Mediaplayer:Berliner Würgeengel

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Eine Frage des Stils: das "Rotlichtmilieu" in "Utopia". (Foto: Filmjuwelen)

"Utopia" von Sohrab Shahid Saless ist ein knallhartes Rotlichtdrama und Meisterwerk der kalten Achtziger. Manfred Zapatka spielt darin einen Zuhälter.

Von Fritz Göttler

Der Blick geht hinauf, von den Musikern im Orchestergraben steigt die Kamera hoch in die Loge ... Hochgewölbte Blätterkronen, Baldachine von Smaragd, singt die Sängerin auf der Bühne. "Im Treibhaus" heißt das Lied, eins von Wagners Wesendonck-Liedern. Der Film selbst aber ist von erschreckender Kühle.

Club Arena heißt das kleine Etablissement in der Berliner Kantstaße, in das die Männer manchmal gehen, nachdem sie den Abend mit ihren Frauen verbrachten. Der iranische Filmemacher Sohrab Shahid Saless hat dort das studiert, was man gern Rotlichtmilieu nennt, für seinen Film "Utopia", 1983, gerühmt von Lotte Eisner, Romuald Karmakar und Herbert Achternbusch, aber auch von Sydney Pollack und Dustin Hoffman.

Saless hat ein Dutzend Filme in der BRD gemacht, die Siebziger dokumentiert als eine Welt der Fremden, der Gastarbeiter und Vertriebenen, aber auch all jener, die sich fremd fühlen im eigenen Land. Geboren ist Saless 1944 in Iran, drehte dort Dokus, wollte Film studieren in Wien, kämpfte um Fördermittel für jeden seiner Filme, ging in den Achtzigern nach Chicago, starb dort 1998.

Die Ruhe in diesen Filmen - "Utopia" nimmt sich über drei Stunden Zeit - ist von tiefer Verzweiflung durchdrungen, das Bürgertum wird seiner existenziellen Not ansichtig. Tschechow war ihm wichtig, ich bemühe mich sehr, sagt er, so zu filmen, wie er geschrieben hat. "Utopia" ist kein missachteter Film, er wurde in der ganzen Welt gezeigt, auf vielen Festivals, lief im ZDF, das bei der Finanzierung einsprang, als das Geld knapp wurde, stand in zahlreichen Saless-Retrospektiven auf dem Programm. Nun gibt es ihn auf DVD in einer neuen Abtastung 4K, in der Reihe der Filmjuwelen, wo man sich dem deutschen Kino besonders widmet.

Eine heruntergekommene Altbauwohnung hat in "Utopia" Heinz komplett restauriert, hohe Decken, beige, rosa, hellblau die Tapeten, ein Zimmer dient als eher dustere Bar. Richtig vornehm ist vor allem der lange Gang, mit den Türen, hinter denen man Geheimnisse sich vorstellen soll, möglichst erotische. Heinz agiert als ein Zuhälter, Stil ist alles in seinem Geschäft. Einmal gibt es tatsächlich eine kurze Szene in einer Vorlesung, da faselt der Dozent von Konnotation und Stilistik.

Fünf Damen hat Heinz zusammengesucht, verschiedenes Alter und verschiedene Typen, die sich hier den Männern anbieten müssen. Verführerische Posen, plüschige Koketterie. Gepflegte, zur Schau gestellte Spießigkeit. Der großartige Manfred Zapatka ist Heinz, er steht auf Makellosigkeit, welliges blondes Haar, weiche Gesichtszüge, ein borstiger Schnurrbart, dunkler Dreiteiler, Schuhe mit hohen Absätzen. Schön, elegant, knallhart musst du sein, hat Saless zu Zapatka gesagt, das Vorbild war der "Samourai" von Jean-Pierre Melville, Alain Delon als "Der eiskalte Engel". Vor dem Spiegel im Flur streichelt Heinz mit einem kleinen Kamm den Bart. Am Ende, als er mit wirklichen Gangstern sich einlassen muss, hat er einen blauen Fleck auf der Wange.

Gemein an Heinz ist seine Pedanterie, der Papierkram. Mit einer großen Schere schneidet er Sachen aus der Zeitung aus, die ins Album kommen. Die Preise sind genau festgelegt, Verkehr 120, französisch mit 130, ohne 140. Wehe, er kriegt mit, dass eine einem Kunden heimlich mehr abverlangt hat. Die Frauen herrscht er an mit rüdem Vokabular. "Stell den Rotz ab oder ich mach dich grün und blau" gehört zu den Sätzen, die man noch am ehesten zitieren kann. Die Brutalität ist abgezirkelt, punktgenau, geschäftlich. Nachdem er einer der Frauen eine gelangt hat, steckt er die Hände gleich wieder lässig zurück in die Hosentaschen.

Das alles ist natürlich doch eine Nummer zu groß, es steckt noch viel zu viel Familie in dem Unternehmen. Die professionelle Konkurrenz setzt Heinz unter Druck. In der Schublade seines Schreibtischs hat er eine Pistole. "Draußen ist Krieg." Bei der Uraufführung bei der Berlinale gab es Transparente im Saal, "Männer raus aus Westberlin" oder "Neue Männer braucht das Land". Die Entwicklung der "Me Too"-Diskussion hat das Profil der Figur verändert, der knallharte Unterdrücker ist selber eine demolierte, hohle, jämmerliche Figur. Heinz hat Schmerzen im Kopf, immer wieder legt er sich lang auf die Liege in seinem Zimmer, lebt die Hand über die Stirn, wenn's ganz schlimm wird, kniet er stöhnend mitten im Zimmer. Und auch die Frauen können wirklich fies sein - einem alten, schmächtigen Männchen verlangt eine immer weiter Zehner ab für Extras, dass er näher an sie ran und sie küssen darf. Das Ende ist absehbar, und es erinnert an den "Würgeengel" von Buñuel. "Kinder ihr aus fernen Zonen, saget mir, warum ihr klagt?"

Utopia ist auf DVD erschienen bei Filmjuwelen.

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