Süddeutsche Zeitung

USA:Ein Angriff, 33 Jahre nach der Fatwa

Attentäter sticht dem Autor Salman Rushdie auf einer Bühne in den USA in den Hals.

Der vor mehr als 30 Jahren per Fatwa zum Tode verurteilte Schriftsteller Salman Rushdie ist bei einem Auftritt im US-Bundesstaat New York angegriffen und am Hals verletzt worden. Ein Mann sei in der Veranstaltungshalle im Ort Chautauqua am Vormittag "auf die Bühne gerannt" und habe Rushdie und einen Interviewer angegriffen, erklärte die New Yorker Polizei am Freitag. Der 75 Jahre alte Schriftsteller sei mit einem Hubschrauber in ein nahe gelegenes Krankenhaus gebracht worden. Er sei am Leben und werde operiert, teilte sein Literaturagent Andrew Wylie mit.

Wegen Rushdies Werks "Die satanischen Verse" ("The Satanic Verses") aus dem Jahr 1988 hatte der damalige iranische Revolutionsführer Ajatollah Khomeini 1989 eine Fatwa veröffentlicht, die zur Tötung des Autors aufforderte. Einige Muslime fühlten sich durch das Werk in ihrem religiösen Empfinden verletzt. Der Täter sei nach dem Angriff am Freitag noch in der Halle festgenommen worden, hieß es von der Polizei. Die New York Times zitierte eine Zeugin: "Es gab nur einen Angreifer. Er war schwarz gekleidet. Er hatte ein loses schwarzes Kleidungsstück an. Er rannte blitzschnell auf ihn zu."

Ein Reporter der US-Nachrichtenagentur Associated Press berichtete, der Angreifer habe zehn- bis 15-mal auf Rushdie eingeschlagen oder gestochen. Genauso wie zu Rushdies Gesundheitszustand gab es zunächst auch keine Details zu den Hintergründen der Tat. Ob diese im Zusammenhang mit der jahrzehntealten Fatwa steht, blieb zunächst offen.

Das islamische Rechtsgutachten des Ajatollahs rief damals nicht nur zur Tötung Rushdies auf, sondern auch all derer, die an der Verbreitung des Buches beteiligt waren. Ein japanischer Übersetzer wurde später tatsächlich getötet. Rushdie musste untertauchen, erhielt Polizeischutz. Nach Angaben seines Verlags aus dem vergangenen Jahr hat die Fatwa für Rushdie inzwischen keine Bedeutung mehr. Er sei nicht mehr eingeschränkt in seiner Bewegungsfreiheit und brauche auch keine Bodyguards mehr. Die Jahre des Versteckens gingen jedoch nicht spurlos an ihm vorüber. Er verarbeitete diese Zeit in der nach seinem Aliasnamen benannten Autobiografie "Joseph Anton" aus dem Jahr 2012.

Die Tat löste weltweit Entsetzen aus. Die New Yorker Gouverneurin Kathy Hochul twitterte: "Unsere Gedanken sind nach diesem schrecklichen Ereignis bei Salman und seinen Lieben." Auch die britische Harry-Potter-Autorin Joanne K. Rowling drückte ihre Bestürzung aus und schrieb, sie hoffe, es gehe Rushdie gut.

Geboren wurde der Autor im Jahr der indischen Unabhängigkeit 1947 in der Metropole Mumbai (damals Bombay). Er studierte später Geschichte am King's College in Cambridge. Seinen Durchbruch als Autor hatte er mit dem Buch "Mitternachtskinder" ("Midnight's Children"), das 1981 mit dem renommierten Booker Prize ausgezeichnet wurde. Er erzählt darin die Geschichte von der Loslösung Indiens vom Britischen Empire anhand der Lebensgeschichte von Protagonisten, die genau zur Stunde der Unabhängigkeit geboren werden und mit übernatürlichen Fähigkeiten ausgestattet sind.

Rushdie veröffentlichte mehr als zwei Dutzend Romane, Sachbücher und andere Schriften. Sein Stil wird als Magischer Realismus bezeichnet, in dem sich realistische mit fantastischen Ereignissen verweben. Dennoch sieht er sich unbedingt der Wahrheit verpflichtet. Diese sieht er zunehmend in Gefahr, was auch im Zentrum seiner jüngsten Veröffentlichung von Essays steht, die in Deutschland unter dem Titel "Sprachen der Wahrheit" herauskamen. Der in New York lebende Schriftsteller stemmt sich darin gegen Trumpisten und Corona-Leugner.

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SZ vom 13.08.2022 / dpa
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