Vergnügen an Non-Fiction:Jetzt entdecke ich was

Wird das Sachbuch gepriesen, geht es meist ums große Ganze statt um die Lust der Leser.

Von Jens Bisky

Von Sachbüchern wird gar nicht wenig erwartet, obwohl sie nur einen kleinen Teil des Buchmarkts ausmachen, etwa elf Prozent des gesamten Umsatzes. Wenn nach besonders gelungenen Beispielen gesucht wird, geschieht dies selten ohne höchste Ansprüche, oft formuliert in stramm feierlichem Ton.

Der seit Jahren verliehene NDR-Kultur-Sachbuchpreis zeichnet "eine herausragende Autorinnen- oder Autorenleistung" aus, "die gesellschaftlich, kulturell und wissenschaftlich relevante Themen für ein großes Publikum öffnet und zum Diskurs anregt". Der Sachbuchpreis der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, der 2019 zum ersten Mal vergeben wurde, verfolgt das Ziel, "den Geisteswissenschaften in der Gesellschaft mehr Gehör zu verschaffen". Nach dem Vorbild des Preises für den besten deutschsprachigen Roman hat der Börsenverein einen Deutschen Sachbuchpreis ins Leben gerufen, der ab 2020 jährlich verliehen werden soll. Heinrich Riethmüller, bis vor wenigen Wochen Vorsteher des Börsenvereins, begrüßte den neuen Preis mit der Behauptung, wir bräuchten Sachbücher "mehr denn je": "Sie bieten gesicherte Informationen und helfen komplexe Zusammenhänge zu verstehen - Eigenschaften, die für unsere Gesellschaft heute von höchster Relevanz sind." Jürgen Fitschen, Vorstandsvorsitzender der Deutsche Bank Stiftung, die den Preis fördert, sagte: "Horizonte erweitern und neue Impulse für Debatten liefern - das sind zwei zentrale Merkmale von Sachbüchern." Der neue Preis leiste also "einen wichtigen Beitrag für einen vielfältigen gesellschaftlichen Diskurs". Die Präsidentin des PEN-Zentrums Deutschland, Regula Venske, stellte eine Pflicht der Zeitgenossen fest, sich umfassend zu informieren, und skizzierte zum Lobpreis des Preises eine Art der literarischen Arbeitsteilung: "Wir brauchen die schöne Literatur für die Herzensbildung und die Sachbücher für den Verstand." Wollen wir glauben, dass Romane den Verstand nicht schulen und Biografien das Herz nicht ergreifen?

An dieser Propaganda für das Sachbuch, für die sich viele weitere Beispiele finden ließen, irritiert manches. Sie betont Pflicht und Notwendigkeit, und sie geht vom großen Ganzen aus, von Gesellschaft, Wissenschaft, Diskurs. So viele Leserinnen und Leser werden es dann doch nicht sein, die mit dem inneren Frohlocken - "Heut gönn ich mir Komplexität", "Heut hör ich mal den Geisteswissenschaften zu" - in die Buchhandlung eilen.

Es ist leichter zu sagen, was nicht zum Sachbuch-Reich gehört, als dieses bündig zu definieren

Meist treibt anderes zu den übervollen Regalen. Mal ist es der Wunsch, mitreden zu können, mal die Tatsache, dass Freunde so aufgeregt über ein Buch gesprochen haben. Am stärksten aber wirkt eine Leidenschaft, mit der alle Menschen geboren werden, und die sie ein Leben lang begleitet, wenn sie nicht systematisch betäubt oder ausgetrieben wird. Es ist die Neugier, sie ist für Menschen so elementar wie Hunger und Begehren. Man will doch wissen, was geschehen ist, was kommen wird, wie es hinter dem Mond und jenseits des Ozeans aussieht, wie etwas funktioniert und warum das alles so schwer erscheint.

Davon handeln Sachbücher. Die englische Bezeichnung "non-fiction" deutet an, dass es leichter ist zu sagen, was nicht zum Sachbuch-Reich gehört, als dieses bündig zu definieren. Sachbücher sind Mischwesen, angesiedelt zwischen Journalismus und Wissenschaft, zwischen Information und Kolportage, Exempel und Statistik. Oft werden literarisch bewährte Erzählformen genutzt, kluge Autorinnen und Autoren erproben den im Roman vor langer Zeit schon vollzogenen Abschied vom allwissenden Erzähler. Aber wie auch immer, die Grenze zur schönen Literatur ist weniger scharf gezogen als die zum Ratgeber, der nicht das Abenteuer des Begreifens verspricht, oder die zum Fachbuch, dessen Verfasser beim Schreiben die Kollegen seiner Disziplin vor Augen hat.

Es führt überhaupt in die Irre, das Sachbuch allzu eng an die Universität und die Routinen innerwissenschaftlicher Kommunikation zu binden. Es richtet sich an ein allgemeines Publikum, also an Laien, neugierige, oft hoch gebildete Zeitgenossen, die jedoch notwendig in den allermeisten Wissensgebieten nur oberflächlich informierte Anfänger sind. Die Sachbuchproduktion spiegelt, wenig überraschend, Moden und aktuelle Dringlichkeiten. Gesundheits- und Naturthemen finden großen Zuspruch, auch ist die Öffentlichkeit begierig auf Diagnosen einer Gegenwart, die viele als Zeitenwende begreifen. So erhielt der Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller für "Furcht und Freiheit" den Bayerischen Buchpreis in der Kategorie Sachbuch. Der NDR-Kultur-Sachbuchpreis ging an Robert Macfarlanes "Im Unterland", eine Expedition unter die Erdoberfläche, ein gelungenes Beispiel für Nature Writing. Verschatten Natur und Gegenwart die Kulturgeschichte? Das kann sich rasch wieder ändern. Man kann sich Leser vorstellen, die an vier oder fünf belletristischen Meisterwerken genug haben. Wer aber gewohnt ist, aus Neugier und Entdeckerlust zu Sachbüchern zu greifen, wird von dieser Gewohnheit nicht lassen.

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