Süddeutsche Zeitung

USA:Donnergrollen

Donald Ray Pollock hat 32 Jahre in einer Papierfabrik gearbeitet, bevor er als Autor bekannt wurde. Wie erklärt er sich, was im Mittleren Westen los ist?

Interview von Jörg Häntzschel

SZ: Herr Pollock, Sie schreiben Erzählungen und Romane und sind damit erfolgreich, doch bis vor fünf Jahren haben Sie in einer Papierfabrik in Ohio gearbeitet, also mitten unter den Trump-Wählern. Können Sie uns erklären, was passiert ist?

Donald Ray Pollock: Nicht wirklich. Ich dachte, Trump ist verrückt, und die Leute wählen keinen Verrückten. Aber ich habe acht Jahre George W. Bush überlebt, ich werde auch vier Jahre Trump überleben.

Worin bestand Ihre Arbeit?

Wir verbrennen Kohle. Die Asche, die dabei entsteht, fällt in Silos. 18 Jahre lang leerte ich diese Silos. Es war der schmutzigste Job dort, aber ich hatte viel freie Zeit.

Wie hat sich die Arbeit verändert?

Ich brach 1973 die Schule ab und fand dort sofort Arbeit. Ich verdiente genug, um ein Haus und ein Auto zu kaufen und eine Familie zu ernähren. Es war ein Tarifjob. Heute kann man froh sein, bei Walmart für Mindestlohn arbeiten zu dürfen. Selbst mit einem Collegeabschluss findet man kaum Arbeit, und dann hat man noch die Schulden für die Ausbildung abzuzahlen.

Warum hat Clinton das nicht deutlicher angesprochen?

Sie hat versucht, den Leuten die Wahrheit zu sagen. Trump hat versprochen, die Kohlebergwerke wieder zu öffnen. Aber das wird nie passieren. Clinton hat gesagt: Leute, so wie es aussieht, werden wir die Kohle nicht brauchen.

Viele fürchten , Trump werde die USA in einen autoritären Staat umbauen. Sie auch?

Er hat Mehrheiten in beiden Kammern, bald auch im Supreme Court. Viele seiner Leute haben extrem radikale Ansichten. Alles ist möglich. Aber Trump wird sehen, dass es nicht so leicht ist, seine Versprechen zu halten. Er hat eine lange Liste von Projekten für die ersten 100 Tage. Wenn er Glück hat, kann er eines davon realisieren.

Ist etwas dabei, das Ihnen gefällt?

Er will die Amtszeiten für Abgeordnete begrenzen. Das zweite: Er will Abgeordneten und Senatoren verbieten, nach ihrem Ausscheiden Lobbyisten zu werden. Keine Ahnung, wer ihm das untergejubelt hat, aber es ist eine fantastische Idee. Viele seiner Wähler haben absolut die Nase voll von Washington. Die meisten sind zu Recht der Ansicht, dass die großen Konzerne und die Reichen das Land kontrollieren. Bernie Sanders hat dasselbe gesagt.

So konnte ausgerechnet der protzigste Milliardär den Anwalt der Armen geben.

Viele fanden ihn zu extrem. Aber er ist kein Insider wie Clinton. Insider hatten wir jahrelang, und das lief nicht gut.

Wie kann ich als Armer jemanden wählen, der die Steuern der Reichen senken will?

Viele glauben, dass auch sie eines Tages reich sein werden. Und sie sind gegen eine staatliche Krankenkasse, oft auch gegen Arbeitslosenhilfe, weil es ja immer Leute gibt, die noch ärmer sind als sie. Sie wollen nicht, dass die ihr Geld bekommen.

Wie kam es, dass die Arbeiterklasse so aus dem Bild rückte?

Das fing in den frühen Achtzigern an, als die Unternehmen begannen, sich vor allem um ihre Shareholder zu kümmern, und als Reagan versuchte, die Gewerkschaften zu zerstören. Um die Profite zu steigern, sparten sie am anderen Ende. Und um den Shareholdern noch mehr zu bieten, verlagerten sie die Produktion ins Ausland.

Und die Clintons hatten keine Einwände.

Genau. Deshalb war sie so unglaubwürdig. Und weil die Arbeiter wirtschaftlich immer bedeutungsloser wurden, schwand auch deren politische Bedeutung. Sie zählten nichts mehr, die Unternehmen zählten.

Um die Probleme des Kapitalismus zu beheben, wählt man einen Erzkapitalisten.

Bernie hat sich als Sozialist bezeichnet, und er hatte enormen Zuspruch. Vielleicht ist das ein Anzeichen, dass die Angst vor dem Sozialismus schwindet. Nur stand er eben nicht zur Wahl.

Warum wählt die Hälfte der Leute nicht?

Für viele könnte Washington auch auf dem Mond liegen. Sie lesen keine Zeitungen, hören nicht mal Nachrichten, verstehen nicht, wie die Wahlen funktionieren. Es gibt hier und dort auch Versuche, Leute am Wählen zu hindern. Dennoch ist Wählen immer noch sehr einfach.

Ihre Geschichten spielen Anfang des 20. Jahrhunderts, in einer wilden, brutalen Welt. Ist sie der Realität mancher Amerikaner vielleicht näher, als wir denken?

Ich hoffe nicht. Aber klar ist, dass diesen Leuten egal ist, was in Washington oder sonstwo vor sich geht.

Auch wer sich nicht für Politik interessiert, spürt doch deren Effekte.

Als ich die Schule schmiss, war klar, dass ich sofort einen Job bekommen würde. Heute ist das unmöglich. Die Leute haben das seit Langem akzeptiert. Und dann kommt plötzlich Trump und sagt ihnen: Nein, ihr müsst das nicht akzeptieren. Sie sind so wütend auf die Regierung und die Karrierepolitiker, dass sie einfach sagten: Fuck them, ich wähle den!

Viele Trump-Wähler träumen vom Amerika der Vierziger und Fünfziger. Trumps Persona scheint eher einer früheren Zeit entliehen, der aus Ihren Büchern.

Ich glaube, die Leute waren 1917 zivilisierter als heute. Klar, Rassismus grassierte, es gab viel Armut, aber der Umgang untereinander war friedlicher. Das hat sich mit dem Internet geändert, mit den Sendern, die keine wirklichen Nachrichten senden. Trump verkörpert wie kein anderer diese Kultur.

Man braucht in einer Demokratie auch Leute, die ehrgeizig und klug sind, die sich durchsetzen. Wie funktioniert Demokratie, wenn man jeden verachtet, der es zu Prominenz und Einfluss gebracht hat?

Die, die an der Macht sind, müssen für ihre Wähler arbeiten, müssen schauen, dass diese genug verdienen, dass das Gesundheitssystem funktioniert und so fort. Die meisten Politiker kümmern sich nicht darum.

Hätte man dann nicht eher das System ändern müssen, statt Trump zu wählen?

Die Politiker hätten das System ändern müssen!

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Quelle:
SZ vom 15.11.2016
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