Verdi:Der müde Maestro

Verdi: Peter Härtling: Verdi. Ein Roman in neun Fantasien. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015. 211 Seiten, 18,99 Euro. E-Book 16,99 Euro.

Peter Härtling: Verdi. Ein Roman in neun Fantasien. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2015. 211 Seiten, 18,99 Euro. E-Book 16,99 Euro.

Peter Härtling, der Meister der einfühlenden Biografie, spürt in seinem neuen Buch in "neun Fantasien" dem Leben und Sinnen des greisen Verdi nach.

Von Wolfgang Schreiber

Peter Härtling hat sich als rüstiger 82-Jähriger noch einmal an seine alte Schreibübung herangetraut - die biografische Einfühlung. Bisher konnte er damit Hölderlin und Mörike, Mozart, Schumann und Schubert durch Empathie heraufbeschwören. "Ein Roman in neun Fantasien" nennt er den Versuch, dem Komponisten Giuseppe Verdi skizzenhaft zu einer irrlichternden Gestalt später Lebensjahre zu verhelfen. Und Verdi, den alten, müde gewordenen Maestro des Musikdramas, in Beziehung zu setzen zu sich selbst: "Verdi war sechzig, als er sich vornahm, nach den Anstrengungen um 'Aida' eine Arbeitspause einzulegen. Zwanzig Jahre jünger, als ich es bin . . ."

Härtling geht es nicht darum, wie er im Vorwort schreibt, "das Leben Verdis zu erzählen, Daten und Werke einzusammeln". Stattdessen will er ein Wechselspiel inszenieren, "meine Erfahrungen als seine und seine als meine" erzählen. Er ist kein Historiker, den Poeten des Lebens interessieren Szenen mit Verdis Menschen, allen voran Giuseppina Strepponi, die angebetete schwierige Lebensgefährtin, die ehemalige Sängerin. Verdi ist selbst ein Schwieriger, Knorriger in imaginären Gesprächen und Selbstgesprächen, in jähen Ausrufungen, in seinen künstlerischen Skrupeln und persönlichen Zweifeln, den vom Altern beflügelten Ängsten.

Hauptschauplatz der "Fantasien" ist Verdis Landgut von Sant'Agata bei Busseto, dem nahe Parma gelegenen Heimatort in der Po-Ebene. Von hier gehen die Reisen nach Mailand, Neapel oder im Winter nach Genua, nach Turin, Paris oder Berlin zu den Opernhäusern und Aufführungen. Der Ruhm macht ihn noch anspruchsvoller, noch dünnhäutiger als es ohnehin seine Natur ist. Verdis Lebenstempo folgt bis ins Greisenalter den Kämpfen um die späten Shakespeare-Opern "Otello" und "Falstaff", für die der junge Komponist Arrigo Boito die Libretti schreibt. Er und der Mailänder Verleger Ricordi haben Verdi zum Abenteuer dieser Opern gedrängt. Eigentlich ist er nun im Hauptberuf Landwirt und sozialpolitisch tätig, er baut bei Sant'Agata ein Krankenhaus und in Mailand das bis heute belebte Altenheim für Musiker.

Die Lakonie der Sprache und die Virtuosität der "szenischen" Komposition Härtlings kommen dem Charakter Verdis entgegen. Motive der Anschauung und Ebenen der Beschreibung können ineinanderlaufen: Verdis Lebensepisoden, die Gesprächsfetzen, Erinnerungen, Zitate, Natureindrücke sind arrangiert nach Art einer Fantasie, des musikalisch Improvisierten. Klänge, Geräusche und Gerüche, Stimmen und Stimmungen wollen, manchmal widerstrebend, eingefangen werden.

Im Jahr 1897 stirbt Giuseppina Strepponi, das Ende ist in Sicht, Verdi erlebt noch das neue Jahrhundert, stirbt Ende Januar 1901. Damit endet die Erzählung Peter Härtlings, der sich am Anfang zu seinem eigenen Alter und zur Form der "Fantasie" bekannt hatte. "Es ist eine dem Alter angemessene Form." Er nähere sich an Jahren dem greisen Verdi und wünsche sich "waghalsig einen Austausch der Erfahrungen". Ihn bestätigt der Leser.

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