenieure seit 100 Jahren an Motoren. Nur lösen sie damit Traumprobleme, die realen bleiben liegen.

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Dabei sind die unausweichliche Zivilisierung des Autoverkehrs und die schleichende Entmachtung des Fahrers längst im Gange. Es begann mit den Navigationsgeräten. Eben war der Fahrer noch autonom, wenn auch schlecht informiert, nun muss er an jeder Ecke abwägen, ob er dieser Instanz folgt oder nicht. Die ersten Navi-Käufer konnten auf einen Souveränitätszuwachs hoffen: Die vom Himmel gefunkten Informationen würden es ihnen erlauben, der Masse der ahnungslos in den Stau rollenden anderen Fahrer ein Schnippchen zu schlagen. Doch seit jeder ein Navi besitzt, hat sich der Effekt umgekehrt. Aus einem wilden Haufen selbst entscheidender Fahrer ist ein Kollektiv wider Willen geworden, geführt von einem Chor digitaler Frauenstimmen, die allen dieselben Anweisungen geben.

Mit den neuen Telematik-Tarifen der Kfz-Versicherer ist die nächste Stufe dieses Kulturwandels erreicht. Ein Sender funkt dabei pausenlos die Position des Wagens und Informationen zur Fahrweise zu den Versicherungsservern. Wer langsam bremst und beschleunigt, gemächlich in die Kurven geht und das Tempolimit nicht überschreitet, kann "Medaillen" gewinnen und spart bis zu 30 Prozent Prämie. Es gibt viele Gründe, den Disziplinierungseffekt zu loben, ebenso viele, ob der permanenten Überwachung die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen. Und was autoritäre oder auch nur um das Wohl von Fußgängern und Radfahrern bemühte Staaten mit dieser Technik noch alles anfangen werden, kann sich jeder leicht vorstellen.

Klar ist aber schon jetzt: Heutige Autos wurden zu dem Zweck gebaut, all das besonders gut zu tun, was von den Telematik-Versicherungen bestraft wird: jäh beschleunigen und abbremsen, durch Kurven donnern, rasen. Sie panzern den Fahrer auf immer barockere Weise, sie heben ihn hoch über den Verkehr und lassen ihn hinter Fensterluken verschwinden. Während die Autos dem Fahrer also das Maximum an Rücksichtslosigkeit und asozialem Verhalten erlauben und das Risiko minimieren, dabei zu sterben, erzieht die Versicherung den Fahrer zum disziplinierten, kooperativen Mitglied der Gemeinschaft.

Es geht dabei um mehr als nur Sicherheit. Zum einen ist mit der Telematik-Box die Vernetztheit des Autos durchgesetzt. Zum anderen wird damit ein neuer Fahrstil als vorbildlich festgeschrieben, der im Gegensatz zum gängigen "sportlichen" Ideal des Autofahrens steht, und der weder das Potenzial heutiger Autos noch die Grenzen des Erlaubten auch nur annähernd ausreizt. Selbst dort, wo auf der Autobahn kein Tempolimit gilt, bringt Fahren über 130 Strafpunkte. Unter diesem Vernunft- und Überwachungsregime wird menschliches Fahren dem der selbstfahrenden Autos so weit wie möglich angenähert.

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Immer öfter nimmt die Elektronik dem Fahrer aber schon jetzt die Zügel aus der Hand. Neue Wagen mit entsprechender Ausstattung halten das Auto in der Mitte der Spur; sie sorgen für konstanten Abstand zum Vordermann und bremsen ab, wenn ein Hindernis auftaucht. Nähert sich der Wagen dem Ziel, beginnt er, Parklücken zu vermessen. Einparken kann er natürlich auch. Noch verkaufen die Autohersteller diese Funktionen als Ermächtigungsinstrument für den Fahrer, wie früher das Navi. Tesla nennt es "Driving Assistant". Doch niemand bezweifelt, dass sich das hierarchische Verhältnis von Fahrer und "Assistent" umkehren wird. Die Fahrhilfen werden dem Menschen - und seiner Versicherung - seine Zerstreutheit, Emotionalität, Verantwortungslosigkeit vorführen und immer mehr seiner Aufgaben übernehmen. Bei BMW heißt der Helfer schon "Autopilot".

Die Firmen haben fast verschlafen, dass in Zukunft die Software immer mehr Funktionen der Hardware übernimmt

Niemand zweifelt allerdings auch daran, dass Firmen wie BMW denkbare schlechte Voraussetzungen besitzen, um "Autopiloten" zu entwickeln. Die alten Konzerne geben noch immer Milliarden dafür aus, die Stärken der alten Autos noch stärker zu machen: noch irrere Motoren, noch luxuriösere Sitze. Nie waren Autos so groß und potent wie heute. Dabei gibt es jenseits von Rennstrecken und deutschen Autobahnen keinen Ort, an dem diese Leistung gebraucht wird.

So haben die Firmen fast verschlafen, dass in Zukunft die Software immer mehr Funktionen der Hardware übernimmt. Wenn in zehn oder 20 Jahren Autos selbständig fahren, gehört der Motor, der in fünf Sekunden von null auf 100 beschleunigt, der Vergangenheit an. Es wird auch keine Karosserie mehr gebraucht, die dem Fahrer, der mit 180 besoffen aus der Kurve fliegt, das Leben rettet. Es wird kaum noch Unfälle geben. Keine Batterie wird stark genug sein, Panzerkreuzer wie den 7er-BMW oder die S-Klasse durch die Straßen zu schieben. Doch solange die Konzerne mit Sauriern wie diesen noch die größten Gewinne machen, können sie sich aus ihrer Verstrickung in die eigene Geschichte kaum lösen.

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Google und Apple, die sich vor ein paar Jahren in die Autoentwicklung gestürzt haben, sind frei von all dem. Und da bald Daten statt Blech zum wichtigsten Rohstoff der Branche werden, sind sie den alten Autofirmen weit voraus, wenn es darum geht, die ignorierten Probleme des Autoverkehrs endlich zu lösen: die Ablösung des Verbrennungsmotors, die Staus in den Städten, die noch immer viel zu hohen Unfallzahlen. Sie wären auch die Einzigen, denen die Überwindung des überkommenen Eigentumsmodells zuzutrauen ist: BMW, Mercedes und andere haben zwar ihre Car-Sharing-Programme, doch solange die Firmen fast ausschließlich vom Verkauf der Autos leben, solange die Systeme nicht smarter und billiger werden, wird sich an den zugeparkten Städten wenig ändern.

Angesichts des Klimawandels kann es nicht so weitergehen wie bisher

Aus Idealismus handeln Google und Apple nicht. Ihre Betriebssysteme laufen auf 90 Prozent der Smartphones weltweit. Die kartografischen Daten, die sie seit Jahren für ihre Handys sammeln, sind der Wissensgrundstock der selbstfahrenden Autos. Und Google hat die Welt ohnehin genauer vermessen als jeder andere. Schon seit Jahren bauen beide Firmen die Autoversionen ihrer Betriebssysteme in möglichst viele Neuwagen ein. Jeder gefahrene Kilometer produziert mehr wertvolle Daten. Nun bauen sie eben auch noch die Fahrzeuge drumherum. Genetisch wird das selbstfahrende Auto dem Handy vermutlicher näherstehen als dem BMW X6.

Um zu verstehen, wie weit die Zukunft des Fahrens von der deutschen Realität entfernt ist, muss man nur Sergey Brin hören, den Mitgründer und CEO von Google. Nach einer Testfahrt mit dem Google-Auto schwärmte er: "Man sitzt einfach da. Kein Steuerrad, keine Pedale - ich fand es sehr entspannend." Einfach dasitzen? Entspannen? Das ist wohl das Letzte, was sich die wünschen, die noch in der Tempo-30-Zone versuchen, die im Büro erlittene Demütigung mit dem Gaspedal zu kompensieren; die Familienkutschen kaufen, die aussehen wie Kreuzungen aus Hightech-Sneaker und Panzerspähwagen.

Dass es angesichts des Klimawandels nicht so weitergehen kann wie bisher, ist aber allen klar. Doch was passiert? Der Staat wirft Autokäufern ein bisschen Geld hin und lässt sonst alles beim Alten. Solange man auch noch Diesel und E10 fördert, sich von Volkswagen an der Nase herumführen lässt, über Jahre Schadstoffkonzentrationen in den Städten zulässt, die weit über den EU-Grenzwerten liegen, solange man vor allem kein Tempolimit auf den Autobahnen einführt, also das alte, ekstatisch-suizidale James-Dean-Modell des Autofahrens staatlich sanktioniert, braucht man von der Mobilität von morgen eigentlich nicht zu sprechen.

© SZ vom 17.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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