Venedig verdreht Köpfe:Fast wie im richtigen Film

George Clooney sorgt für reichlich Leben und verzücktes Geschrei am Lido: Eine junge Frau bittet Clooney um Vergebung für vorangegangene Belästigungen, er kann sich an nichts erinnern. Da macht sie ihm einen Heiratsantrag. Mit Schleier auf dem Kopf.

SUSAN VAHABZADEH

Der Festivaldirektor Moritz de Hadeln wirkt ein wenig gehetzt in diesen Tagen, selbst wenn er an seinem Schreibtisch im Büro sitzt. Hier sieht es nach Arbeit aus, de Hadeln raucht nervös und wie eine Art lebende Zeitansage stecken alle 120 Sekunden die Assistenten die Köpfe ins Büro, um zu verkünden, wie viel Minuten noch bleiben, bis der Chef wieder auf dem roten Teppich stehen muss.

Venedig verdreht Köpfe: George Clooney und Catherine Zeta-Jones auf dem Catwalk bei der Präsentation ihres gemeinsamen Films "Intolerable
 Cruelty".

George Clooney und Catherine Zeta-Jones auf dem Catwalk bei der Präsentation ihres gemeinsamen Films "Intolerable Cruelty".

(Foto: Foto: dpa)

Es sprudelt nur so aus ihm heraus, die Klagen über die Mängel in der Organisation und vor allem im Budget - der Mann hat ja schon zwei große europäische Festivals geleitet und hat gute Vergleichsmöglichkeiten: "Ich habe hier weniger Geld als in Locarno und ein Team, das etwa halb so groß ist wie in Berlin." Ob er trotzdem weitermacht? "Ich habe gehört, dass der Biennale-Präsident Franco Bernabé der Presse erzählt, dass er das gern möchte. Aber mir hat er davon noch nichts gesagt." Die Zusammensetzung seines Wettbewerbs berühren diese Probleme nicht, auch wenn ein paar Filme nur außer Konkurrenz laufen: "Die Coens zeigen nur work in progress. Bertolucci habe ich mehrmals versucht zu überzeugen, dass er am Wettbewerb teilnehmen soll, aber er wollte nicht. Er behauptet, Wettbewerbe seien was für junge Leute. Darauf habe ich gesagt: Und was ist mit Oliveira? Er hat nicht geantwortet." Dass vor allem das amerikanische Kino außer Konkurrenz läuft, war jedenfalls keine Absicht: "Amerika ist ein großes Produktionsland, das kann man nicht ignorieren. Und Hollywood ist meiner Meinung nach sowieso nicht amerikanisch, sondern ein Schmelztiegel." Aber ohne Hollywood kommt auch Venedig nicht aus: "Ich merke, bei welchen Filmen die Treppen vor dem Festivalpalast voll sind und wann leer - und bei jedem amerikanischen Film, ob er nun gut oder schlecht ist, sind sie voll."

Die italienischen Kritikerspiegel übrigens strafen die Kulturpessimisten-Lügen, die behaupten, Hollywood habe für einen vollglobalisierten Filmgeschmack gesorgt. In der täglich erscheinenden Kinozeitschrift Ciak halten sich hartnäckig zwei Außenseiter auf den Spitzenpositionen für den Hauptwettbewerb: Der Liebling der italienischen Filmjournalisten heißt "Bu San" ("Goodbye Dragon Inn"), dem an Enthusiasmus allenfalls noch Takeshi Kitanos "Zaitochi" gleichkommt. Aber warten wir ab, bis Alejandro Gonzáles Iñárritus "21 Grams" mit Sean Penn und Benicio Del Toro gelaufen ist. "Bu San" ist eine taiwanesische Entdeckungsreise in Sachen Langsamkeit. Während der Spätvorstellung in einem riesigen baufälligen Kino treiben sich ein paar Zuschauer, eine Kassiererin und der Vorführer in den verwinkelten Gängen und gespenstischen Kammern herum, der erste Satz fällt nach 52 Minuten. Manchmal entstehen dabei eindrucksvolle Szenen - wenn beispielsweise eine Totale von den leeren rotbespannten Sitzreihen ein totes Spiegelbild des Zuschauerraums entstehen lässt. Der zweite Überraschungserfolg heißt "Le cerf-volant" ("Der Drache") von Randa Chahal Sabbag, eine surreal angehauchte Liebesgeschichte aus dem israelisch-libanesischen Grenzgebiet - laut Ciak liegt der Film in der Publikumsabstimmung vorn, obwohl er weder Stars noch Special Effects oder großes Drama zu bieten hat.

Miles and more

Dem US-Starkino können auch die beiden natürlich nur bedingt die Stirn bieten. George Clooney ist mit dem neuen Film der Coens, "Intolerable Cruelty", angerückt und hat für reichlich Leben und verzücktes Geschrei am Lido gesorgt. Es geht um eine Reihe von Geschichten ohne Liebe in L. A., geldgierige Frauen und karrieregeile Männer, einen aalglatten Scheidungsanwalt und seine herzlosen Klienten. Die Besetzung ist nicht frei von Ironie: Catherine Zeta-Jones spielt eine Frau, die einen alten Sack geheiratet hat, um bei der Scheidung ihr Bankkonto zu sanieren. Und George Clooney gibt den selbstgefälligen Star-Anwalt Miles, der lieber gar keine Bindungen eingeht. Wie meistens bei den Coens hat keine der Figuren das Herz am rechten Fleck. Aber diese Geschichte ist eine ihrer wärmsten; Miles hält eine Brandrede für die Liebe vor einem Kongress von Scheidungsanwälten - das ist Persiflage, aber die romantische Ader der Coens setzt sich dabei durch.

Auf der Pressekonferenz kam es dann zu einem unmoralischen Angebot, eine Szene so komisch und widerlich zugleich, dass sie aus einem Coen-Film stammen könnte: Eine junge Frau steht auf, bittet George Clooney um Vergebung für vorangegangene Belästigungen, er erklärt, dass er sich gar nicht daran erinnern könne, da legt sie noch einen drauf, macht ihm einen Heiratsantrag, mit Schleier auf dem Kopf. Vielleicht haben sich da die Coens, die nicht nach Venedig mitgekommen sind, nur einen Spaß mit ihrem Star erlaubt: Wie viel kriegt man wohl dafür bezahlt, George Clooney öffentlich einen Heiratsantrag zu machen? Ansonsten müsste einem diese Frau leid tun, die da vor aller Welt einem zugegebenermaßen sehr schönen und sehr erfolgreichen, aber fremden Mann ihre Liebe erklärt. Der fremde Mann wirkt, obwohl er sich bemüht, die Sache von ihrer witzigen Seite zu nehmen, sehr befremdet und gibt sich viel Mühe, keinen zu beleidigen. Schon deshalb weil die Italiener ihn, seit er in ihrem Land ein Haus hat und viel Zeit dort verbringt, quasi adoptiert haben. Schön, lobt er, wie sie ihr Land im Griff haben.

Da würden ihm viele Italiener widersprechen - all jene, die "Segreti di Stato" bejubeln, und viele, die mit Marco Bellocchios Wettbewerbsbeitrag "Buongiorno, Notte" (Guten Morgen, Nacht) ihre Probleme haben. Bellocchio hat ein Gespür für Räume und die Auflösung von Gefühlen in Bilder - aber mit den Geschichten, die er da erzählt, stimmt irgendetwas nicht. Sie sind zutiefst religiös - und bei seinem neuen Film wirkt das geradezu störend: Wenn irgendetwas faul ist im Staat Italien, dann die Entführung und Ermordung von Aldo Moro, und just davon handelt "Buongiorno, Notte". Bellocchio hat die Außenwelt ausgesperrt aus seinem Film, ihn fast auf ein Kammerspiel reduziert. Eine stark fiktionalisierte Geschichte, die sich auf die inneren Kämpfe eines der Kidnapper konzentriert - die Frau im Team, eine komische Heilige, die zu ihrem Terroristenjob durch unbefleckte Empfängnis gekommen zu sein scheint. Weil Bellocchio mit dieser Methode an nichts rührt, was umstritten ist am Fall Moro, rennt er mit seinem Film nur offene Türen ein.

Einmal aber entwickelt "Buongiorno, Notte" eine ungeheure Kraft, und mit dieser Szene hätte der Film enden sollen: Die Frau betäubt die Männer und lässt Moro gehen, der wie ein fröhliches Gespenst im Morgengrauen entwischt. Das ist ein Traum - aber das Kino darf die Wirklichkeit durchaus in dem Augenblick verlassen, da man sie sowieso nicht mehr begreifen kann. Irgendwo hinter der Leinwand wäre Moro dann noch am Leben, und eine zweite Version italienischer Geschichte würde entstehen.

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