Süddeutsche Zeitung

"Valerian" im Kino:Eurotrash auf Steroiden? Und wenn schon!

Klar, das Universum wurde schon oft gerettet. Aber selten sah es dabei so gut und so rettenswert aus, wie in Luc Bessons "Valerian". Eine Verteidigung.

Von Doris Kuhn

Die Gangster sehen aus wie ihre Kampfhunde, riesige Bulldoggen. Mit diesen Höllenviechern hetzen sie ihre Feinde durch mindestens fünf parallel existierende Realitäten. Ein Risiko, das Valerian und Laureline in Kauf nehmen müssen - sie sind Raum-Zeit-Agenten, interplanetarisch unterwegs für die menschliche Regierung. Im aktuellen Fall ist ihr Zielobjekt eine kleine Echse, letztes Überbleibsel aus einem zerstörten galaktischen Strandparadies. Das zarte Wesen befindet sich, wo sonst, im Bulldoggenhauptquartier.

So ist die Lage im All, im 28. Jahrhundert, in Luc Bessons Film "Valerian". Nach einer kurzen Erklärung zur Gesellschaftsordnung - Herbie Hancock als Verteidigungsminister, besser geht's nicht - und einem längeren Schlenker über die mutwillige Vernichtung des erwähnten Strandparadieses samt Flucht in einem Schulbus-Raumschiff wird klar, warum Luc Besson so viele Jahrzehnte gewartet hat, bevor er den Lieblings-Comic seiner Jugend auf die Leinwand brachte. Die Tricktechnik musste erst im Lauf der Zeit immer besser werden, um mit den überbordenden Bildfantasien dieser Geschichte mithalten zu können.

Denn Begriffe wie Bulldogge oder Echse sind gewissermaßen Notbehelfe. Sie beschwören nur bekannte Vorstellungen zur Beschreibung einer Welt, die an gar nichts Bekanntes mehr erinnern will. Die Echse ist in Pastellfarben gehalten und könnte auch ein Minilöwe sein. Die Gangster sind vielleicht doch Reptilien, ihre Bulldoggen haben ein paar Beine zu viel und das Gebiss von Piranhas.

Die Comicserie "Valérian et Laureline" erschien in Frankreich erstmals 1967 und entwickelte sich dann zu einem langlaufenden Klassiker. Die 22 Geschichten erzählen die Science-Fiction-Abenteuer der beiden titelgebenden Helden, mit Texten von Pierre Christin und Zeichnungen von Jean-Claude Mézières. Besonders Mézières katapultierte sich mit seinen Visionen sofort in die Avantgarde des SF-Genres, denn er erfand für seine Zukunftswelten zahllose Städte, Raumschiffe und fremdartige Wesen, von denen bis dahin nicht einmal jemand geträumt hatte. Er zeichnete sie mit üppigen Details, was wiederum die Fantasie von anderen Künstlern und Filmemachern so weit beflügelte, dass sie sich mal mit, mal ohne Ansage an seinen Ideen bedienten. George Lucas übernahm stillschweigend allerlei für "Star Wars", und Luc Besson, der das geniale Bestiarium lange für unverfilmbar hielt, heuert Claude Mézières immerhin an, um seinem Film "Das fünfte Element" einen wilderen Look zu verpassen. So entstand damals das fliegende gelbe Taxi, mit dem Bruce Willis durch die Zukunft kurvt.

Seitdem sind zwanzig Jahre vergangen, und die Computertechnik hat alle Beschränkungen hinter sich gelassen. Nun ist alles randvoll mit Aliens, mit Raum-, Zeit- und Gestaltwandlungen, die Szenen bieten eine solche Fülle von kleinteiligem Wahnwitz in Cinemascope und 3D, dass sie wirken wie abstrakte Kunst. Aus der Weite des Alls verlagern sie sich bald in die Enge eines urbanen Weltraumzentrums namens Alpha, und dort beginnt der eigentliche Auftrag von Laureline und Valerian. Es geht ums Ganze, Rettung des Universums, erschwert durch Intrigen, bei denen auch der tote Strandplanet und die kleine Echse eine Rolle spielen. Aber Helden und Zuschauer werden schnell abgelenkt von Alpha, dieser fantastischen Stadt.

Nicht nur die Bewohner von 1000 Planeten leben dort, auch Ethan Hawke taucht auf, als Wiedergänger von Dennis Hopper, und eine Erotiktänzerin mit dem Gesicht von Rihanna, in Wahrheit ein Quallenmädchen, das seine exquisiten Verwandlungskünste in einem Varieté verschleudert. Für viel zu kurze Zeit wird diese aufgeregte, lustige Qualle Valerians Komplizin, sie schnappt sich den Film und gibt ihn nicht wieder her, bis zu einem sentimentalen Höhepunkt.

Plot-Kohärenz ist schön, aber nicht immer zwingend nötig

Valerian und Laureline halten es in ihrer Beziehung eher mit Sarkasmus, Besson macht sie zu einem angenehm unromantischen Liebespaar. Valerian wird gespielt von Dane DeHaan, Jungstar in Hollywood, Laureline von Cara Delevingne, früher Fashionmodel. Besson inszeniert seine Schauspielerinnen immer als Kämpferinnen, und das kann Delevingne gut, vor allem die grimmige Miene. Außerdem legt sie diese Gemütsruhe an den Tag, die Frauen nur erreichen, wenn sie wissen, dass sie entweder sehr schön oder sehr schwer zu besiegen sind, und da mischt sich bei Delevingne die Realität ganz blendend mit der Fiktion. Trotzdem sehen beide zwischen ihren militärischen Begleitern wie Kinder aus, aber vielleicht liegt das auch daran, dass der ganze Film wirkt wie ein riesiger Abenteuerspielplatz.

Exakt diese Punkte werden in Amerika gerade von der Kritik bemäkelt. Keine Chemie zwischen den Hauptdarstellern, Dialoge zum Zusammenzucken und eine inkohärente Story, es fiel sogar das böse Wort vom "Eurotrash auf Steroiden". Gegen solche Anwürfe muss man den Film aber verteidigen. Die Aufgabe des Kinos darf es auch mal sein, dass einem einfach die Augen übergehen. Kohärenz ist schön, macht aber gerade bei amerikanischen Sci-Fi-Filmen auch oft zu viel Arbeit. Und für den Spaß, allen Irrsinn des Universums durch einen Comic kennenzulernen, reichen eine schillernde Oberfläche und ein hohes Tempo schon aus.

Für diese "Valerian"-Verfilmung ist der Abenteuerspielplatz also genau die richtige Umgebung. Das Universum wurde schon öfter gerettet, wohl wahr, aber es sah dabei selten so gut und so rettenswert aus. Genau deswegen sticht "Valerian" hervor, selbst in einem mit Spezialeffekten überladenen Genre. Und neben allen bizarren Fantasien liegt der eigentliche Trick in den Reminiszenzen an die Vergangenheit, die hie und da hervorblitzen. Schulbusse, U-Boote, Stripperinnen - beim Anblick des Vertrauten fühlt man sich in der fernen Zukunft gleich viel mehr zu Hause.

Valerian, F 2017 - Regie und Buch: Luc Besson. Produktionsdesign: Hugues Tissandier. Mit Dane DeHaan, Cara Delevingne, Clive Owen, Ethan Hawke, Rihanna. Universum Film, 137 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 21.07.2017
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