Verfolgte Autoren:Chinas Zynismus

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In Stockholm wurde am Freitag der Tucholsky-Preis für verfolgte Autoren vergeben, an den kritischen chinesischen Verleger Gui Minhai. China droht mit Gegenmaß­nahmen. Gui sitzt in Haft, er wurde 2018 entführt - von chinesischen Agenten.

Von Kai Strittmatter

Der in China inhaftierte Verleger Gui Minhai bekam am Freitag in Stockholm den Tucholsky-Preis verliehen - nun droht China der schwedischen Regierung mit "Gegenmaßnahmen". "Schweden sollte nicht denken, es könnte guten Gewissens die Gefühle des chinesischen Volkes verletzen und Chinas Interessen schaden", sagte Chinas Botschafter in Stockholm Gui Congyou in einem Interview mit dem schwedischen Rundfunk. Schwedische Politiker und Medien reagierten empört auf die Drohung. Die Tageszeitung Dagens Nyheter nannte das Interview des Botschafters "zynisch" und schrieb in einem Leitartikel: "Wo die Diktatur voran marschieren möchte, muss die Demokratie dagegen halten."

Mehr als vier Jahre ist es her, dass der Hongkonger Verleger und schwedische Staatsbürger Gui Minhai von chinesischen Sicherheitskräften entführt wurde. Am Freitag nun verlieh ihm der schwedische Pen-Club den Tucholsky-Preis für verfolgte Autoren. Den Zorn der chinesischen Diplomatie erregte vor allem, dass der abwesende Gui Minhai ihn aus den Händen von Kulturministerin Amanda Lind empfangen sollte. PEN International zeigte sich in einer Erklärung "entsetzt" über die chinesischen Drohungen. Die Fakten seien klar, sagte Pen-Präsidentin Jennifer Clement: Gui sei gekidnappt worden und bis heute in Haft "allein deshalb, weil er Bücher verlegte, die Chinas Regierung kritisierten."

Gui Minhai war als Student nach Schweden gekommen und nach dem Tiananmen-Massaker 1989 dort geblieben. Später baute er einen Verlag in Hongkong auf, der Chinakritisches veröffentlichte. Sein mysteriöses Verschwinden aus seinem Feriendomizil im thailändischen Pattaya im Oktober 2015 machte Schlagzeilen. Gui tauchte in einem chinesischen Gefängnis wieder auf, wurde später in eine Art überwachten Hausarrest entlassen - nur um am 20. Januar 2018 ein zweites Mal gekidnappt zu werden: Chinesische Agenten stürmten einen Zug, in dem Gui saß, begleitet von zwei schwedischen Diplomaten - die Agenten schnappten sich Gui vor deren Augen.

Schwedens Presse hatte der Regierung in den letzten Jahren mehrfach vorgeworfen, im Interesse des Geschäfts zu lange auf "stille Diplomatie" im Falle Gui Minhais gesetzt zu haben. Diesmal aber scheint Schwedens Regierung nicht einknicken zu wollen. Schweden habe Meinungsfreiheit, und seine Organisationen könnten ihre Preise verleihen, "an wen auch immer sie wollen", sagte Außenministerin Ann Linde. Wenn ein fremder Staat der schwedischen Regierung vorschreiben wolle, wie sie zu handeln habe, dann sei das "sehr ernst". Kulturministerin Amanda Lind kündigte an, "selbstverständlich" an der Preisverleihung teilzunehmen.

© SZ vom 16.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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