Vademekum fürs Bauen:Architektonische Gewissensfragen

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Von Gerhard Matzig

"Wenn es ihm mit seinen Ankündigungen ernst ist, kann Hitler sein Leben mit einem großartigen Werk krönen: der Neugestaltung Europas." Im Brief an seine Mutter vom Oktober 1940 enttarnt sich einer der großen Architekten der Moderne - Le Corbusier auf der Suche nach dem Gröbaz, dem größten Bauherrn aller Zeiten - zugleich als einer der großen Opportunisten dieser Moderne. Der vielleicht nur noch von Philip Johnson und/oder Satan übertroffen wird.

Johnson sagte einmal: "Ich würde auch für den Teufel persönlich bauen. Wer mich beauftragt, kauft mich. Ich bin käuflich. Ich bin eine Hure. Ich bin ein Künstler." Ist aber eine solche Haltung "moralisch vertretbar"? Das will in dem elegant und leichthändig geschriebenen und zugleich kenntnisreich erhellenden Buch "50 + 1 Architektonische Gewissensfragen" (Dölling und Galitz Verlag) ein Architekt namens Wolfgang W. wissen. Ihm geht es jedoch nicht um Hitler oder Satan, sondern um die katholische Kirche. Der Architekt W. könnte eventuell für die Kirche bauen und überlegt, ob es okay ist, wenn er "im Falle einer Beauftragung" in eben diese Kirche (wieder) eintritt?

Die Antwort von Martin Düchs, Architekt, Philosoph und Autor, lautet etwa so: Gäbe es ein Fegefeuer - der Baumeister, der eines ökonomischen Vorteils wegen seinen Glauben zum Markt trägt, er wäre Insasse. Nicht weil es um seinen eigenen Glauben geht, sondern weil "der" Glaube das Wertedenken anderer Menschen berührt. Zum Glück, so Düchs, sei das Fegefeuer nur eine "theologische Hypothese". Aber: "Meiner moralphilosophischen Verdammung entkommen Sie nicht."

Das Schöne an dieser ironisch pointierten, moralisch klaren und nachvollziehbar hergeleiteten Haltung, der man im Buch oft begegnet, ist die Ferne zu jeder Form von Moralinsäuerlichkeit oder Küchenpsychologie. Auf so reflektierte wie unterhaltsame Weise wird hier eine zeitgemäße Baukultur auf einem Tragwerk nicht des moralisch Gefühlten, sondern des moralphilosophisch Gedachten (von Aristoteles über Thomas von Aquin bis Immanuel Kant) errichtet. So entstehen bemerkenswerte Gebäude und Räume, die zugleich Denkräume und Gedankengebäude sind. Das Theoretische erweist sich als lebensnahe Praxis.

Die Architektur wird hier verhandelt nicht als Geschmacksfrage beliebiger ästhetischer Kategorien, sondern als ein Bauen, das im Ergebnis richtig oder falsch ist. Weil es auf einem richtigen oder falschen Verhalten fußt. Man sollte den Studierenden der Baukunst nicht nur die Schneider-Bautabellen (etwa über zweiachsige Hohlkörperdecken und Frischbetonverbundfolie) zu lesen geben, sondern vor allem auch "50 + 1 Architektonische Gewissensfragen".

Dem Buch, herausgegeben von der Bayerischen Architektenkammer, dient ein Vorwort von Rainer Erlinger. Der von ihm jahrelang betreuten "Gewissensfrage" im SZ-Magazin, die es in dieser philosophischen Form nicht mehr gibt, wurde die Düchs-Kolumne für das Deutsche Architektenblatt nachgebildet. Das Büchlein ist das Konzentrat dieser Kolumne. Aber entgegen seiner filigranen Gestaltung ist es auch ein belastbares Fundament des Bauens an sich. Die Architektur, heißt es, ist eine öffentliche Kunst - man kommt ihr nicht aus. Das stimmt. Doch gilt das deshalb, weil man am Bau weder gewissen Fragen noch den Gewissensfragen entgeht.

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