Süddeutsche Zeitung

Verbechen in Mexiko:Die sieben Kreise der Hölle

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Das gelobte Land ist unerreichbar, und zu Hause herrscht der Menschenhandel: In "Die Verbrannten" malt Antonio Ortuño ein grausiges Sittengemälde Mexikos.

Von Ralph Hammerthaler

Der Wirt des Cafés ist ein namenloser Südamerikaner. Als er die Abrechnung gemacht hat, geht er hinaus und verschließt die Tür. Von fern erklingt karibische Musik aus dem Radio. Plötzlich spürt er ein Messer in den Rippen. Ihm ist klar, dass er sich jetzt nicht umdrehen darf. "Wo ist dein Chef?" "Ich habe keinen Chef, das Café gehört mir." Darauf dringt die Klinge in sein Fleisch. Nun ist er so weit preiszugeben, wo der Chef sich aufhält. Mehr will die zwanzigjährige Yein nicht wissen, also schneidet sie ihm die Kehle durch und tritt ihm, kaum dass er hingefallen ist, den Kopf ein.

Yein stammt aus El Salvador. Mit unzähligen Migranten in einen Zugwaggon gepfercht, hat sie in Mexiko übelste Misshandlungen erlitten. Einmal, als der Zug an einer Station hält, wird sie herausgezogen und vergewaltigt, ohne dass ihr Mann auch nur aufblicken würde. Später gelingt es der Gruppe zu fliehen, was alles durcheinanderbringt, die Absprachen, die Geschäfte. Denn es geht um viel Geld für Schlepperbanden, Polizei und Behörden. Vermeintlich in Sicherheit, in einer staatlichen Unterkunft in Santa Rita, werden die Migranten Opfer eines verheerenden Brandanschlags; ein Großteil von ihnen kommt dabei ums Leben, auch Yeins Mann. Indem sie den Wirt des Cafés tötet, fängt sie an, Rache zu nehmen.

Der Roman "Die Verbrannten" von Antonio Ortuño ist teils Thriller, teils grausiges Sittengemälde. In einem Artikel lässt Ortuño den oppositionellen Journalisten Joel Luna beschreiben, was es für Migranten heißt, "die sieben Kreise der mexikanischen Hölle" zu durchqueren. Denn für die Zentralamerikaner, ob aus Honduras, Guatemala oder El Salvador, ist Mexiko nur ein Transitland. Sie wollen weiter in die USA. "Wenn du endlich drüben bist: Gratulation", schreibt Luna. "Der Horror geht ab jetzt auf das Konto der Gringos."

Negra, die eigentlich Irma heißt, hat Soziologie studiert und dann schnell Karriere gemacht bei der Nationalkommission für Migration (NkM). Nach dem Brandanschlag wird sie ins südliche Santa Rita geschickt, um das Verbrechen taktisch, also zugunsten der NkM, aufzuklären. Sie ist dürr und unscheinbar, keine Frau, nach der Männer sich umdrehen. Negra ist so dürr wie Yein, die Rächerin, und wie jene junge Frau aus Honduras, die bei Negras beleidigtem, weil verlassenem Liebhaber um Arbeit bettelt.

Aber irgendetwas muss Negra an sich haben. Denn sowohl Vidal, PR-Chef der NkM, als auch der Journalist Luna haben ein Auge auf sie geworfen. Überraschend gerissen fängt sie an, mit den beiden zu spielen. "Wenn Vidal erfuhr, dass ich diese Papiere aus dem Büro gestohlen hatte, um sie Luna zu geben, würde er ausflippen." Mit Vidal geht sie ins Bett, während Luna nicht mal die Hand auf ihren Schenkel legen darf.

Für die Zentralamerikaner ist Mexiko nur ein Transitland: Sie wollen weiter in die USA

Vidal, obzwar nur PR-Chef, scheint von einer dunklen Macht umgeben zu sein. Er ist ein Meister der Presseerklärung, so sehr, dass selbst die Hauptstadt nach seinem Rat verlangt, als dort Massengräber von Migranten entdeckt werden. Mehrmals ist in diesem Roman "die offizielle Version" der Geschichte zu lesen, jedes Mal eine von Vidals Presseerklärungen - Bestürzung, notwendige Aufklärung, Hilfe für die Opfer. Kein Schatten darf auf das NkM fallen. In Santa Rita sind sie derweil froh, dass sie durch die Massengräber aus den Schlagzeilen verdrängt werden. Die Toten sind nur Kalkül im Spiel um die Macht. Alle mischen bei den Geschäften mit, Kriminelle, Polizisten, staatliche Angestellte und Beamte. Das ist Ortuños bittere und auch zynische Botschaft. Nirgendwo stellt er sie so krass heraus wie in jener Bar, wo alle gemeinsam trinken, selbst der Boss der Migrationsbehörde, noch dazu ein paar Vollbusige, die bereitwillig Platz nehmen, jeweils auf dem Schoß eines Mächtigen, weil es sich so gehört. Diese Bar sucht sich Yein für ihren finalen Racheakt aus.

Auch wenn Ortuño auf den ersten Seiten die stupide Technik von Ein- oder Zwei-Wort-Sätzen anwendet, wie Don Winslow, wenn er zu faul ist, ganze Sätze zu formulieren, verliert sich das Gestauchte schnell. Die Sätze werden einfach, klar, unentrinnbar. Dass sie viel Brutalität enthalten, liegt an den Umständen in Mexiko. Es ist wie in Amat Escalentes großartigem Film "Heli", illusionslos, zärtlich und brutal. In einer viel zitierten Szene wird einem Widersacher der Schwanz abgefackelt, im Wohnzimmer, die ganze Familie schaut zu. Der Schwanz als Sinnbild der Macho-Kultur. Eine ähnliche Szene gibt's bei Ortuño. Dass die Gewalt in Mexiko so kaputte Ausmaße angenommen hat, ist bekanntlich eine Folge des Drogenhandels und des unermesslichen Geldes, das damit umgesetzt wird. In diesem Roman geht es nur um Menschenhandel, wo zwar auch Geld umgesetzt wird, aber nicht annähernd so viel.

Am stärksten ist Ortuño in den kursiv gedruckten Kapiteln, die Negras verschmähtem Liebhaber, dem Vater ihrer Tochter, gelten. Dieser Mann ist auf gut Deutsch am Arsch. Er unterrichtet Politik in der Oberschule, ohne dass sich auch nur irgendwer dafür interessieren würde. Er verdient nicht halb so viel wie Negra. Er ist frustriert und schimpft mit latentem Rassismus auf Migranten. Dabei weiß er genau, dass die Untermenschen aus Zentralamerika im gelobten Land der USA nicht anders wahrgenommen werden als die Untermenschen aus Mexiko. Bei ihm, der nahe am Bahnhof wohnt, wird ständig geklingelt; Migranten flehen ihn an um dieses und jenes.

Eine junge Dürre lässt er herein und bei sich sauber machen. Als er sie, bei der überraschenden Rückkehr, beim Duschen ertappt, fällt er über sie her. Danach kann er nur lachen, "ein Lachen, das bedeutet, dass ich mir ein verdammtes Scheißproblem eingebrockt habe, dass ich zu einer ganz besonderen Sorte von Arschlöchern gehöre und dass mein Leben derart grauenhaft schäbig ist, dass mein Liebesleben darin besteht, eine Honduranerin auf dem Badezimmerfußboden zu vergewaltigen."

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Quelle:
SZ vom 10.11.2015
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