USA:Im Bann des "ersten weißen Präsidenten"

January 20 2017 Washington District of Columbia U S President DONALD TRUMP shakes hands with

"Donald Trumps Weißsein ist nicht theoretisch oder symbolisch, sondern der Kern seiner Macht", sagt der Autor Ta-Nehisi Coates.

(Foto: imago/ZUMA Press)
  • Der schwarze Intellektuelle Ta-Nehisi Coates hat eine Debatte über die amerikanische Gesellschaft ausgelöst.
  • Seine These: Donald Trump sei der Versuch, die Existenz des ersten schwarzen Präsidenten auszuradieren.
  • Hoffnung auf eine Besserung der Lage der Afroamerikaner hat er nicht.

Von Johannes Kuhn, Austin

"The crown ain't worth much if the nigga wearin' it always gettin' his shit took"
 - Marlo Stanfield, The Wire

Das Problem des schwarzen Amerikaners ist, dass er sowohl ein Schwarzer als auch ein Amerikaner ist: Der Historiker W. E. B. Du Bois war es, der dieses Dilemma 1903 so präzise formuliert hat.

Die Frage, ob sich dieser Zwiespalt auflösen lässt, richtet sich seit jeher an das schwarze und das weiße Amerika zugleich. Sie steht hinter der Debatte über Polizeigewalt und Masseninhaftierung von Afroamerikanern. Sie ist derzeit präsent in der Unterstellung, der Protest schwarzer Athleten während der Nationalhymne sei "unpatriotisch". Und in ihr angelegt ist auch die Abrechnung mit einer nationalen Lebenslüge der vergangenen Jahrzehnte: Dass die schwarze Emanzipation ein langsamer, aber unaufhaltsamer Weg zur Befreiung und Gleichberechtigung ist.

Mitte der 1960er erahnte der schwarze Sozialkritiker Harold Cruse bereits, dass das Du Bois'sche Dilemma nicht zu lösen ist. Die afroamerikanische Identität, so seine Prophezeiung, würde stets zwischen dem ethnischen und dem nationalen Pol hin und her schwingen.

In den vergangenen Jahren hat der Intellektuelle Ta-Nehisi Coates mit diesem Widerspruch der afroamerikanischen Identität gerungen wie fast niemand sonst. Er wurde in der Amtszeit Barack Obamas auch deshalb vom Nischenblogger zum publizistischen Superstar, weil er mit seinen Denkbewegungen die gängigen Diskurse zerstörte. Vor Coates waren Debatten über die materiellen, gesundheitlichen und bürgerrechtlichen Nöte des schwarzen Amerikas im Mainstream allzu oft auf bequeme Antworten wie "Mehr Hilfe zur Selbsthilfe" reduziert worden.

Weiße Strukturen, düstere Aussichten

Vor allem das Versöhnungsnarrativ rund um den "ersten schwarzen Präsidenten" widerlegte Coates historisch unterfüttert: In einem Land, dessen nationale Mythen nicht ohne die Ursünde der Sklaverei denkbar sind, kann ein Obama zwar existieren - aber nur als Ausnahme und innerhalb der weiß eingefärbten Strukturen des Landes. Eine angreifbare These, die dem Land keine ehrlichen historischen Fortschritte zugesteht und gerade durch diese radikalen Perspektive ihre Kraft entfalten kann.

Allerdings eben auch eine, der die Geschichte zumindest vorläufig recht zu geben scheint: Die Wahl Donald Trumps hat Coates' Pessimismus schließlich bestätigt, ja übertroffen. Das nun als Buch erschienene Best-of seiner seit 2008 im Atlantic erschienen Texte hat er deshalb nostalgisch "We Were Eight Years In Power: An American Tragedy" genannt. Wer dieses "wir" ist, bleibt so diffus wie die afroamerikanische Position in der amerikanischen Nation.

Was der neue Präsident verkörpert, daran lässt Coates dafür in einer Art Single aus dem Best-of keinen Zweifel: "Donald Trump ist der erste weiße Präsident" heißt der Text, um den herum nun seit Wochen eine schmerzhafte Grundsatzdebatte auflodert.

Das "Afro" in "Afroamerikaner"

Trumps Wahl ist für Coates nämlich nichts anderes als der Versuch, die Existenz des ersten schwarzen Präsidenten auszuradieren. Obama konnte sich noch so postethnisch präsentieren und das "amerikanische" seiner Identität betonen: Die weiße Mehrheit wählte dennoch jenen Mann zum Nachfolger, dessen politische Karriere mit perfiden Zweifeln an Obamas Staatsbürgerschaft begann.

Wenn das weiße Amerika Afroamerikaner ausspricht, meint es demnach weiterhin vor allem: Afro.

Angriffe auf progressive Intellektuelle

Trump ist aus dieser Perspektive nur die "White Supremacy", die sich nun nicht mehr hinter Andeutungen verstecken muss. Jener tiefe Rassismus also, den Coates schon lange als Fundament der amerikanischen Nation identifiziert hat. "Donald Trumps Weißsein ist nicht theoretisch oder symbolisch, sondern der Kern seiner Macht", analysiert er. Der Botschaft Obamas, dass es Afroamerikaner mit doppelter Anstrengung so weit wie ein Weißer bringen könnten, setze Trump entgegen: "Arbeite halb so hart wie schwarze Menschen und du kannst es sogar noch weiter bringen."

Das ist ein harter Befund, der schwarz-weiße Solidarität entlang von Klassen oder Interessen allzu schnell zu Wunschdenken degradiert. Einerseits. Andererseits marschieren rassistische Gruppen mit einem - zumindest in den USA - lange nicht mehr dagewesenen Selbstbewusstsein. Und Trump adelt sie mit seinem Gerede von den "beiden Seiten", die schuld an dem Anschlag auf Antirassisten in Charlottesville seien.

Coates belässt es jedoch nicht bei naheliegenden Verurteilungen der Gegenseite: Sein Text ist auch deshalb so kontrovers, weil er sich nicht scheut, Vertreter der weißen liberalen Publizistik wie George Packer und Nicholas Kristof oder auch den progressiven Säulenheiligen Bernie Sanders als Apologeten des Trumpismus zu identifizieren.

Sie alle hätten die ökonomische Marginalisierung der weißen Arbeiterschicht als Ausrede für das Offensichtliche angeführt: den offenen oder unterbewussten Rassismus der Trump-Wähler. Dabei seien afroamerikanische Arbeiter in Wirtschaftskrisen überdurchschnittlich stark betroffen, und Weiße aus allen Einkommensklassen haben mehrheitlich Trump gewählt.

"Black Power", aber ohne Ausweg

Das ist alles keine brillante Wahlanalyse. Es ist vielmehr der radikale Versuch einer schwarzen Selbstbestimmung. Eine wütende Streitschrift, angelehnt an der Radikalisierung der "Black Power"-Bewegung, der auch Coates' Vater zeitweise angehörte. Deren rassisch durchdrungene Rhetorik sprengte in der zweiten Hälfte der 1960er die Bürgerrechtskoalition aus Progressiven und Militanten. Auch sie speiste sich aus dem Eindruck, dass die schwarze Emanzipation innerhalb weißer Machtstrukturen kein schmerzhafter Kampf, sondern eine brutale Unmöglichkeit sei.

Damals standen noch Ideen wie Kommunismus oder Panafrikanismus als Auswege zur Debatte. Im 21. Jahrhundert scheint für solche internationalen Utopien kein Platz mehr. Entsprechend wirkt Coates nicht wie der Prophet eines neuen militanten Rassenkampfes, sondern wie der Chronist einer strukturellen Rassentrennung, die bis zum Ende der amerikanischen Geschichte dauern wird. Einen Ausweg hat er mit der Forderung nach Reparationen für die Folgen der Sklaverei selbst formuliert. Diskutiert wurde der Vorschlag nicht.

Parallelen zum Rassen-Fetisch der Alt-Right?

Coates' Monokausalität, sein Fatalismus in der Analyse machen seine rhetorische Stärke aus. Doch der Preis dafür ist die Schwäche des Arguments, selbst wenn man Trump-Wählern kein Quäntchen Vernunft zugesteht und ökonomische Faktoren für obsolet erklärt: Wahlmotive wie Frauenfeindlichkeit und Xenophobie im weiterem Sinne. Und hätte nicht Obama, sofern ihm eine dritte Amtszeit erlaubt gewesen wäre, deutlich gegen Trump gewonnen?

Wenn alles auf die Motivation des Rassismus zusammenschrumpfe, so der angesprochene New Yorker-Autor Packer, ließen sich emanzipative Politikvorschläge nur noch auf Ablenkungstheater und Politik auf ein simples "unmoralisches Geschäft" reduzieren (eine Interpretation, die allerdings in der Tat viele US-Amerikaner inzwischen teilen).

Der schwarze Autor Thomas Chatterton Williams hat sich in diesem Zusammenhang zu einer Art Gegenspieler Coates' entwickelt. Er verweist in der New York Times auf die Abgründe, die sich hinter der Theorie des "weißen Präsidenten" verbergen. Williams diagnostiziert Coates, komplexe gesellschaftliche Entwicklungen auf eine "Moralität durch Sein" zu reduzieren. Mehr noch: Er mache aus der weißen Rasse einen Fetisch, wie es auch die Neonazis der Alt-Right-Bewegung zu tun pflegten.

Angesichts der jüngeren Entwicklungen allerdings scheint es kaum vermeidbar, afroamerikanische Identität weiter im Verhältnis zum Weißsein der Mehrheitsgesellschaft zu definieren.

Die unbeantwortete Frage der Geschichte

Doch dies verengt den Blickwinkel auf die Realität: Die Unterstützung des progressiven Lagers für Reform-Anliegen der Bewegung "Black Lives Matter" im Kontext strukturellen Polizei- und Justiz-Rassismus zeigt, dass schwarze Anliegen auch amerikanische Anliegen sind.

Ta-Nehisi Coates erkennt diese Unterstützung zwar, aber er erkennt sie nicht als echte Solidarität und das Versprechen von Gleichberechtigung an. Und in der Tat lässt die Geschichte des Landes die Frage offen, ob die Nation die afroamerikanische Emanzipation mit vollem Herzen unterstützt. Und ob sie sich überhaupt im Klaren darüber ist, wie sehr sie sich dafür ändern müsste.

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