Hochwasser in Venedig:Subito, Venezia!

Venezia, acqua alta da record: danni per centinaia di milioni

Ein Sperrwerk soll künftig Hochwasser in Venedig verhindern. Die Stauwehre sollten schon vor mehr als 20 Jahren fertig sein.

(Foto: Claudio Furlan/picture alliance/ZUMAPRESS)
  • Nach dem Hochwasser in Venedig soll die Architektin Elisabetta Spitz Superkommissarin für die Stadt werden.
  • In der italienischen Politik ist es nach Erdbeben, Vulkanausbrüchen und Überschwemmungen Tradition, einen solchen Erlöser ohne bürokratische Fesseln zu ernennen - diesmal ging es besonders schnell.

Von Oliver Meiler, Rom

Supercommissaria, so nennt man sie jetzt tatsächlich. Klingt nach Superwoman, und so ist das auch gemeint. Elisabetta Spitz, 66 Jahre alt, Architektin und Staatsbeamtin mit langem Curriculum, soll Venedig retten. Vor allen Hochwassern, vor den Scharlatanen und Verklärern, vor dem Tod, nichts weniger.

Normalerweise gibt sich die italienische Politik nach Erdbeben, Vulkanausbrüchen, Brückeneinstürzen und Überschwemmungen jeweils ein bisschen Zeit, bis sie einen Sonderkommissar benennt. Einen mit Vollmachten, einen Erlöser ohne bürokratische Fesseln, einen Beruhiger für das Volk. Diesmal nicht. Spitz wurde schon berufen, da hatte sich das Hochwasser, das alles überflutet hatte, die ganze Pracht, die Basilica San Marco und das Opernhaus Fenice, noch gar nicht ganz zurückgezogen. Venedig ist nun mal eine perfekte und deshalb gefährliche Metapher für das chronische Unvermögen des italienischen Staates und seiner Vertreter, das großartige Land auch groß zu denken. Und zu beschützen. Ganzheitlich, mit Zukunfts- und Gemeinsinn. Venedig ist eine Karikatur davon.

Und so muss nun alles schnell gehen. "Subito", sofort. Kein Wort hört man öfter. Jeder Einwohner erhält 5000 Euro, jeder Laden 20 000. Subito! Der Notstand ist verhängt, auch damit schaltet man die Bürokratie aus. Nicht nur Venedig wehrt sich gegen den Untergang, sondern vor allem die italienische Führungsklasse. Ihr Vertrauensdefizit wächst nie stärker als in solchen Momenten.

Die Scharniere der ersten Stauwehre rosten im Wasser vor sich hin

Politiker flüchten sich jetzt gerne ins Lamento über den Klimawandel und das angeblich so plötzlich verrückt gewordene Wetter. Manche werden über Nacht zu Umweltschützern. Dabei kämpfen Venedig und seine Lagune, dieses feine, fragile Ökosystem mit den drei Mündern zum offenen Meer, seit Jahrhunderten mit den Gezeiten, den peitschenden Wellen aus der Adria, der "Aqua granda", wie die Venezianer das hohe Hochwasser im Dialekt nennen. Immer von Herbst an. Natürlich wird das Wetter extremer, das bestreitet niemand. Doch die Grundproblematik bleibt die alte.

Der bisherige Rekordstand, 194 Zentimeter über dem Meeresspiegel, sieben Zentimeter höher noch als die Flut dieser Woche, wurde vor einem halben Jahrhundert gemessen. Am 4. November 1966. Das Datum dient als Demarkation. Spätestens seit jenem Tag läuft die Verantwortung der Politik. Damals sprach niemand vom Klimawandel. In den Siebzigern kam die Idee auf, die Lagune bei Hochwasser mit einem System mobiler, hydraulischer Dämme draußen an den drei Mündern zu schliessen: oben am Lido, unten in Malamocco und bei Chioggia.

Bald nannte man das Projekt Mose. Der Sozialist Bettino Craxi, Premier in den Achtzigern, versprach die Inbetriebnahme für 1995. Unaufschiebbar, sagte er, gewissermaßen: subito. Es ging immerhin ums Überleben Venedigs, einer Herrlichkeit auf Erden. Das Wortspiel im Namen Mose war durchaus gewollt. Moses aus der Bibel hatte schließlich das Meer geteilt, und das sollten die 78 hochfahrbaren Stahltore von je zwanzig Metern Länge auch tun - immer dann, wenn die Flut zu viel Wasser reindrücken würde. Eigentlich aber steht Mose für "Modulo Sperimentale Elettromeccanico", übersetzt: Elektromechanisches Probemodul. Und natürlich ist es ironisch, dass es noch immer so heißt: Probemodul. Es ist nämlich noch immer nicht fertig, nach all den Jahren. Das Unaufschiebbare wurde ständig aufgeschoben, unterdessen rosten die Scharniere der ersten Stauwehre im Wasser vor sich hin. Das Baukonsortium verstrickte sich in korrupte Machenschaften mit der lokalen Politik, das alte Lied, 34 Verhaftungen. Sieben Milliarden Euro kostete Mose schon. Ein Haufen davon wurde einfach verschwendet.

Nun heißt es, 2020 werde die Anlage getestet. Für Ende 2021 ist dann die Übergabe geplant, dafür aber seien noch mal 200 Millionen Euro nötig. Ohne "Commissario straordinario" geht es aber wieder nicht. Der Sonderkommissar - oder in diesem Fall die "Superkommissarin" - ist die Person gewordene Niederlage der Politik. Der Blitzableiter im permanenten Ausnahmezustand. Irgendwann müssen Kommissare nämlich unpopulär vernünftige Entscheidungen treffen, zwangsläufig, weil die Politiker den Mut dazu nicht hatten.

Nach schlimmen Erdbeben versprechen italienische Minister jeweils mit Pathos in der Stimme und Trümmerstaub auf dem Sakko: "Dov'era, com'era!" Man werde den Ort also wieder aufbauen, Haus um Haus, Kirche um Kirche, genau dort, wo sie standen und genau so, wie sie waren. Das aber ist oft nicht sehr gescheit, weil es ja einen Grund dafür gibt, warum sie eingestürzt sind. In der höchsten Gefahrenzone gibt es Gegenden, da dürfte überhaupt nicht gebaut werden. Schon gar nicht so, wie sie bisher bauten.

L'Aquila? Das große Beben ist jetzt mehr als zehn Jahre her, viele leben aber noch in provisorischen Siedlungen. Amatrice? Dreieinhalb Jahre nach der Katastrophe ist wenigstens der meiste Schutt weggebracht worden. Doch der Wiederaufbau ist zäh, das zermürbt die Menschen. Und noch immer gibt es keinen großen Plan, wie das Land vor den Launen der Erde geschützt werden könnte. Keine politische Vision, nicht einmal eine Debatte.

Ähnlich schutzlos sind die Gegenden rund um die Vulkane, die aktiven und die vermeintlich schläfrigen. Für Neapel und die Gemeinden rund um den Vesuv etwa gibt es einen Notfallplan für eine schnelle Räumung. Der Plan ist nicht mehr als ein schlechter Witz. Käme es zur Katastrophe, würden also die Phlegräischen Felder explodieren oder der Vesuv ausbrechen - die fliehenden Menschen würden im Stau feststecken. Zu befürchten wäre ein Pompeji der Neuzeit. Staat und Politik waren zu schwach, selbst minimale Sicherheitsstandards durchzusetzen. Alles wurde verbaut, auch die Fluchtwege.

In Taranto vergiftet ein Stahlwerk die Stadt - doch lange geschah nichts

In der Region Ligurien, einem schmalen Landstreifen im Nordwesten Italiens, eingeklemmt zwischen Berg und Meer, haben sie über die Jahrzehnte hinweg so viele Flussbetten zubetoniert, dass jeder mittelstarke Regen zur Sintflut wird. Auch in Genua, dem ligurischen Hauptort, einst eine stolze Seerepublik wie Venedig. Als dort im August vor einem Jahr der Ponte Morandi einstürzte und 34 Menschen in den Tod riss, hoffte man zunächst auf externe, sozusagen unbeeinflussbare Ursachen: der starke Regen, diese Winde, der Klimawandel! Auf eine Entschuldigung hoffte man. Dann kam heraus, dass die privaten Betreiber der Autobahnen die Brücke wohl nicht genügend gewartet hatten, dass überhaupt viele Viadukte im italienischen Straßennetz in prekärem Zustand sind und dass die Kontrollen öffentlicher Überwachungsgremien oftmals versagen.

Genua hat Glück, es hat brillante Söhne, einer ist Renzo Piano. Der international gefeierte Stararchitekt und Senator auf Lebenszeit hat rasch eine neue Brücke gezeichnet, ohne dafür ein Honorar zu verlangen. Nun bauen sie daran. Es geht schneller voran als erwartet, im kommenden Frühjahr soll eingeweiht werden. Die Zeitung La Stampa schrieb nach dem Hochwasser in Venedig, Italien brauche ganz dringend mehr Führungsleute wie Renzo Piano. Brückenbauer in die Zukunft, Zukunftsdenker. Piano ist 82 Jahre alt.

1,87 Meter

über normal - so hoch ist die verheerende Flut am vergangenen Dienstag in Venedig gestiegen. Nur einmal seit Beginn der Aufzeichnungen vor knapp hundert Jahren war das "Acqua alta" noch höher gekrochen: 1966 betrug der Pegelstand 1,94 Meter. Allerdings sind die Hochwasser in letzter Zeit häufiger eingetreten. Seit dem Jahr 2000 überstieg es in der Altstadt von Venedig zehnmal die Marke von 1,40 Metern - was zuvor höchstens ein, zwei Mal im Jahrzehnt der Fall gewesen war. SZ

Im apulischen Taranto erlebt man unterdessen die alte Schwäche der italienischen Politik. Da steht ein großes Stahlwerk, eines der größten Europas. Es war mal der Stolz des Mezzogiorno, eine seltene industrielle Ikone in Zeiten, da viele Süditaliener auswanderten. "Ilva", so hieß es früher, war natürlich immer schon eine Dreckschleuder sondergleichen, die Kamine pusteten schreckliche Gase aus, mitten in der Stadt. Früher kümmerte das niemanden: Wohlstand war wichtiger als Gesundheit. Nun zählt man da mehr Tumore als irgendwo sonst im Land, vor allem bei Kindern.

Das Werk hätte schon lange geschlossen werden müssen. Doch da es keinen Plan gibt, keine neue Perspektive für Tausende Arbeiter, duckte sich die Politik weg. Nun steht der internationale Konzern Arcelor Mittal, dem das Werk gehört, kurz davor, die Öfen auszuschalten. Man will sich nicht mehr gängeln lassen von der italienischen Bürokratie. Die neue Regierung in Rom aus Cinque Stelle und Sozialdemokraten wankt darob. Sie ist gefangen in einem Dilemma: Jobs oder Gesundheit. Mit etwas Mut und Zukunftssinn wäre das nicht passiert.

Jetzt ist es zu spät, der Untergang ist programmiert. Wahrscheinlich setzen sie auch für Taranto bald einen Superkommissar ein.

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