USA:Toter Winkel

Bastard
Max de Radigues

Illustration: Max de Radiguès/Reprodukt Verlag

Seit zwei Jahrzehnten wird Larry verdächtigt, ein Nachbarsmädchen getötet zu haben: Tom Franklin erzählt von abgehängten Typen.

Von Stefan Fischer

Was seine Freunde angehe, habe Larry einen komischen Geschmack, mosert Roy French, der Chefermittler des Gerald County in Mississippi. "Ich weiß nicht, ob's Ihnen aufgefallen ist", entgegnet Larry Ott: "Aber so viel Auswahl hatte ich nicht."

Larry wird seit zwei Jahrzehnten verdächtigt, ein Nachbarsmädchen getötet zu haben. Die beiden hatten ein Date, danach war Cindy verschwunden. Es gibt keine Leiche, keine Beweise. Aber es gibt einige Indizien und daraus resultierend die unbarmherzige Konsequenz sozialer Ächtung. Wobei Larry schon vor diesem unseligen Abend Probleme hatte, Kumpel zu finden. Mit Silas Jones hat ihn als Kind etwas verbunden, dass einer Freundschaft zumindest nahe kam. Bis Larry es verbockt hat. Das komplizierte Verhältnis zwischen Larry, dem weißen Sohn eines Automechanikers und Landbesitzers, und Silas, dem schwarzen Sohn einer unverheirateten Frau aus armen Verhältnissen, steht im Zentrum von Tom Franklins "Krumme Type, krumme Type".

Als junge Erwachsene haben die beiden sich aus den Augen verloren. Und nachdem Silas wieder nach Chabot zurückgekehrt ist, sind sie sich aus dem Weg gegangen. Doch jetzt, da wieder eine junge Frau verschwunden ist, kreuzen sich die Wege des einsamen Larry Ott und des trotzigen Constables Silas Jones, nur "32" genannt, unwillkürlich wieder. Nicht nur auf der Ebene polizeilicher Ermittlungen.

Im Original heißt dieser Noir-Krimi "Crooked Letter, Crooked Letter". Der Titel bezieht sich auf einen Reim, der Schülern in Mississippi als Eselsbrücke dient, um den Namen ihres Bundesstaates richtig zu buchstabieren. Mit dem verbogenen Buchstaben ist das "s" gemeint. Crooked heißt auch verwachsen, unehrlich. Zuschreibungen, die durchaus auf Larry und Silas zutreffen - und auf eine stattliche Reihe weiterer Figuren: Menschen, die in den Vorurteilen der Eltern gefangen sind, die deren Verletzungen erben und die ein Ventil suchen für ihre Scham, für die vielen Demütigungen. Die es zum Teil besser machen wollen und nicht wissen, wie das geht. Und darüber unehrlich sich selbst gegenüber werden. "Krumme Type, krumme Type" ist eine clevere Übertragung des Titels.

Franklin beschreibt einen heruntergekommenen Winkel der USA. Unkraut wächst durch die Risse der Bürgersteige, viele Häuser stehen leer und verfallen, die meisten Läden wurden irgendwann aufgegeben. Ein Bekleidungsgeschäft, das noch existiert, hat so wenige Kunden, dass es "ein Geschäft für Vintage-Mode geworden war, ohne sein Sortiment zu ändern". Auch die weiße Bevölkerung ist längst unten angekommen. "32 Jones" muss mit einem Schrotthaufen von Jeep herumfahren, so klamm ist die Gemeinde. Larry lebt davon, das Land seines Vaters Hektar für Hektar an das Sägewerk zu verkaufen, den einzigen Arbeitgeber am Ort. Andere dealen, und wenn sie Hunger haben, schießen sie Eichhörnchen. Hinterwalddunkel hatte Silas' Mutter die Gegend manchmal geschmäht.

Der Blick, den Tom Franklin auf dieses Milieu wirft, ist weder voyeuristisch noch diffamierend. Mit seiner klaren, lakonischen Sprache macht er die Dinge nicht größer, als sie sind. Denn sie sind ohnehin schlimm genug, haben sie doch die Kraft, Menschen zu verbiegen, klein zu halten, normale Leben zu verhindern. Dem gewinnt Franklin eine kraftvolle Literatur ab. Er kennt kein Mitleid mit seinen Figuren, lässt keine mildernden Umstände gelten - empfindet aber nichts desto trotz eine starke Empathie für sie. Damit reiht Franklin sich in die stolze Tradition der Südstaaten-Literatur ein. Und präsentiert doch vor allem ein aktuelles Bild. Es zeigt ein abgehängtes Amerika, wie es in "Tief im Süden" auch Paul Theroux malt, oder, im Norden am Beispiel der Neuengland-Staaten, Castle Freeman in seinen herrlich maulfaulen Thrillern.

"Krumme Type, krumme Type" endet mit einem Vorsatz. Der kann die Wende zum Besseren bringen. Oder am Beginn einer neue Lebenslüge stehen.

Tom Franklin: Krumme Type, krumme Type. Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl. Verlag Pulp Master, Berlin 2018. 406 Seiten, 15,80 Euro.

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