Süddeutsche Zeitung

USA:Unsichtbare Dritte

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Im Internet kursiert ein Video, auf dem ein Trump-Fan einen Native American bedroht. Ist das wirklich so? Denn ein anderes Video der gleichen Szene legt nahe, dass es in Wirklichkeit völlig anders gewesen sein könnte.

Von Thomas Jordan

Im November 2017 hatte der amerikanische Präsident Donald Trump bei einer Ehrung von Veteranen des Navajo-Stammesbereits Pocahontas-Witze gerissen. Nun kursiert eine neuerliche Szene der kulturellen Demütigung im Netz: Junge, privilegierte weiße Trump-Anhänger verhöhnen Angehörige ethnischer Minderheiten und deren Kultur vor dem Lincoln Memorial in Washington, einem Herzstück des liberalen Amerika. Der Ort, an dem Martin Luther King im Jahr 1963 seine weltberühmte "I have a dream"-Rede hielt und gleiche Rechte für Schwarze und Weiße forderte.

Seit Freitag ist dieses Video in den sozialen Medien hunderttausendfach geklickt worden, auf dem Schüler der katholischen Covington High School vor dem Lincoln Memorial in Washington zu sehen sind. Viele von ihnen tragen rote Baseballkappen mit dem Trump-Slogan "Make America Great Again". Die Schüler sind für den "March of Life" nach Washington gekommen, den jährlichen Demonstrationszug konservativer Abtreibungsgegner. Sie grölen, klatschen, feuern sich an, manche lachen. Dann zoomt die verwackelte Smartphone-Kamera tiefer in die Menge hinein. Rechts im Bild sind die dünnen, langen schwarzen Haare auf dem schmalen Hinterkopf von Nathan Philipps, einem älteren Native American und Vietnam-Veteranen zu sehen. Er schlägt eine Trommel und singt dazu. In bedrohlicher Nähe, nur wenige Zentimeter davon entfernt, sieht man das junge Gesicht von Nick Sandmann, einem Schüler der Covington-Highschool. Auf seinem Kopf sitzt geradezu demonstrativ die Trump-Kappe, er schmunzelt und schaut Nathan Philipps direkt in die Augen. Spöttisch, überheblich und in dieser Direktheit auch aggressiv sieht das aus.

Beziehungsweise kann es aussehen.

Denn am Montagmorgen hat CNN World einen Fernsehbericht online gestellt, in dem sich der Vorfall vor dem Lincoln Memorial völlig anders darstellt. Da ist eine dritte Gruppe von Männern zu sehen, die in dem kurzen, dreiminütigen Clip, der im Netz verbreitet wurde, gar nicht auftaucht. Diese fünf Männer beschimpfen nahezu alles und jeden, vor allem die katholischen Jugendlichen, die sie "dirty bastards" und "incest-babies" nennen. Mit Kameras in den Händen rücken die Männer, die sich "Hebrew Israelites" nennen, immer näher an die abwartenden Jugendlichen heran.

Spannung liegt in der Luft, man ahnt, dass sich eine Konfrontation anbahnt. Bis sich plötzlich, man sieht das in den auf CNN gezeigten Aufnahmen gut, Nathan Philipps mit seiner Trommel singend zwischen die beiden Gruppen schiebt. Er habe bemerkt, dass er sich in eine gefährliche Situation gebracht habe, sagt der Vietnam-Veteran bei CNN. Zwei Gruppen hätten sich gegenseitig beschimpft. Er habe die aufgeheizte Stimmung zwischen den Jugendlichen und den "Hebrew Israelites" deeskalieren wollen.

Auch er wollte nur Deeskalation, sagt Nick Sandmann. Das sei der Grund gewesen, warum er regungslos vor Nathan Philipps und den "Hebrew Isrealites" verharrt habe, während er von den Erwachsenen beschimpft worden sei. Es ist nicht leicht, zu sagen, wer hier die Wahrheit sagt und wer die Wahrheit so zurechtbiegt, dass sie in die eigene Agenda passt.

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Quelle:
SZ vom 22.01.2019
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