Deutsche Literatur:Die Leiche im Pavillon

Deutsche Literatur:  Verena Roßbacher: Ich war Diener im Hause Hobbs. Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018. 384 Seiten, 22 Euro.

Verena Roßbacher: Ich war Diener im Hause Hobbs. Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018. 384 Seiten, 22 Euro.

Butler, Familie, Mord: Verena Roßbachers Roman feinsinniger Roman "Ich war Diener im Hause Hobbs"

Von Sofia Glasl

Butler haben immer etwas Geheimnisvolles. Sie sehen und hören alles, was hinter verschlossenen Türen vor sich geht, dürfen aber nicht darüber sprechen. Ehrensache, der Berufskodex verlangt Diskretion. Butler haben aber auch immer etwas Überkommenes, scheinen ein wenig aus der Zeit gefallen zu sein, ein Relikt aus einem anderen Jahrhundert.

Diese Verquickung von altehrwürdig-verstaubtem Image und stillem Beobachter macht sich die Autorin Verena Roßbacher in ihrem Roman "Ich war Diener im Hause Hobbs" erzählerisch zunutze. Sie lässt den jungen Butler Christian Kauffmann rückblickend von seiner mehr als zehn Jahre währenden Anstellung bei der neureichen Zürcher Familie Hobbs erzählen. Führen die Hobbs keinen Landrover und schrieben keine E-Mails, man hätte fast den Eindruck, Anfang des 19. Jahrhunderts gelandet zu sein und auch Christians Erzählgestus ist eher der eines Arthur Conan Doyle, nicht eines jungen Mannes, der sich selbst als Hipster beschreibt.

Er beginnt seinen Bericht wie einen Krimi und erzählt von der Leiche, die er im Pavillon fand und deren Blut die Chaiselongue mitsamt dem guten Ruf der Familie besudelt hat. In dieses klassische Whodunit-Setting bettet Roßbacher gleichzeitig eine Coming-of-Age-Erzählung, eine Gesellschaftssatire und eine Farce über den Literatur- und Kunstbetrieb. Das könnte vollgestopft und gezwungen wirken, aber diese Handlungsstränge laufen elegant im beiläufigen Parlando der sich distanziert andienenden Dienstboten-Höflichkeit nebeneinander her.

Christians Lebensbetrachtungen klingen nachdenklich, die Kunstreflexionen bisweilen ironisch distanziert. Die Geschichte hält sehr lange offen, wen Christian eigentlich tot aufgefunden hat, stattdessen lässt sie ihn in immer abenteuerlicheren Schleifen und Volten aus seiner Jugend mit den Freunden Olli, Isi und Gösch im Vorarlberger Örtchen Feldkirch erzählen, um ihn nahezu im selben Atemzug seine Herkunft und Identität verleugnen zu lassen. Im Zürcher Dienst hört er auf den Namen Robert, weil schon ein Familienmitglied Christian heißt, die Kumpels rufen ihn Krischi. Er scheint die Identitätsfindung der Adoleszenz nie abgeschlossen zu haben und deshalb ganz froh darüber zu sein, als Diener eine Ersatz-Persönlichkeit übergestülpt zu bekommen.

Doch wo hört die spielerische Selbstverwirklichung auf und wo fangen Lüge, Betrug und Täuschung an, wo das Doppelleben? Wo ist der schmale Grat zwischen Kunst und Künstlichkeit? Diese Fragen ziehen sich wie eine Schlinge langsam um alle Erzählfäden zu. Denn Christian ist nicht der Einzige in diesem Roman, der mit seiner Identität und seinen Idealen spielt oder gar bricht. In einem Exkurs diskutiert er die künstlich aufgeplusterte Inszenierung des Grenzbahnhofs Feldkirch, den sowohl Arthur Conan Doyle als auch Stefan Zweig und James Joyce passierten, als vermeintliches Zentrum der Literaturgeschichte. Mit der Zeit entspinnt sich ein ganzer Reigen aus verborgenen oder vermeintlichen Familienbeziehungen und Doppelleben zwischen Zürich und Feldkirch. Christian kommt dabei vordergründig immer weiter von der ursprünglichen Erzählung ab. Er scheint trotz seiner Liebe zum Detail genau jene Einzelheiten übersehen oder vergessen zu haben, die wichtig dafür wären, den geheimnisvollen Tod und seine eigene Rolle, seine Mitschuld an dem Familienskandal zu verstehen.

"Holt einen die Lüge immer ein, das Verborgene, das getürkte Spiel, gibt es wirklich kein richtiges Leben im falschen?" zitiert er Adorno, auch wenn er nie zugeben würde, dass er Adorno gelesen hat. Im Gestus der Untertreibung - oder ist es einfach nur Faulheit? - bezeichnet er sich als einen, "der viel gelesen hatte, aber zu wenig, um belesen zu sein". In diesem Understatement zweifelt er seine eigene Zuverlässigkeit als Erzähler an, hinterfragt seine Erinnerungen an die Zeit mit den drei Freunden und bei Familie Hobbs. Seine Erinnerungen überlagern sich, verschwimmen ineinander.

Überhaupt funktioniert seine Wahrnehmung oft als Blick durch verzerrende Linsen und Filter: Teleskope, Kaleidoskope, Plastiskope - das sind diese winzigen Souvenir-Kunststofffernseher, in denen drehbare Fotoscheiben wechselnde Urlaubsbilder anzeigen. Sein Gedächtnis wird zugleich zu einem dokumentarisch registrierenden Archiv und einem re-inszenierenden Erzähler und Verklärer, der Erinnerungsschnipsel neu an- und zuordnet und somit eine individuelle Wahrheit herstellt.

Christians weitschweifende Suaden scheinen diesen fortwährenden Prozess mitzugehen und so folgt man ihm in einer ungebremsten Achterbahnfahrt der sprachlichen und erkenntnistheoretischen Selbsterzählung. Dabei vergisst man beizeiten, was eigentlich die Frage war, aber egal, denn dieser absurd-herzliche Genremix mit all seinen farbenprächtigen Kaleidoskop-Spiegelungen erzählt mehr darüber, wie persönliche Realität entsteht, als viele noch so stringent gestrickte Entwicklungsromane.

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