USA:Mackerposen fürs Vaterland

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Kernige Burschen, patriotischer Pathos sowie hin und wieder das Logo der Bush-Kampagne - mit ihrer Musik erobern Countrystars wie Toby Keith derzeit die US-Hitparaden.

Von Andrian Kreye

Als der Countrysänger Toby Keith am vergangenen Wochenende im Freiluftstadion von Holmdel, New Jersey, seinen Hit "American Soldier" anstimmte, schnallte er sich vorher noch eine Gitarre um, die mit dem Muster des Sternenbanners bemalt war. Dann erhob sich sein rauer Bariton über die im Halbtonschritt aufsteigenden Powerakkorde, die der Schlagzeuger mit dramatischen Trauermarschwirbeln unterlegte, und auf den Großbildleinwänden lief das dazugehörige Video, das den Song in heroischen Sepiatönen bebildert.

Patriotismus pur: Countrysänger Toby Keith. (Foto: Foto: AP)

Von einem unbekannten Soldaten und Familienvater erzählt Keith da, der schweren Herzens dem Ruf seines Vaterlandes an die Waffe folgt und bereit ist zu sterben. Denn wenn die Freiheit in Gefahr ist, weiß er, was er zu tun hat. Weil er ein Amerikaner ist.

Strammstehen zum militärischen Gruß

In der Fernsehfassung des Videos posiert Toby Keith für den Refrain in einem Hangar voller Kampfjets. Auf der Bühne begnügte sich der breitschultrige Ein-Meter-neunzig-Mann damit, strammzustehen und das Publikum mit militärischem Gruß aufzufordern, sich von den Sitzen zu erheben. Ein recht exotisches Bild ergab sich da in einem Stadion, das doch nur eine knappe Autostunde von der New Yorker Stadtgrenze, aber ganze eintausend Meilen vom Mississippi entfernt liegt, der offiziellen Grenze zum Westen.

Kernige Burschen, die schwere silberne Gürtelschnallen, breitkrempige Stetsons und Echsenlederstiefel trugen, führten Mädchen an ihrer Seite, die ihre ausufernden Dauerwellen unter pastellfarbene Cowboyhüte gesteckt hatten. Wallende Flaggen und grimmige Adler bestimmten die Motive der T-Shirts, und hin und wieder blitzte auch das Logo der Bush-Kampagne auf einer Brust. Aus voller Kehle sangen die Fans mit, reckten Feuerzeuge in den Nachthimmel, und so manch einem trieb das patriotische Pathos die Tränen in die Augen.

Nun wären solch Ausbrüche amerikanischer Vaterlandsliebe nicht unbedingt eine Besprechung wert, selbst wenn Countrymusik wahrscheinlich die Launen der amerikanischen Volksseele im Hinterland besser widerspiegelt als jede andere Form der Popkultur. Patriotische Countrymusik ist auch nichts Neues. Johnny Cash übte sich mit Alben wie "America" und "Ragged Old Flag" in vaterländischen Lobpreisungen.

Eroberung der regulären Popcharts

Merle Haggard sang mit "Okie From Muskogee" und "Fighting Side Of Me" gegen die Vietnamproteste an. Auch Keiths Nominierung für gleich sechs Academy Of Country Music Awards interessiert eigentlich niemanden. Doch Toby Keith gilt als exemplarischer Vertreter einer neuen Countrywelle, die in Amerika jetzt auch die regulären Popcharts erobert.

Toby Keith ist längst keine Einzelfall mehr. Mit der Countrymusik verhält es sich für den Rest der Welt ja ein wenig wie mit dem Baseball. Man kennt die Namen nicht und würde sich damit einen ganzen Abend lang auch ziemlich langweilen. Doch für den empirischen Beweis ihrer wiedererstarkten Bedeutung in den USA sei ein Blick auf die Platzierungen der Countrystars in den aktuellen Popcharts erlaubt.

Da ist Tim McGraw mit seinem Album auf Platz eins eingestiegen, auf dem sich vor kurzem noch der Schunkelcountryveteran Jimmy Buffett befand, der jetzt auf Nummer elf einen Platz hinter dem Countrypopduo Big & Rich steht, die auch die Durchstarterin Gretchen Wilson produziert haben, die sich genauso wie Kenny Chesney schon seit vier Monaten in den Top 40 hält. Und nächste Woche wird Alan Jackson ganz oben landen. Was da in die Hitparaden einzieht, unterscheidet sich deutlich von der Countrymusik der letzten Jahre. In den 90er Jahren hatten sich zwischen klassische Popthemen wie Liebe, Lust und Eifersucht plötzlich Existenzängste und Scheidungselend in die Texte und Videos eingeschlichen.

Tim McGraw samt Ehefrau Faith Hill. (Foto: Foto: AP)

Glanz des weißen Proletariats

Keith verkörpert nun die neuen Leitmotive des Country besser als jeder andere. Er vereint Trinkfestigkeit und Patriotismus zu einer breitbeinigen Mackerpose gegen Großstadtkultur und Intellektualismus der Küsten. "Wir haben uns durchs College gefeiert und keinen Abschluss gemacht", prahlt er in "Nights I Can't Remember", in "Baddest Boots" schwärmt er von seinen handgenähten Cowboystiefeln und stutzt eine Angebetete mit einem frivolen "Who's Your Daddy?!" zurecht.

Das deckt sich mit Kenny Chesneys Anti-Mode-Song "No Shoes, No Shirt, No Problem", Jimmy Buffetts und Alan Jacksons gemeinsamer Hymne auf das Nachmittagsbier "It's Five O'Clock Somewhere" und Gretchen Wilsons White-Trash-Stolz, mit dem sie in "Redneck Woman" erzählt, dass sie die Weihnachtsbeleuchtung im Vorgarten das ganze Jahr über brennen lässt. Toby Keith singt aber nicht nur vom Glanz und Gloria des weißen Proletariats, er hat seine Texte - umso vermeintlich authentischer erscheinen sie - auch gelebt.

Courtesy of Red, White and Blue

Seine Kindheit verbrachte Keith auf einer Farm in Oklahoma. Nach der Schule verdingte er sich als Hilfsarbeiter beim Rodeo und auf den Ölfeldern des amerikanischen Westens, versuchte sich an einer Sportkarriere im Football, bevor er mit seinem Debütalbum in den Country-Charts landete. Sein Durchbruch kam allerdings erst nach den Anschlägen des 11. Septembers. Kurze Zeit später veröffentlichte er mit der Single "Courtesy Of The Red, White And Blue (The Angry American)" die inoffizielle Hymne der Falken im Lande.

"Sobald wir aus unserem blauen Auge schauen konnten, haben wir eure Welt angezündet, wie ein Feuerwerk am 4. Juli", sang er da, und: "Es wird euch noch Leid tun, dass ihr euch mit den Vereinigten Staaten angelegt habt, weil wir euch einen Stiefel in den Arsch rammen werden, wie das so die amerikanische Art ist." Damit führte er ein weites Feld zorniger Patriotenhits an, zu denen auch Clint Blacks "Iraq And Roll" gehörten und die Ballade, in der Darryl Worley die Zeile "Have You Forgotten" auf Bin Laden reimte.

Country hatte so eine neue Bestimmung gefunden und bahnte den Weg für jene nationale Trotzhaltung, die sich in den Partyhits von Big & Rich genauso wiederfindet wie in den hemdsärmeligen Wahlkampfauftritten von George W. Bush. Musikalisch wurzelt der neue Country dabei weniger in Hank Williams melancholischem Gespür für die Tradition der amerikanischen Musik, auf die sich die Generation der Nashville Rebels wie Johnny Cash, Willie Nelson und Kris Kristofferson bezog. Die Musik von Keith, Wilson und McGraw ist eher eine Fortsetzung des kalifornischen Softrocks, der in den siebziger Jahren auf den Sendern der neu erschlossenen UKW-Frequenzen um möglichst breite Akzeptanz buhlte.

Vorfabrizierte Meterware

Die im Country obligatorisch jammernde Steel Guitar und der leichte Twang in der Stimme dienen nur noch als stilistische Wiedererkennungsmerkmale für eine Musik, die ungefähr so aufregend ist wie ein Sonntagsspaziergang durch die Shopping Mall. Irgendwie riecht es würzig, aber letztendlich dient das Spiel mit der Authentizität doch nur dazu, vorfabrizierte Meterware zu verhökern.

So zog sich auch Toby Keiths Konzert zäh durch die Suff- und Mackerhits. Da half all die Pyrotechnik nichts, die mit Stichflammen und Funkenregen dramatische Akzente setzen sollte. Das Publikum jubelte, klatschte, tanzte zwar. Doch erst als sich Keith die Sternenbannergitarre für "American Soldier" umschnallte, verwandelte sich die Begeisterung in echte Inbrunst. So preschte Keith gleich nach dem letzten Akkord in das Crescendo von "The Angry American", während über den Köpfen die Großbildleinwände im Glanz rotweißblauer Sternenbanner erstrahlte.

"USA! USA!" skandierte die Menge zum Dank. Das kam nicht unerwartet. In Sport, Politik und Countrymusik hat sich das gutturale Patriotenkürzel längst als neuer Bravoruf etabliert.

© SZ vom 9.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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