Süddeutsche Zeitung

Vergewaltigungsvorwürfe gegen Roman Polanski:Drei Césars für "Violanski"

Frankreichs Filmbranche erlebt einen verlogenen Abend mit vielen Ehrungen für "Intrige".

Von JOSEPH HANIMANN

Kontroversen werden im französischen Kinomilieu gern mit Witzeleien glattgebügelt. An Spannung mangelte es vor der César-Vergabe mit dem wegen Vergewaltigung angeklagten Roman Polanski als Hauptpreisverdächtigem nicht. Seit Wochen tobte der Streit, ob er einen Preis verdient. Das Viertel um den Veranstaltungsort musste am Freitag von der Polizei gegen Protestkundgebungen abgeriegelt werden, die mit Parolen wie "César der Schande" oder "Violanski" antraten. Feministinnen hatten mit einer Zeremonie der "Tocards", einer Würdigung für männliche Wüstlinge, dem Filmautor im Voraus den Preis der Pädokriminalität zuerkannt.

Doch all das solle nun einmal kurz vergessen werden, versicherte die Komikerin Florence Foresti als Zeremonienmeisterin des Abends. Sie habe keine Lust, mit "How dare you" die Greta Thunberg des Kinos zu spielen. Zumal Polanski und sein Team der Veranstaltung ferngeblieben waren.

Heitere Laune wollte dennoch nicht aufkommen. Denn diese Veranstaltung zeigte, wie sehr die französische Kinowelt durcheinander ist. Zwar mochte so gut wie kein Star Polanski öffentlich anfeinden. Werk und Privatleben seien zweierlei Dinge, hieß es. Als praktisch einzige warnte die Schauspielerin Adèle Haenel, die als Anwärterin auf den Preis für die beste Schauspielerin bei der Zeremonie im Saal saß, öffentlich vor einer Ehrung Polanskis. So etwas wäre ein Schlag ins Gesicht all seiner Opfer, sagte sie. Im Herbst hatte sie schon mit Mut, Haltung und Augenmaß dem Filmautor Christophe Ruggia sexuelle Übergriffe ihr gegenüber vorgehalten. In einem Interview in der New York Times erklärte sie nun, Frankreich habe aus der "Me Too"-Debatte nichts gelernt.

Als am Freitagabend nach zwei zuvor vergebenen Preisen auch jener für die beste Regie an Polanskis Film "J'accuse" ("Intrige") ging, verließ sie den Saal. Einige folgten ihr nach, andere applaudierten müde dem abwesenden Preisträger. Und der anwesende Kulturminister Franck Riester verzog mit seinem Schulaufsehergesicht keine Miene. Am Wochenende erklärte er dann, diese Entscheidung sei bedauerlich.

Die Krise nicht des französischen Kinos, wohl aber seiner Berufsorganisation, sitzt jedoch tiefer. Im Kreuzfeuer der Kritik steht die Akademie der seit 1976 vergebenen César-Preise. Vor zwei Wochen traten der langjährige Vorsitzende Alain Terzian und das Führungsgremium abrupt zurück. In einer offenen Erklärung hatten vierhundert der rund 4700 Mitglieder der Akademie dem Gremium undurchsichtige Buchhaltung und obskure Ernennungen durch Kooptation auf Lebzeiten vorgeworfen. Zu den Unterzeichnern gehörten die Filmautoren Bertrand Tavernier, André Téchiné, Mathieu Amalric oder die Schauspielerinnen Chiara Mastroianni und Jeanne Balibar. Sie riefen zu einer Umgestaltung der Akademie auf und beklagten, dass die César-Vergabe über ihre Köpfe hinweg organisiert werde. Dabei haben sie in zwei Fernwahlgängen zuerst über die Nominierungen und dann die Preisträger in den gut ein Dutzend Sparten zu entscheiden.

Zusätzliches Unbehagen kam auf, als der Frauenanteil in der Akademie bekannt wurde: gerade mal ein Drittel. Vom Altherrengehabe, mit dem Alain Terzian unlängst noch erklärte, so etwas wie die Weinstein-Affäre wäre in Frankreich unmöglich, denn da lege man Wert auf den künstlerischen Aspekt der Filme, möchte man wegkommen. Doch nun platzte es am Freitag doch wieder in die Veranstaltung. Nicht wenige Prominente sagten ihren Einsatz als Preisverkünder ab, sodass die Zeremonienmeisterin Florence Foresti wiederholt einspringen musste. Es sei unglaublich, wie beschäftigt die Filmleute am Freitagabend seien, kicherte sie ins Mikrofon: Bei all den Leuten, die an dem Abend offenbar auf Dreh seien, müsse es dem französischen Kino vorzüglich gehen. Das tut es im Grunde auch. Bei aller Polemik spiegelt das Ergebnis beachtliche Qualität.

Die jeweils drei Preise für den Film "Les Misérables" ("Die Wütenden") von Ladj Ly, für "La Belle Epoque" von Nicolas Bedos und auch für "Intrige" von Roman Polanski sind verdient. Zu kurz kam hingegen der nur mit dem Preis für die Kameraführung ausgezeichnete schöne Film "Porträt einer jungen Frau in Flammen" von Céline Sciamma mit Adèle Haenel als Hauptdarstellerin.

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SZ vom 02.03.2020
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