Verdi in London:Überraschungen und Hahnenkämpfe

LA FORZA DEL DESTINO, Stage RehearsalROH, Covent Garden,  Conductor; Antonio Pappano, Leonora; Liudmyla Monastyrska Don Alvaro;  Yusif Eyvasov, Don Carlo di Vargas; Christopher Maltman,

Die grandiose Liudmyla Monastyrska kann, weil technisch versiert, alles in ihren Gesang umsetzen. Mehr Gefühlsebenen hat ein Mensch fast nicht.

(Foto: Bill Cooper)

Verdis "La forza del destino" am Royal Opera House in London überrascht gleich zweifach: mit einer grandiosen Sopranistin und mit einem großen Dirigenten, der fast alles kann.

Von Reinhard J. Brembeck

Da sitzt sie wieder in ihrem kargen Mädchenzimmer mit der überdimensionalen weißen Tür und der weit in den Bühnenhimmel entrückten Decke. Hier hat ihr strenger, lustfeindlicher und dünkelhafter Vater, ein aus der Zeit gefallener, spanischer Adliger, sie einst unter Verschluss gehalten, hier hat sie ihren Liebhaber, einen Farbigen, getroffen, hier kam der Vater bei ihrem Fluchtversuch durch einen dummen Zufall ums Leben. Es folgte die Trennung von ihrem Lover, weil der Bruder die beiden ermorden will. Zuletzt fand sie Zuflucht in einer Einsiedelei, an der Grenze zum Tod. Jetzt, nach Jahren der Meditation in dieser menschenleeren Einöde, ist sie wieder (ein Albtraum?) an den Schicksalsort ihrer Jugend zurückversetzt und bittet Gott resigniert, aber noch immer verliebt, um Frieden für ihre geschundene Seele.

Am Royal Opera House in London gibt Liudmyla Monastyrska - sie wechselt sich mit der berühmteren Anna Netrebko in der Rolle der Leonora ab - diese brutal aus dem Leben abgedrängte Frau in Giuseppe Verdis "Die Macht des Schicksals" (La forza del destino). Monastyrska zeichnet Leonoras langsamen Abschied von den Illusionen der Jugend, der Liebe und der Geborgenheit mit einer zunehmenden Intensität. Ihr Sopran kann so ziemlich alles. Leise Lockendes in der höchsten Lage: So wird das knapp verfehlte Paradies der Liebe genauso erfahrbar wie das von den Christen und von Leonora ersehnte. Manchmal aber übertönt Monastyrska mühelos das Orchester, den Chor und die Solistenkollegen. Die Stimme wird dabei in keinem Moment scharf, sondern flutet wie eine Welle durch den Raum. Und wenn in der Partitur endlose Legati gefordert werden, dann hängt sie unangestrengt Ton an Ton an Ton - da scheint sie einfach gar nicht mehr atmen zu müssen.

Diese grandiose Sängerin kann, weil technisch derart versiert, alles in ihren Gesang umsetzen: Ruhe, Verzweiflung, Todesmut, Unruhe, Erotik, Todesangst, Zärtlichkeit. Mehr Gefühlsebenen hat ein Mensch fast nicht. Leonora durchlebt sie alle, und Monastyrska, die all das faszinierend singspielt, kann deshalb packend und nacherlebbar das langsame Aus-dem-Leben-Gleiten ihrer Heldin erzählen.

"La forza del destino" gehört zu den fünf Stücken zwischen der "Traviata" (1853) und der "Aida" (1871) in denen der endlich zu Ruhm, Geld und Ruhe gekommene Verdi seine Ästhetik überdenkt, vertieft, anreichert. In seinen frühen Stücken erzählt der Komponist meist gedrängt und kurz angebunden. Für die "Forza" dagegen steht die episodenreiche und deshalb längere französische Oper Modell, mit der Verdi immer ein wenig fremdelt, weil ihm das Weitschweifige wesensfremd ist.

Also stehen der in der Oberschicht angesiedelten Leonora-Geschichte die Volksszenen fast unverbunden gegenüber: Spiel- und Saufgelage im Soldatenlager, Armenspeisung im Kloster, Kampfmusik, Rekrutierungsunglück, ein Komiker in Kutte, eine zwischen Hexe und Soldatenhure changierende Wahrsagerin, die von Veronica Simeoni zwielichtig halbweltlich gezeigt wird. Und dann gibt es da noch den zwischen Demut, Weisheit und Barmherzigkeit eingespannten Prior, dem Ferruccio Furlanetto Würde und eine stolze Menschlichkeit verleiht.

Dieses bunte, durch wilde Zeitsprünge angereicherte Gemisch aus den verschiedensten Gesellschaftsschichten geht auf die Originalvorlage "Don Álvaro o La fuerza del destino" zurück, die von dem schillernden Duque de Rivas (1791-1865) stammt: Begründer der Romantik in Spanien, Ministerpräsident, Militär. Der "Álvaro" wurde sein erfolgreichstes Stück, weil es hemmungslos, wild, leidenschaftlich und zutiefst katholisch ist und in der spanischen Tradition realistische Unterschichtsszenen gegen den Standesdünkel der Adelsschicht stellt.

Álvaro, Leonoras Lover, ist ein Mestize und damit dem nicht bloß strukturellen, sondern explizit offenen Rassismus von Leonoras Vater und Bruder ausgesetzt. Aus diesem derzeit wieder zunehmend aktuellen Thema ließe sich auf einer Opernbühne schon etwas machen. Doch Regisseur Christof Loy tut so, als gäbe es dieses Thema hier gar nicht. Das liegt daran, dass Jonas Kaufmann als Álvaro als ein Weißer daherkommt wie auch Leonoras mordlüsterner Rassistenbruder Carlo. Dass die beiden verschiedenen Kulturen und Rassen angehören, was im Stück zentral ist und den Hass Carlos entscheidend motiviert und unbewusst verstärkt, ist somit in London fürs Publikum nicht nachvollziehbar. Zumal Loy seinen Álvaro auch sonst durch kein Attribut, durch keine Geste als verachteten Außenseiter zeigt.

Álvaro und Carlo verbindet, dass sie adlig sind, Soldaten, Ehrenmänner. Allein die Hautfarbe trennt sie. Die groß ausgesponnen gemeinsamen Szenen der beiden sind der Kern dieser Oper. Nie sonst hat Verdi eine solche gleichberechtigte Männerkonstellation so ausführlich und facettenreich vertont. Da schwingt eine große gegenseitige Faszination mit, die erotisch aufgeladen ist, daneben finden sich Konkurrenzdenken, Hass, Barmherzigkeit, Großmut, Zärtlichkeit. Doch der szenisch leicht unbeholfene Jonas Kaufmann und der ganz auf Macho machende Ludovic Tézier lassen von all diesen Nuancen nichts erahnen. Sie liefern sich nur einen handfesten Sängerwettstreit, der die Gefährdungen des überkommenen Männerbild, welches hier komponiert ist, konsequent ausblendet.

Die "Forza" war schon immer ein Lieblingsstück der Dirigenten, da das Orchester hier eine weit größere Rolle spielt als in Verdis kurzen Stücken und zudem starke Kontraste auf engstem Raum zusammengedrängt werden. Also interessiert sich auch Antonio Pappano ganz besonders für dieses Stück. Pappano ist seit 2002 Musikchef des Hauses, er ist einer der wenigen großen Dirigenten, der fast alles kann. Glücklicherweise auch Verdi. Pappano hat sich in den letzten 20 Jahren faszinierend entwickelt. Vom Typ her ist er ein gefühlsbetonter, nie aufdringlicher Romantiker. Er bevorzugt einen farbig schillernden Klang, der nie harsch oder kantig daherkommt, sondern sich leicht und flexibel fortbewegt. Das Londoner Publikum liebt Pappano, der Beifall gehört vor allem ihn, der ihn ohne Allüren, bescheiden und dankbar annimmt.

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