Süddeutsche Zeitung

Variete:Keulen statt Pistolen

Die Artisten des kanadischen Cirque Eloize gastieren mit zwei Produktionen im Deutschen Theater: "Saloon" und "Hotel". Letztere erzählt viel über ihren Alltag

Von Michael Zirnstein

Was den Cirque Eloize von einem klassischen Zirkus unterscheidet, zeigt sich vor allem nachts, nach der Vorstellung: Die Artisten ziehen sich nicht in Wohnwägen zurück, sondern in ihre Hotelzimmer. Der Direktor Jeannot Painchaud hat die Hälfte seines Lebens in Herbergsbetten geschlafen, erzählt er. Seit er 1984 den Zirkuskünsten verfiel, bereist er die Welt, und umso mehr, als er nach dem Besuch der Artistenschulen in Montreal und in Frankreich 1993 den Cirque Eloize mitgründete. Anfangs jonglierte er nicht nur mit Bällen, sondern auch mit den Aufgaben als Präsident der jungen Truppe: Er heuerte Artisten an, handelte Gagen aus, fuhr auf der Bühne Kunstrad und unterwegs den Ausrüstungs-Lkw, und er buchte die Unterkünfte in aller Welt.

Inzwischen hat der Nouveau Cirque aus Montreal 5000 Vorstellungen vor 3,5 Millionen Zuschauern - vom New Yorker Broadway übers Londoner West-End bis nach Saudi Arabien - in 550 Städten gegeben. In München mache man besonders gerne halt, sagt Painchaud. Hier gastierten die Kanadier 2007 zum ersten Mal im Deutschen Theater mit der Show "Nomade", einer nachtschwarzen Hommage an das fahrende Volk der Sinti und Roma, und kamen in den folgenden Jahren mit dem klatschnassen Spaß "Rain" und dem mysteriösen "Nebbia" wieder. So war der Plan bei der Gründung: "Meine Vision war es, den Zirkus ins Theater zu bringen, mit Theaterregisseuren und Choreografen neue Verbindungen zu erforschen", sagt Painchaud.

Dennoch hat er nichts gegen Zelte. Im Gegenteil, die En-Suite-Gastpiele im Grand Chapiteau auf Tollwood waren für den Directeur magische Erfahrungen. "Dort herrscht ein besonderer Geist", weiß er seitdem. Painchaud war selbst mehrmals hier. Beim von Kafka und den Filmen "Metropolis" und "Brazil" geprägten Multimedia-Kunststück "Cirkopolis" und dem Urban-Dance-Spektakel "ID" führte er selbst Regie. Der Comic-hafte, überaus komische Akrobatik-Western "Saloon" kam danach derart gut an, dass der Cirque Eloize ihn nun wieder in München gibt - diesmal allerdings im Deutschen Theater. Womöglich will die Intendanz die Zirkustruppe für ihr Haus zurückgewinnen, jedenfalls bot sie Painchaud an, gleich zwei Programme nacheinander zu spielen.

Von den acht Shows, die derzeit über den Globus tingeln, passte ausgerechnet eine weitere in den Plan: das Jubiläumsstück zum 25-jährigen Bestehen. Dafür wollten sich die Kreativkräfte des Zirkusses etwas Besonderes einfallen, und ohne lange zu überlegen, kamen sie auf ein Thema, dass sie alle verbindet: das Hotel. Sie hätten dafür kein bestimmtes Haus im Blick gehabt, erklärt Painchaud, eher das Hotel ihrer Träume, wie das Grand Budapest Hotel aus dem Wes-Anderson-Film: sehr Art déco, glänzendes Messing wie auf den Garderoben-Wägen, mit etwas Staub "und Geistern hinter den Wänden", nicht zu überladen, "dafür mit viel Platz für die eigene Fantasie, die Figuren und Geschichten".

Dabei zahlt sich der familiäre Charakter des Cirque Eloize aus, der zwischendurch zum "Cirque du Soleil"-Konzern gehörte, ehe Jeannot Painchaud die Anteile zurückkaufte. Der Vater der Kompanie engagiert keine Künstler, nur weil sie eine bestimmte Nummer besonders gut können - das sei Grundvoraussetzung. Er sucht beim Casting und auf den großen Zirkus-Festivals (beim 40. Mondial du Cirque de Demain haben zwei Eloize-Artisten gerade Gold und Silber gewonnen) vielmehr nach universell talentierten Persönlichkeiten. "Wir sind eine Familie", erklärt er, "und wenn wir die Shows entwickeln, kann jeder anbieten, was er will, etwas, woran wir beim Casting noch gar nicht gedacht haben." Gerade beim Hotel-Thema sprudelten die Ideen nur so, jeder steuerte eigene Erlebnisse bei: vom Geschäftsmann in Eile, vom verrückten Touristen, von zwei Verliebten, dem Zimmermädchen, dem Maître d'hotel und dem Handwerker mit seinem Hund Carpette, sie alle turnen, turteln, tanzen durch die Lobby und die Flure, schmeißen sich übers Geländer oder hängen vom Kronleuchter herab.

Eigentlich tauscht Painchaud seine kreativen Führungskräfte stets aus, um neue Richtungen einzuschlagen. Bei "Hotel" hat er sich für denselben Regisseur wie bei "Saloon" entschieden: Emmanuel Guillaume. "Ich liebe seinen Humor und wollte dem Stück seinen Slapstick, seine Seltsamkeit geben." Auch eine andere zentrale Stelle hat er gleich besetzt, mit seinem Cousin, dem Komponisten Eloi Painchaud. Die beiden haben ihre Kindheit auf den Magdalenen Inseln bei Quebec verbracht, wo auch der Name Eloize für die Hitzeblitze über dem Wasser entstand. Hat Painchaud in "Saloon" die Artisten selbst Folk und Country à la Johnny Cash und Patsy Cline spielen lassen, taucht er für "Hotel" in den Musikgeschmack seiner Mutter ein, die Chansons von Yves Montand und den Jazz des Hot Club de France hörte.

Durchgetauscht werden allerdings die Artisten in den Shows: Wenn die erste Truppe "Hotel" abgespielt hat und nach Lyon weiterzieht, rückt die "Saloon"-Familie aus Kanada an. Ihnen bleibt ein Tag, sich zu treffen - natürlich im Hotel.

Cirque Eloize; "Hotel" von 4. bis 12. Juni, "Saloon" von 13. bis 16. Juni, Deutsches Theater

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SZ vom 04.06.2019
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