Vergangenheitsbewältigung in Serbien:Eine Kollektivschuld zu viel

Noch immer gilt Serbien als Paria der europäischen Völkergemeinschaft - erst an diesem Freitag verschob die EU ihre Entscheidung, ob sie das Balkanland in absehbarer Zeit als Mitglied aufnehmen will. Obwohl sich junge Serben wegen des Jugoslawienkriegs unschuldig fühlen, sind sie selbstkritischer als hierzulande oft angenommen wird, wie ein neuer Film über das frühere Leid der Donauschwaben zeigt.

Werner Harasym, Belgrad

Die Stunden vor der Premiere in Belgrad sind für Marko Cvejic hektisch. Ein Termin bei der lokalen TV-Station, ein letzter Technik-Check und kurz vor Beginn der Aufführung in der Filmbühne des zentral gelegenen Jugendzentrums ein weiteres Fernsehinterview. Der Besucherandrang übertrifft dann alle Erwartungen des 33-jährigen Regisseurs. Hunderte Menschen, darunter viele junge Leute, schieben sich in den Kinosaal, um seinen zweiten Film zu sehen, der ein jahrzehntelanges Tabu in Serbien behandelt: die Donauschwaben.

Ausstellung über die Donauschwaben

Zweisprachige Geschäftsanzeigen: Der Friseurladen der Gebrüder Horschitz um 1920 in der heutigen serbischen Stadt Ruma. In Serbien beginnt langsam eine öffentliche Diskussion über die Menschenrechtsverletzungen an den Donauschwaben in den 1940er Jahren.

(Foto: dpa)

Cvejics Doku-Drama "Podunavske Svabe" (Donauschwaben) handelt von jenen Deutschen, die im 18. Jahrhundert dem Ruf der habsburgischen Kaiser folgten und in drei großen Schwabenzügen das nach den Türkenkriegen vielerorts entvölkerte und verheerte Königreich Ungarn besiedelten.

Ein Siedlungsschwerpunkt war die Vojvodina, die heute im Norden Serbiens liegt und sich auf die Verwaltungsbezirke Banat, Batschka und Syrmien aufteilt. Die Donauschwaben, die dort lebten, gerieten im Zweiten Weltkrieg in den Jahren 1941 bis 1944 zwischen die Fronten des Besatzers Hitler und des kommunistischen Partisanenführers Tito, was sie anschließend bis 1948 mit der Internierung in kommunistischen Straflagern und einem hohen Blutzoll bezahlten: Von den 170.000 Internierten - vorwiegend Alte, Frauen und Kindern - die Männer im wehrfähigen Alter waren beim Militär - starben 51 000, darunter mehr als 6000 Kinder.

Dieses dunkle Kapitel der serbischen Geschichte wurde in dem Balkanland bislang allerdings weitgehend totgeschwiegen - bis es Marko Cevjic in seinem Film nun aufgriff. Und auch er stieß nicht auf direktem Weg auf das Thema: "Es begann mit persönlichen Auseinandersetzungen über die Kollektivschuld", so der gebürtige Vojvodiner. "Mit Fragen wie: 'Muss ich mich schuldig fühlen für die serbischen Verbrechen in den 1990er Jahren? Was habe ich damit zu tun?'"

Die Schuldfrage verneinte er schließlich für sich, Verfehlungen könnten nur eine individuelle Sache sein. Doch diese Erkenntnis brachte Cevjic keine Entlastung, weil er dadurch einige seiner Mitbürger - die Donauschwaben - aus einer anderen Perspektive betrachten musste: Ihnen waren alle staatsbürgerlichen Rechte stets aberkannt worden, und zwar gerade unter Begründung der Kollektivschuld.

In seinem Film werden die Verbrechen an den unschuldigen deutschen Zivilisten zwischen 1944 und 1948 nun erstmals in einem größeren Rahmen thematisiert. Interviews mit Zeitzeugen sind dabei in eine fiktive Handlung eingebettet, die in der Gegenwart spielt: Die junge Deutsche, Maria Schneider (Zala Vidali), ist auf der Suche nach dem Haus ihres Großvaters in der Vojvodina.

Jahrzehntelanges Tabu

Auf ihrer Suche lernt sie Miso (Milivoje Obradovic) kennen, einen jungen Mann, dessen Vorfahren nach dem Zweiten Weltkrieg aus Montenegro in die Batschka emigrierten. Sie verlieben sich ineinander. Maria Schneider findet das Haus ihres Großvaters, das seit 50 Jahren verlassen ist. Vom Bürgermeister erhält sie die Erlaubnis, in diesem Haus ein Fotostudio einzurichten. Doch es gibt kein glückliches Ende. Nationalisten brennen das Haus nieder und vertreiben das junge Paar - Maria ergeht es wie ihrem Großvater. Am Schluss fragt Miso seine Geliebte, während sie fliehen: "Wohin gehst Du?" Maria antwortet: "Nach Europa."

Der Film wühlt viele Zuschauer ganz offensichtlich auf. Warum die Verbrechen an den Deutschen jahrzehntelang tabuisiert worden seien, fragen sie sich und kritisieren, dass sie in der Schule nie davon erfahren haben. Ein Zuschauer wundert sich sogar, warum die deutsche Politik in dieser Angelegenheit bisher keinen Druck auf Serbien ausgeübt hat.

Auch serbische Donauschwaben sind unter den Zuschauern - sie sind von dem Film besonders berührt und dankbar, dass Cvejic das Tabu gebrochen hat. Denn endlich können sie öffentlich über das erlittene Leid der Familienangehörigen ohne Angst sprechen - in Belgrad, der einstigen Machtzentrale Titos.

"Podunavske Svabe" soll nun landesweit gezeigt werden, im März beginnt eine Tour durch die Vojvodina. Bis dahin hat die Europäische Union (EU) auch möglicherweise entschieden, ob sie Serbien den Kandidaten-Status für eine Aufnahme in den Staatenverbund gewähren will. An diesem Freitag lehnte die EU eine entsprechende Entscheidung noch ab.

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