USA:Tiefpunkt der Kulturgeschichte

Es sollte das Medienereignis der kommenden Woche werden. Doch nun hat Verleger Rupert Murdoch O.J. Simpsons fiktives Mordgeständnis einstampfen lassen - und sich bei der Familie des Opfers entschuldigt.

Andrian Kreye

Das fiktive Mordgeständnis des ehemaligen Footballspielers O. J. Simpson sollte das Medienereignis der kommenden Woche werden. Doch die Rechnung, von dem spekulativen Grusel des amerikanischen Publikums zu profitieren, ging nicht auf. Nach zahlreichen Protesten zog Rupert Murdochs News Corporation am Montag Buch und Interview zurück. Nun gilt das Projekt als weiterer Beweis für den Zynismus, mit dem die Verlage und Sender des Medientycoons - zu denen auch der Hetzpropagandasender Fox News und das Revolverblatt New York Post gehören -, Geschäfte machen.

Simpson hatte für das Buch mit dem Titel "If I Did It" (Wenn ich es getan hätte) und ein Fernsehinterview ein Szenario entwickelt, wie 1994 der Mord an seiner Frau Nicole Simpson Brown und deren Freund Ronald Goldman abgelaufen wäre, wenn er ihn denn begangen hätte. Bis heute ist strittig, ob er nicht tatsächlich der Täter war. In einem Sensationsprozess wurde der ehemalige Running Back der Buffalo Bills im Oktober 1995 von der Mordanklage freigesprochen.

Armada aus Staranwälten

Ein Team aus sechs Staranwälten hatte die Beweislage mit brillanten Winkelzügen zerpflückt und die schwarzen Geschworenen mit Anspielungen auf den Rassismus der Polizei von Los Angeles verunsichert. Die Liveübertragungen spalteten Amerikas Bevölkerung. Während eine Mehrheit der weißen Amerikaner überzeugt war, dass Simpson schuldig ist, zweifelten die meisten schwarzen Amerikaner an der Täterschaft. Zwei Jahre später wurde Simpson in einem Zivilprozess wegen der Tat zu 33,5 Millionen Dollar Schadenersatz verurteilt.

Das fiktive Mordgeständnis des heute 59jährigen sollte nun die alten Empfindlichkeiten reaktivieren, die vor elf Jahren das ganze Land in hitzige Debatten über Rassenkonflikte, Prominentenprivilegien und die Schwächen der Geschworenengerichte verwickelt hatte. In minutiösen Details soll Simpson in dem Buch den Tathergang beschreiben, bis hin zu den Worten, mit denen seine Frau um ihr Leben gefleht habe. Oder besser gesagt, gefleht hätte, hätte er sie umgebracht.

Ausgedacht hatte sich das Projekt die Verlegerin Judith Regan. Die Karriere der 53jährigen gilt als eine der größten Erfolgsgeschichten des modernen Verlagsgeschäftes. Angefangen hatte sie als Reporterin bei der Klatschillustrierten National Inquirer.

Nachdem sie dem Verlag Simon&Schuster erfolgreiche Biografien von umstrittenen Prominenten wie der Schauspielerin Drew Barrymore und den Radiomoderatoren Rush Limbaugh und Howard Stern vermittelt hatte, wurde sie von Murdoch 1994 abgeworben, der für sie die "Regan Books" als Imprint seines Verlages Harper&Collins gründete. Seither bewies sie ein sicheres Gespür für Bestseller, indem sie das Ereignisbuch als ständige Größe im Medienbetrieb etablierte.

Auge in Auge mit dem Täter

Keiner beherrscht die Methode, aus einer Buchveröffentlichung ein Medienereignis zu machen, so gut wie sie. Zu ihren Autoren gehören vom Sohn des Mafiabosses John Gotti über den Skateboardstar Tony Hawk und den Regisseur Michael Moore vor allem Skandalprominente, die über Auftritte im Boulevardfernsehen für sechs- bis siebenstellige Auflagen sorgen können. Oft wurden solche Ereignisse firmenintern orchestriert. So sollte das Interview mit O.J. Simpson beim Murdochsender Fox laufen.

Mit dem fiktiven Mordgeständnis hatte Judith Regan die Konfrontation mit den Familien der beiden Mordopfer eingeplant. Selbst der Ekel, mit dem weite Teile der Öffentlichkeit auf die Ankündigungen reagierte, war noch gut fürs Geschäft.

Doch dann regte sich der Protest in den eigenen Reihen. Der Starmoderator von Fox News, Bill O'Reilly, bezeichnete das Projekt als "unentschuldbar und einen Tiefpunkt der amerikanischen Kulturgeschichte"; seinen Zuschauern empfahl er, sich "diesen Müll" nicht anzusehen, und kündigte sogar an, er werde jedes einzelne Produkt boykottieren, für das während des Interviews Werbung geschaltet würde.

Ein weiterer berühmter Moderator der Sendergruppe, Geraldo Rivera, versprach, er werde das Projekt bei jeder denkbaren Gelegenheit schlecht machen. Mehrere Fox-Sender meldeten, sie würden das Interview in ihrem Sendegebiet nicht ausstrahlen.

Geschmacklose Fehlentscheidung

Am Montag entschuldigte sich Konzernchef Murdoch bei den Familien der Opfer persönlich. Das Projekt sei eine geschmacklose Fehlentscheidung gewesen.

Judith Regan blieb eine Erklärung vorerst schuldig. Ursprünglich hatte sie das Projekt mit einer bizarren Presseerklärung begründet. Sie sei selbst von ihrem Ex-Mann misshandelt worden, sagte sie.

Der habe sie so verprügelt, dass sie eine Fehlgeburt erlitten habe. "Ich habe mich entschieden, das Buch zu veröffentlichen und Auge in Auge mit dem Mörder zu sprechen, weil ich wollte, dass er und die Männer, die mein Herz, unser aller Herzen gebrochen haben, ihre Sünden eingestehen und Buße tun", schrieb sie.

"Ich wollte einen Abschluss finden, kein Geld verdienen." Der Vorschuss für O.J. Simpson soll sich auf 3,5 Millionen Dollar belaufen haben, die auf ein Treuhandkonto für die Ausbildung seiner Kinder eingezahlt wurden. Allein für das Fernsehinterview wurden die Werbeeinnahmen von Murdochs Konzern auf acht Millionen Dollar geschätzt. Aus Firmenkreisen der News Corporation heißt es, der Skandal werde für Judith Regan keine weiteren Folgen haben.

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