"Vergeltung" von Don Winslow:Sixpack von Suhrkamp

In Don Winslows Roman "Vergeltung" tritt ein Einzelner gegen ein islamistisches Terrornetzwerk an. Einwände gegen den Plot werden weggeballert. Trotzdem schildert der Autor den Rachefeldzug knapp, spannend und gekonnt - und ohne sich an der Brutalität zu weiden.

Von Werner Bartens

Peng, Bum, Bäng. Ein Orchester aus Maschinenpistolen und Schnellfeuerwaffen. Kurze Pause, dann zündet zielgenau der Sprengsatz. Ulrich, der Zweimetermann aus Deutschland, weiß, was er tut. Er ist auf Scharfschützenabwehr und Sprengungen spezialisiert, kennt die Neurosen der Amerikaner und fast jedes Dritte-Welt-Sumpfloch. Genau der richtige Mann für Dave Collins, zumal Ulrichs persönliche Philosophie lautet: "Nur wenige Probleme lassen sich nicht mit dem gekonnten Einsatz von Sprengstoff lösen."

Wie viele von den Bösen am Ende ihr Leben lassen müssen, ist schwer zu sagen. Sind es 200 oder 300 oder vielleicht doch eher 500 Schurken, die niedergemäht werden mit Präzisionswaffen, durch einen gezielten Stich in die Seite oder auch mit Hilfe der guten alten Nahkampftechniken? Don Winslow ist nicht zimperlich, aber darauf kommt es auch gar nicht an. Denn Dave Collins, der Held in Winslows neuestem Thriller "Vergeltung", hat sich geschworen, es all jenen heimzuzahlen, die seine Liebsten ausgelöscht haben. Nicht nur den Tätern selbst hat er Rache geschworen, sondern vor allem ihren Hintermännern, die im Machtvakuum der al-Qaida nach Bin Ladens Tod durch besonders scheußliche Anschläge auf einen Karrieresprung im Terrornetzwerk hoffen.

Der Rachefeldzug eines Einzelnen

Es ist der Rachefeldzug eines Einzelnen, der die feigen Mörder zur Rechenschaft ziehen will, notfalls alleine, aber dann findet er doch noch Verbündete - und was für welche. Das Flugzeug, in dem Collins' Frau und sein Sohn saßen, explodierte am Himmel und riss nicht nur alle Passagiere, sondern auch etliche andere Menschen mit in den Tod, als das brennende Geschoss beim Aufprall in einen Autobahntunnel raste. Dass es Collins, dem ehemaligen Elite-Soldaten, nicht gelungen ist, als Sicherheitsbeamter auf dem Flughafen seine Familie zu beschützen, wurmt ihn besonders. Ein Selbstmordattentäter im Eingangsbereich des Airports hatte ihn abgelenkt, wenige Minuten später verbrennt Collins' Familie in der Luft.

Der verzweifelte Held könnte wahnsinnig werden an seinem Land, für das er in Afghanistan, im Irak und weiß Gott wo die Drecksarbeit erledigt hat - und dessen Regierung nun den Anschlag vertuschen will und als Unfall darstellt. Nur ungern möchten sich die USA wieder in Zugzwang bringen lassen gegen islamische Terroristen; da ist es schon praktischer, einen technischen Defekt vorzutäuschen als wieder den Feldzug gegen die Achse des Bösen zu intensivieren.

Also nimmt Collins die Sache selbst in die Hand und heuert ein Dutzend der weltweit besten Elitekämpfer an. Zwar sind die Jungs verdammt gut, nicht nur Ulrich, sondern beispielsweise Alessandro, ehemaliger Sergente Maggiore vom 1. Battaglione Incursori, oder der Palästinenser Amir, der es nicht nur aus einem Flüchtlingslager im Gazastreifen und den Verhörkellern des israelischen Geheimdienstes geschafft hat, sondern auch dem Märtyrertod als Selbstmordattentäter entging - aber die Übermacht ist gewaltig.

High Noon

Hunderte, wenn nicht Tausende Islamisten stellen sich Collins und seiner Bande in den Weg. High Noon, die sieben Samurai - es ist ein uralter Topos der Film- und Literaturgeschichte, dass der einsame Held in den aussichtslosen Kampf zieht, allein sein Ziel vor Augen und die Gerechtigkeit sowie ein paar enge Vertraute und im Infight erprobte Haudegen als Verbündete.

Winslow schafft es, diesen amerikanischen Traum wiederzubeleben und den Klischee-Näpfen nahe zu kommen, ohne hineinzutapsen. Dazu spielt er viel zu gerne mit den Erwartungen der Leser: Die internationale Kampftruppe pfeift zwar auf die Regierungen und Politiker dieser Welt, verrichtet aber - durchaus patriotisch - die Drecksarbeit für die Sesselfurzer in Washington, obwohl Collins an dem Land, für das er mehrmals Kopf und Kragen riskiert hat, zwischendurch immer wieder irre zu werden droht.

Lektüre für die Sixpacks

Winslow hat noch viel mehr drauf. Er beherrscht auf augenzwinkernde Art auch dieses Jungsding, dieses Verschwitzt-blutig-männerbündisch-Durchtrainierte. Die Muskelspiele und Trainingscamps der bunt zusammengewürfelten Söldnertruppe lassen einen schmunzeln, aber gleich darauf möchte man ein paar Klimmzüge am Türrahmen probieren. Bei dieser Lektüre spannen sich unwillkürlich die Sixpacks unter der Bauchdecke an. Das ist eine ganz neue Form der Suhrkamp-Kultur, und sie fühlt sich gut an. Schließlich ist Winslow viel zu intelligent, als dass er nur der Haudrauf-Ästhetik huldigt und seine Rambos ein paar Nachwuchsscheichs abmurksen lässt. Hier wird subtil gemordet.

Lange ist zudem unklar, ob die zwölf harten Jungs aus aller Herren Länder den Mittvierziger Collins, der schon viele Jahre keine Handgranaten mehr geworfen und keinen heiligen Krieger mit dem kleinen Finger erwürgt hat, überhaupt mittun lassen. Das sind ebenso rasante wie witzige Dialoge, und gegen das Trainingslager wirken die Übungen in Bootcamps, bei der KSK oder den Gebirgsschützen wie Wassergymnastik im Thermalbad. Wie sich die Jungs dann nach überstandenem Drill zusammenraufen und - jeder ein Profi und der Beste seines Landes - Stolz und demonstrativ Ruhe ausstrahlen, das hat schon Stil. Um Ehre, Vertrauen und Verlässlichkeit geht es natürlich auch noch, und das wirkt kein bisschen lächerlich.

Gradlinig lässig

Winslow hat überhaupt ein Faible für diese gradlinig lässigen Typen, die wissen, worauf es im Leben wirklich ankommt, das hat er schon in seinen früheren Büchern gezeigt. Boone Daniels, der surfende Privatdetektiv in den Krimis "Pacific Private" und "Pacific Paradise" ist so ein Prachtexemplar. Ein weise gewordener Beach Boy, der auch im mittleren Lebensalter noch so viel cooler ist als all die zugewachsenen Nachwuchspaddler mit schlechter Haltung, die sich am Strand herumtreiben und auf dicke Hose machen, aber ehrfürchtig den Platz räumen, wenn die Großen kommen.

Und das eigenwillige Trio Ben, Chon und Ophelia vertickt in "Zeit des Zorns" und "Kings of Cool" nicht nur erstklassiges Dope, sondern zeigt auch, dass man es trotz Psychologen-Eltern noch zu etwas Anständigem bringen kann und sich viele Probleme ganz leicht aus der Welt schaffen lassen: "Manchmal ist Gewalt eben doch eine Lösung". Mit "Tage der Toten" hat Winslow 2012 ein monumentales Meisterwerk geschaffen, nach dessen Lektüre sofort klar ist, warum der mexikanische Drogenkrieg nie beendet sein wird und welche Interessen die USA daran haben, dass in Mittelamerika auch weiterhin gedealt, geschoben und gemordet wird.

Todesarten von ausgesuchter Grausamkeit

In allen seinen Büchern ersinnt und beschreibt Winslow ausgefallene Methoden, um aus der Welt zu scheiden - aber niemals wird er dabei zum Voyeur oder weidet sich an der Brutalität der Todesarten, selbst wenn sie von ausgesuchter Grausamkeit sind. Knapp, spannend und gekonnt schildert er Mord und Totschlag. Wie ein Gerichtsmediziner, der die besonders entstellten Körperteile bedeckt, geht er geradezu behutsam dabei vor.

Der Plot in "Vergeltung" ist nicht besonders naheliegend, um es freundlich auszudrücken, aber daran würden sich nur Krämerseelen stören, nicht echte Kerle. Denn Winslow erzählt so schnell und witzig und packend, dass es egal ist, ob einer der glorreichen Zwölf es tatsächlich mit 300 Mudschaheddin auf einmal aufnehmen kann oder ob sogar Panzer und mit Minengürteln gesicherte Bergfestungen für Sprengstoff-Uli kein Hindernis darstellen.

Man verzeiht dem Autor auch seinen Waffen-Spleen ("Die Erfahrung in Südasien hat gezeigt, dass das M249 gerne mal blockiert, und Donovan war die Mannstoppwirkung der 7.62-mm-Munition gegenüber den nur 5.56 mm des M249 wichtig"). Denn gleichzeitig skizziert Winslow immer wieder die emotionale Obdachlosigkeit seines Helden, wenn der gerade keinen Adrenalinrausch erlebt, beschreibt seine Sehnsucht und seine Trauer über den Verlust von Frau und Sohn, die irgendwo da oben sein müssen, wie zwei heimwehkranke Engel.

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