"Valentiniade" am Residenztheater:Gegen die Absurdität des Lebens

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Das Ensemble unter Andreas Auerbachs Rüschenhimmel. (Foto: Birgit Hupfeld)

Claudia Bauer wagt sich am Münchner Residenztheater an ein bayerisches Original - ihre "Valentiniade" wird ein musikalisches Meisterstück.

Von Egbert Tholl

Zunächst einmal ist dieses Unterfangen reine Hybris. Einen Abend mit Szenen von Karl Valentin zu machen und gleichzeitig eine Hommage an ihn entwerfen zu wollen. Hommage, gut, das scheint machbar. Aber die Szenen, die kleinen Stücke, die Ideen, geboren aus dem Bierdunst der Vorstadtkneipen und verlebendigt nur durch ihn - und Liesl Karlstadt natürlich. Geht doch nicht, man kann ja nicht Valentin auf die Bühne stellen, er ist ja seit 1948 tot, und es wird schon seinen Grund haben, weshalb sich die Theater kaum herantrauen an sein Werk, weil man doch einfach zu Hause eine Schallplatte auflegen könnte. Der Mensch Valentin, selbst erschaffene Kunst- und Lebensfigur, ist ja viel zu überbordend in seiner Eigentümlichkeit, als dass man sein künstlerisches Erbe so nehmen könnte wie von einem x-beliebigen Autor. Und jetzt machen sie am Münchner Residenztheater eine "Valentiniade", das kann ja nur schief gehen.

Geht auch schief. Aber nur kurz. Dann ist es ein Triumph. Sicherlich war es von vornherein eine gute Idee, die Regie in die Hände von Claudia Bauer zu geben, weil die halt auch eine starke künstlerische Eigenwilligkeit hat, die man zwar kaum, a priori, mit dem, was Valentin tat, in Verbindung bringen würde, die aber so gleich einmal überhaupt nicht die Gefahr aufkommen lässt, hier würde etwas nachgeahmt. Bauer also nimmt eine idiosynkratische Auswahl Valentinscher Szenen, bringt sie auf die Bühne in echter Claudia-Bauer-Manier, allerdings fragiler und diaphaner, als man es von ihr schon erlebt hat. Dazu schrieb der Dramatiker und Autor Michel Decar Überleitungen und Zwischenmonologe in den Spieltext hinein - ob man die braucht, sei dahingestellt. Er umwandert darin Valentins Ängste, ein weites Feld sicherlich, aber halt auch Spekulation wie der Ausgangspunkt des Abends.

Erst wird das Scheitern als Form vorgeführt, danach ist die Bahn frei für den Abend

Keineswegs sicher ist nämlich, ob Karl Valentin wirklich zugrunde ging, als er versehentlich im Kabarett Bunter Würfel über Nacht vergessen wurde - Bronchitis hatte er schon vorher. Aber nun, egal, hier geht es los, heute ist dort, Preysingstraße 42, ein Penny-Markt, den sieht man im Video. Und dann sieht man Lukas Rüppel als fabelhaft gute, weil freie Valentin-Imagination, Pia Händler besucht ihn als Tod, damit ist der Abend thematisch eingeordnet. In der Folge führt Claudia Bauer mit zwei kafkaesk überkandidelten Szenen ("Orchesterprobe") das Scheitern als Form vor, dann ist alles geklärt, und frei von aller nun überwundener Unbill wird das ein ganz fabelhafter Abend.

Schuld daran ist auf jeden Fall auch die aberwitzige musikalische Qualität. Michael Gumpinger erfindet einen grandios eigenständigen 20er-Jahre-Sound, spielt ihn mit Leo Gmelch und David Paetsch zusammen, es gibt viel mehr noch, "Schwanensee"-Musik mit Tuba etwa. Die Musik erzählt jede Szene, verwebt alles miteinander, unfassbar gut, so gut wie auch der Chor- und Sologesang des von Gumpinger gedrillten Ensembles. Ein Traum dabei Pia Händler als Soubrette, Isabell Antonia Höckel weil überhaupt. Katja Jung geht als Liesl Karlstadt durch, Max Rothbart und Nicola Mastroberardino als alles, und am Ende bleibt die Erkenntnis, dass es sich schon lohnen kann, gegen den eigenen Untergang und die Absurdität des Daseins unermüdlich anzurennen.

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