US-Wahl:Amerikas Intellektuelle stehen unter Schock

US-Wahl: Im patriotischen Gegensatz: Der New Yorker Künstler Scott LoBaidobei bei der Arbeit an der Installation "Patriotic Lawn T" im August. Die Arbeit wurde von einem Unbekannten wenig später in Brand gesetzt.

Im patriotischen Gegensatz: Der New Yorker Künstler Scott LoBaidobei bei der Arbeit an der Installation "Patriotic Lawn T" im August. Die Arbeit wurde von einem Unbekannten wenig später in Brand gesetzt.

(Foto: AFP)

Künstler, Musiker, Autoren und Wissenschaftler sind nach der US-Wahl fassungslos. Einige von ihnen, darunter T.C. Boyle und Judith Butler, haben ihre Gefühlslage für die SZ trotzdem in Worte gefasst.

Wer sind sie? Von Judith Butler

Zwei Fragen treiben die amerikanischen Wähler links von der Mitte um: Wer sind diese Trump-Wähler? Und warum waren wir auf dieses Ergebnis nicht vorbereitet? Das Wort "Verheerung" beschreibt nur annähernd das Gefühl, das sich unter meinen Bekannten verbreitet. Wir wussten nicht, wie groß der Zorn auf die Eliten ist und wie tief die Wut weißer Männer gegen Feminismus und Bürgerrechtsbewegung, wie sehr die wirtschaftliche Zwangsenteignung viele zermürbt, wie stark Isolationismus, das Versprechen neuer Mauern und die nationalistische Streitlust sie beflügeln. Ist dies der neue "Whitelash", die Abrechnung der weißen Bevölkerung mit dem Rest der Amerikaner? Und warum hat sie uns so überrumpelt?

Wie in Großbritannien nach dem Brexit zweifeln wir nun an den Meinungsumfragen: Wer wird befragt, wer nicht? Antworten die Befragten wahrheitsgemäß? Stimmt es, dass die Mehrheit der Wähler weiße Männer waren, und dass zahlreiche Menschen anderer Hautfarben zu Hause blieben? Wer ist diese wütende, nihilistische Öffentlichkeit, die die Kandidatin der Demokraten für die Schäden des Neoliberalismus und des deregulierten Kapitalismus verantwortlich macht? Wir müssen über rechten und linken Populismus und Frauenverachtung nachdenken.

Hillary Clinton wird mit der Politik des Establishments identifiziert. Dabei sollte man den tief verwurzelten Zorn gegen sie nicht unterschätzen, einen Groll, der teilweise aus Frauenfeindlichkeit und der Abscheu vor Obama rührt und sich an einem lange schwelenden Rassismus entzündet. Trump hat die aufgestaute Wut gegen die als mäkelnde Zensurpolizei verstandenen Feministen geschürt, gegen einen Multikulturalismus, der weiße Privilegien bedroht, gegen Migranten, die er zum Sicherheitsrisiko erklärt hat. Die leere Rhetorik falscher Stärke hat triumphiert. Sie bildet eine Verzweiflung ab, die weiter um sich greift, als uns bewusst war. In einer Welt, die fälschlicherweise als "postethnisch" und "postfeministisch" bezeichnet wird, setzen sich Frauenhass und Rassismus über Urteilsvermögen und den Einsatz für demokratische, inklusive Ziele hinweg. Sadistische, ressentimentgeladene, destruktive Leidenschaften steuern unser Land.

Und wer sind wir, die wir die Macht dieser Menschen nicht sahen und all das überhaupt nicht erwarteten, die wir nicht begriffen, dass die Leute für einen Mann mit rassistischer, fremdenfeindlicher Sprache, mit einer Geschichte sexueller Beleidigungen stimmen würden, der Ausbeutung von Arbeitern, Geringschätzung für die Verfassung und Migranten und dem fahrlässigen Plan für eine stärkere Militarisierung? Schirmt uns unsere weltentrückte Art des linksliberalen Denkens von der Wahrheit ab? Und was müssen wir tun, um eher eine Widerstandsbewegung als eine politische Partei abzugeben?

Judith Butler, 60, lehrt Philosophie in Berkeley.

Anstandslos, von Steve McCurry

Ich bin um Mitternacht ins Bett gegangen und habe bis jetzt weder ferngesehen noch Zeitung gelesen, sondern nur kurz auf mein Handy geschaut. Ich will nicht, dass sich diese Bilder in meinem Kopf festsetzen, Bilder davon, wie Trump über sich selbst spricht, wie er über Hillary Clinton spricht. Wahrscheinlich hat diese FBI-Affäre über Clintons E-Mails eine Rolle gespielt, vor allem aber die Tatsache, dass sie eine Frau ist. Nach acht Jahren mit einem schwarzen Präsidenten war das für die Trump-Anhänger unerträglich. Viele von ihnen stammen aus der weißen Landbevölkerung, sie sind arbeitslos, sie sind wütend, und sie teilen Trumps Einstellung zu Frauen.

Man wird sehen, wie er sein Programm und seine Slogans umsetzt, die Menschen werden das verfolgen. Ob er es wirklich schafft, dass Mexiko eine Mauer an der Grenze zu Amerika finanziert, zum Beispiel. Ob er wirklich sofort nach Russland zu Wladimir Putin fliegt, um sich mit ihm anzufreunden, das war ihm ja so wichtig. Und kein Mensch weiß, was er mit Obamacare anstellen wird. Ich halte eine Krankenversicherung in einer Gesellschaft für wichtiger als die Verteidigung. Die Rechten haben auf Kanada und Frankreich gezeigt - als Negativbeispiele -, dabei waren sie wahrscheinlich nie in Frankreich.

Trump schert sich einen Dreck um die Umwelt, er will neue Jobs im Bergbau. Ich glaube nicht, dass er sich groß Gedanken über Tiere oder Naturschutz macht. Wird er Frauen künftig einsperren, wenn sie gegen ein verschärftes Abtreibungsgesetz verstoßen?

Er hat übertrieben, er hat gelogen, aber bis jetzt war das völlig gleichgültig. Er hat selbst gesagt: Ich könnte jemanden erschießen und würde nicht einen Anhänger verlieren. Er ist ein Lügner, aber für seine Fans ist das nicht wichtig. Sie sehnen sich so sehr nach einer Veränderung, dass sie diese frauenfeindlichen, rassistischen Äußerungen, diesen Mangel an Anstand und Moral in Kauf nehmen.

Steve McCurry, 66, ist Fotograf.

Ende der Einfühlung - Ich verachte meinen politischen Gegner, von T.C. Boyle

19 Uhr, Westküstenzeit. Ich bin Teil des Problems. Nein, ich bin die Wurzel des Problems. Ich verachte die politischen Gegner so sehr, dass ich allen Respekt verliere für jeden, der die andere Seite unterstützt, bei dieser Wahl mehr denn je. Es geht so weit, dass ich fürchte, an unserer Demokratie nicht mehr teilnehmen zu können. Denken Sie an die Würde, mit der Al Gore im Jahr 2000 gegenüber George W. Bush seine Niederlage einräumte, obwohl es der parteiische Supreme Court war, der Bush den Wahlsieg beschert hatte.

So funktioniert die Demokratie. Ich muss davon lernen. Ich muss das akzeptieren. Ich bin ein Patriot. Unsere Gesellschaft hat es mir immer erlaubt, ohne Angst zu sagen, was ich wollte, sie hat mich aus der Arbeiterklasse aufsteigen und das privilegierte Leben eines Künstlers führen lassen. Und doch, und doch, wie könnte ich akzeptieren, dass jemand, den ich kenne und respektiere, die andere Seite unterstützt? Wie werde ich morgen über diese Person denken? In einer Woche? Einem Jahr? Prinzipien sind mir wichtig. Verletze meine Prinzipien, und du bist für mich erledigt.

Am Abend, während die Wahllokale an der Ostküste schlossen, ging ich mit meiner Frau in unsere Lieblingsbar, die Wahlergebnisse zu verfolgen. Doch ich konnte nicht bleiben. Meine Angst war zu groß, dass jemand so dumm ist und für die anderen stimmt. So gehirngewaschen, so sehr Opfer der Propaganda, dass er gegen seine eigenen Interessen stimmt - und gegen die seines Landes. Jetzt bin ich zu Hause und schreibe und gebe zu, dass auch ich den Vertrag verletzt habe, der unser Land so lange starkgemacht hat.

Ich werde als Schriftsteller dafür gefeiert, dass ich mich in jede Person hineinversetzen kann, dass ich die Welt von allen Seiten betrachten kann. Okay. Gut. Ich bin stolz auf diese Fähigkeit. Aber an diesem Abend wird meine Seele von dem Gedanken gequält, dass die andere Seite gewinnen könnte, meine Einfühlungsgabe ist fort. Es gibt nur Sieg oder Tod.

22 Uhr, Westküstenzeit. Ich bin fassungslos, wie knapp der Ausgang ist, obwohl es doch für mich nur einen einzigen ernsthaften Kandidaten gibt. Ich habe Richard Nixon und George W. Bush überstanden, aber das? Egal, wie das Ergebnis ausfällt, das Grundproblem bleibt dasselbe: Die Regierung ist käuflich für private Interessen; und die Arbeiterklasse wird durch Propaganda manipuliert, damit sie wählen geht. Es sollte ein Gesetz dagegen geben. Aber wer wird es verabschieden? Unser System ist kaputt, und wir sind als Volk fast so zerrissen wie während des Bürgerkriegs. Wer wird das reparieren? Ich nicht. Ich bin nicht kompromissbereit genug. Was soll ich also sagen? Ich sage gute Nacht. Ich sage, lasst uns morgen als tolerante Menschen aufwachen. Ha! Viel Glück damit!

T.C. Boyle, 67, ist Schriftsteller.

Die Unerhörten, von Saskia Sassen

Trumps Sieg macht klar, wie viele Menschen, darunter viele Alte, die zum ersten Mal gewählt haben, sich nicht repräsentiert fühlten von den politischen Klassen beider Parteien, nicht vertreten auch von Kommentatoren und Experten. Wir müssen das ernst nehmen. Die liberale Demokratie begann ernsthaft zu versagen, als in den Achtzigern die Weichen gestellt wurden für die neue, globale, deregulierte Wirtschaft. Dies ist der vorläufige Höhepunkt.

Obama war der letzte Atemzug, und er gewann, weil er so viele Afroamerikaner, Junge und Latinos mobilisierte. Trumps Sieg macht sichtbar, wie viele Amerikaner sich von der dominierenden Klasse vernachlässigt, umgangen und lächerlich gemacht fühlen. Von denen, die in den Medien die Interpretationshoheit besitzen darüber, was gut und richtig ist.

Trumps Sieg hat die vielen, vielen Menschen sichtbar gemacht, die von der tonangebenden liberalen und rechten Elite unsichtbar gemacht worden waren. Beide haben verloren. Das sollte uns zu denken geben: Massen, die dem angehören, was wir einmal Arbeiterklasse und untere Mittelschicht nannten, wurden nicht gehört. Ihre Stimmen zählten nicht. Ausgerechnet ein politisch unkorrekter, korrupter Milliardär hat ihnen nun eine Stimme gegeben.

Saskia Sassen, 69, ist Professorin für Soziologie an der Columbia University.

Unberechenbar, von David C. Unger

Donald Trumps Sieg hat die meisten politischen Analysten geschockt. Hätte er aber nicht sollen. Seit Beginn der Vorwahlen war klar, dass die Wähler das Gewohnte und den Status quo zurückweisen. Hillary Clinton hat ihre Kampagne darauf aufgebaut, dass sie nicht Trump ist. Das war nicht genug. Sie ist eine zu vertraute Figur. Sexismus hat ihre Kampagne beschädigt. Die Untersuchungen des FBI haben ihre Kampagne beschädigt. Und dann kamen noch acht Jahre stagnierende Einkommen und prekäre Arbeitsverhältnisse dazu. Die knappen Ergebnisse legen nahe, dass ein anderer Demokrat gewonnen hätte. Und sie zeigen, dass Amerika sich in zwei Nationen teilt, die einander nicht zu kennen und zu verstehen scheinen.

Trump hat die Stimmen zig Millionen einfacher Amerikaner gewonnen, die fast unsichtbar sind für alle, die in den Glastürmen von New York, San Francisco und Seattle leben und arbeiten. Er hat sich als Verfechter für alle beworben, die sich vor dem kulturellen, demografischen und internationalen Wandel fürchten. Wie Ronald Reagan hat er versprochen, eine glorreiche Vergangenheit wiederauferstehen zu lassen, die es für die meisten nie gegeben hat. Und diese Versprechen haben die andere Hälfte Amerikas verständlicherweise in Zukunftsangst versetzt. Trump ist der radikalste und unberechenbarste Präsident, der in meiner Lebenszeit gewählt wurde.

Die internationalen Konsequenzen aus dieser Wahl lassen sich noch gar nicht übersehen. Die Ansichten von Trumps Beratern sind den Experten für US-Außenpolitik kaum bekannt. Trump ist kein Isolationist. Er ist ein Nationalist und setzt auf Alleingänge. Bündnisse wie die Nato und Handelsverträge wie TTIP, TPP and Nafta hält er für eine Last. Er ist kein Neoliberaler, Neokonservativer oder Steinzeit-Konservativer. Er neigt vielleicht weniger offen zu militärischen Interventionen als Clinton - aber sicher können wir uns dessen nicht sein. Er scheint ein wenig naiv Putin gegenüber zu sein, aber es könnte vielleicht nicht schaden, wenn die konfrontative Rhetorik zwischen Washington und Moskau ein wenig gedämpft wird. Trump scheint China in Wirtschaftsfragen konfrontativ angehen zu wollen, aber nicht militärisch. Wegen Trumps Skepsis gegenüber Bündnissen könnten Deutschland zusätzliche Führungsaufgaben zufallen.

Ich gratuliere dem gewählten Präsidenten und hoffe, nach diesem wütenden und verletzenden Wahlkampf können Amerikaner aller politischen Lager die Kraft und die Weisheit finden, unsere Wunden zu heilen und den Herausforderungen, die vor uns liegen, gegenüberzutreten.

David Unger, 69, lehrt an der School of Advanced International Studies der Johns Hopkins University in Bologna, Italien.

Putins Agent? Von Greil Marcus

Falls er gewählt würde, so hat Trump gesagt, würde er sich noch vor der Vereidigung mit Russlands Präsident Putin treffen. Rechtlich gibt es dafür keine Grundlage: Im Namen der USA mit Russland zu verhandeln wäre Verrat. Und warum die Eile? Für Trump gibt es keinen Unterschied zwischen seinen privaten Interessen und dem Allgemeinwohl. Allgemeinwohl hat für ihn keine Bedeutung. Nehmen wir deshalb nun einmal an, Trump hätte Schulden in Höhe von vielleicht mehr als einer Milliarde bei russischen Finanzinstitutionen. Bei solchen Summen kommt in Russland, wie man weiß, schnell der Staat ins Spiel. Nehmen wir ferner an, Trump wollte diese Schulden loswerden, ehe er sein Amt antritt. Und dass er Putin dafür freie Hand in den russischen Nachbarstaaten anböte. Dann wäre Putin Trumps Erpresser, aber den Preis müssten die USA zahlen, nicht Trump.

Die Vereinigten Staaten haben einen weißen Suprematisten gewählt, einen Antisemiten und einen Mann, für den Frauen Waren sind, die man kauft und verkauft. Es könnte sein, dass sie - wie in einem Roman - auch einen Agenten Russlands gewählt haben.

Greil Marcus, 71, ist Kulturkritiker.

Raubtiere, von Lauren Groff

Das Amerika, das Donald Trump in der widerlichen Horrorshow der vergangenen Nacht gewählt hat, ist nicht mein Amerika, nicht das Amerika der rücksichtsvollen, herzlichen, höflichen, intelligenten, liebevollen Menschen, die Trump und alles, wofür er steht, ablehnen. Es ist nicht das Amerika, das in unseren Köpfen als ein Ort der Sicherheit und des Friedens leuchtet.

Dass mehr als die Hälfte Amerikas so voller Hass und Verzweiflung ist, kann einen überwältigen. Doch unsere Hälfte ist nun voller rechtschaffener Wut. Wir weisen Trumps Bigotterie, seine weiße Überlegenheit und Frauenfeindlichkeit zurück. Wir werden für die Rechte eines jeden in Amerika kämpfen, damit alle hier glücklich leben können und einander mit Respekt behandeln werden. Wir werden für die Welt kämpfen, um die Raubtiere zurückzudrängen bei ihrem Versuch, so viel Geld wie möglich aus der Umwelt herauszupressen und in ihre Taschen zu füllen.

Ich verspreche, dass ich meinen Beitrag leisten werde, um dieses Land und die Welt zu schützen. Für das Wohl meiner kleinen Jungen, die oben schlafen, in glückseliger Ahnungslosigkeit, was gerade über sie hereingebrochen ist. Wir alle sollten uns fürchten vor Donald Trump. Aber wenn es darum geht, auf eine solche Katastrophe zu reagieren, bleibt nur die Wahl zwischen Kampf und Flucht. Wir werden kämpfen.

Lauren Groff, 38, ist Schriftstellerin.

König Lear, von Stephen Greenblatt

Ich lebe in Massachusetts, dem Staat, in dem Hillary Clinton wohl die größte Mehrheit im ganzen Land errungen hat. Ich lebe, atme in einer Welt aus gebildeten, wohlhabenden, progressiven Menschen, genau jener Klasse also, die den Sirenengesängen des Rassismus und des Ressentiments am ehesten widersteht. Meine Nachrichten beziehe ich aus der New York Times, der Washington Post, dem Guardian, und Vice News, und dann mache ich noch gelegentliche Ausflüge in die SZ, die FAZ, Haaretz, Le Monde und La Repubblica.

Ich lebe also in einer Blase, fast vollständig abgeschottet von den Emotionen der amerikanischen Wähler - nicht der Mehrheit, muss man feststellen, aber etwa der Hälfte -, die einen ignoranten, pöbelnden, lauten, demagogischen Immobilen-Investor und TV-Moderator als ihren Anführer wollten. In seinem Elend und seiner Verzweiflung lamentiert Shakespeares König Lear, als er begreift, dass er jeden Bezug zu seinem Volk verloren hat: "O daran dachte ich zu wenig sonst!" Heute morgen fühle ich ganz ähnlich; der Vorwurf richtet sich nicht gegen meine tragisch irregeleiteten Landsleute, sondern gegen mich selbst.

Stephen Greenblatt, 74, ist Literaturwissenschaftler und lehrt in Harvard.

Der große Bluff, von Nicholson Baker

Tut mir leid, ich weiß nicht, was ich schreiben soll. Ein reicher, grinsender, höhnischer Hooligan hat sich zum Sieg geblufft, in dem er 17 verschiedene Arten von Ressentiment und Hässlichkeit im Amerika der Truckstops geweckt hat. Bernie Sanders hätte ihn schlagen können, Bernie war ein Vereiniger, kein Spalter, aber die Demokratische Partei hat ihn alleingelassen und an den Rand gedrängt. Und jetzt müssen wir versuchen, den Schaden so klein wie möglich zu halten.

Nicholson Baker, 59, ist Schriftsteller.

Leeres Gefäß, von Aleksandar Hemon

Mann kann die Dimensionen dieser Katastrophe gar nicht überschätzen. Seit dem Aufstieg des europäischen Faschismus in den Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts ist nichts Vergleichbares passiert. Donald Trump ist nicht nur ein Rassist und Psychopath, Rassismus und Psychopathentum war sein Wahlprogramm. Das hat ihm nicht geschadet, sondern nur genützt. Was ihn zum Sieg getragen hat, ist der Eindruck in der weißen Bevölkerung, diese Wahl sei die letzte Chance, ihre historisch privilegierte Mehrheitsposition zurückzuerobern.

Trump selbst ist leer. Er ist das Gefäß für die Wut dieser Gruppe, die den weißen Nationalismus zum wichtigsten Punkt auf der politischen Tagesordnung der Republikaner gemacht hat. Jetzt hat aggressiver Rassismus ein Mandat, während weiße nationalistische Strukturen die Kontrolle über alle staatlichen Gewalten haben: das Weiße Haus, den Kongress und bald auch den Supreme Court. Trumps Macht wird riesig sein. Um die Kontrolle zu behalten, werden die Republikaner das System der weißen Vorherrschaft ausbauen und erhalten müssen. Dafür ist es nützlich, innere und äußere Feinde zu erfinden: Das bedeutet Krieg und Gewalt. Die Wahl von Trump bedeutet das Ende von Amerika als liberaler Demokratie, vielleicht das Ende von Amerika selbst. Es ist kein ernst zunehmendes Land mehr.

Aleksandar Hemon, 52, ist Schriftsteller, stammt aus Bosnien und lebt seit 1992 in den USA.

Wir Insulaner, von Katherine Fleming

Für eine isolierte New Yorkerin wie mich waren die ersten Anzeichen positiv. Ich war um halb sechs Uhr morgens aufgestanden und war trotzdem nicht die Erste in der Schlange vor meinem Wahllokal, einer Grundschule in der 11. Straße. Als es um sechs Uhr öffnete, wand sich die Schlange bereits um den Block. Wir waren zahlreich erschienen, um die erste Präsidentin in der Geschichte der USA zu wählen. Die Stimmung war überwiegend festlich. Ein Paar vor mir scherzte: "Wohin ziehen Sie denn, wenn er gewinnt?" Der Mann hinter mir entgegnete: "Keine Sorge, wird er nicht." Die meisten New Yorker haben noch nie in ihrem Leben ein Schild mit dem Namen von Donald Trump und seinem künftigen Vizepräsidenten Mike Pence gesehen - und ganz sicher keines, das nicht ironisch hochgehalten wurde. Alle trugen am Wahltag stolz ihren "Ich habe gewählt"-Aufkleber, der landesweit an den Wahllokalen ausgegeben wurde. Hier in New York bedeutete das so viel wie: "Ich habe Clinton gewählt."

Oh, wie naiv und dumm und isoliert wir New Yorker sind! Auf unserer kleinen Insel Manhattan an der Ostküste des Kontinents erschien es buchstäblich irreal, dass Trump gewonnen hat, und dann auch noch mit einem so guten Ergebnis. Natürlich verrät es viel über uns selbst, über die sogenannte liberale Ostküsten-Elite, die wir Hillarys Namen im Munde führen, als hätten wir gestern mit ihr zu Abend gegessen, was in manchen Fällen ja auch zutraf. Es zeigt uns, wie überaus irrelevant wir sind, und dass sich hunderttausend ernste Worte in der New York Times zu null addieren lassen. All die ungeheuer beruhigenden Umfragen, die nüchternen Analysen und Podien - am Ende war alles, wie Shakespeare es nannte, ein Märchen "voll Wortschwall und bedeutet nichts". Meine Hochschule hatte zu einer großen Wahlparty eingeladen, aber als Florida um 20 Uhr wankte, drehte sich die Stimmung. Mein Hemd, das die stolzen Worte schmückten "Die Zukunft ist weiblich", fühlte sich an, als fehle ein Fragezeichen. Nicht nur hinter dem Wort "weiblich", sondern vielleicht auch hinter dem Wort "Zukunft".

Katherine Fleming, 49, ist Historikerin und Direktorin des Remarque-Instituts an der New York University.

Ausgeknockt, von Willy Vlautin

Ich fühle mich, als wäre mir gerade in den Magen geschlagen worden.

Ich habe niemals - nicht für einen Moment - gedacht, dass er gewinnen könnte.

Jetzt bin ich einfach nur am Boden zerstört.

Willy Vlautin, geboren 1967, ist Schriftsteller und Songwriter der Band Richmond Fontaine.

Wahre Verbrechen, von Ottessa Moshfegh

Ich zappte in der Nacht in meinem Hotelzimmer an der Upper West Side von Manhattan immer wieder zu der Wahlberichterstattung auf CNN. Ich saß auf einem schönen Bett, aß schlechtes chinesisches Essen und dachte darüber nach, worüber ich am nächsten Tag vor den Studenten des Creative Writing Program an der Columbia University in meinem Vortrag sprechen würde. Der Titel meiner Vorlesung ist "Die Kunst der Unterhaltung?". Hauptsächlich habe ich aber eine Folge nach der anderen von "Forensic Files" angesehen, eine billige, 30 Minuten lange True-Crime-Doku-Serie: kaum Budget, ein raunender Erzähler, Interviews und nachgestellte Mordszenen. Es gibt immer einen Täter, ein Opfer und eine Erklärung des wie, wo, was, warum, wann. Es wird nicht über Grundprinzip des Beweisens von Schuld nachgedacht. Schuld ist offensichtlich Beweis genug. "Es ist unbestr eitbar."

Manche Leute sind gut und beliebt. Manche Leute sind verrückt und böse und niemand mag sie und sie töten die guten Leute und darin liegt unsere Wut und unsere Faszination für das Böse. Das Böse ist sehr unterhaltsam. Ohne es gäbe es nichts im Fernsehen. Was ist sein Geheimnis? Ich habe diese Wahl als jemand erlebt, der über Trump lacht und von Clinton verwirrt ist. Ich habe Sympathien für beide Seiten. Als Außenstehende erscheint es mir, als würde die Beweise am Tatort darauf hinweisen, dass unsere Regierung um ein fehlerhaftes und veraltetes Paradigma herum aufgebaut ist. Aber wir sind mit der Überzeugung vermählt, dass unsere Traditionen heilig sind. Was haben wir solche Angst zu verlieren? Ich frage mich, ob meine Landsleute sagen würde, ich sei ein schlechter Amerikaner. Vielleicht bin ich einer von diesen verrückten Mördern. Ich bin nicht sicher, ob es mir hier in den USA für den Rest meines Lebens erlaubt sein wird, frei zu schreiben. Ich bin zynisch und misstrauisch und die Geschichte scheint sich bis zum Erbrechen zu wiederholen. Aber hier bin ich und ich will auch nicht weg. Ich liebe diesen Ort leidenschaftlich, denn hier habe ich mir ein Leben aufgebaut. Und ich liebe mein Leben. Demokratie ist eine wunderschöne Illusion. Ich habe nicht gewählt.

Ottessa Moshfegh, 35, ist Schriftstellerin.

Wege gegen den Hass, von Robert Wilson

Ich bin schockiert. Fassunglos. Und besorgt angesichts der drohenden Katastrophe. Die Vereinigten Staaten sind eine konservative Nation und offensichtlich war es zu viel für die Bürger, dass auf einen schwarzen Präsidenten nun noch eine weiße Präsidentin folgen könnte. Aber es ist mir unbegreiflich, wie wir einen Präsidenten wählen konnten, der vom Ku Klux Klan unterstützt wird, der Frauen verachtet, der homophob ist und gegen jede Minderheit, ob von anderer Hautfarbe, Einwanderer, behindert oder Muslim, hetzt und Hass nicht nur ermutigt, sondern ihn auch wuchern lässt. Seine Wahl gibt ihm die Möglichkeit, im Sinne dieses Hasses zu handeln. Wir müssen Wege finden, ihm zu widerstehen, zu protestieren und 2018 und 2020 wählen zu gehen. Wir müssen die Wehrlosen sorgsam beschützen. Es wird ein harter Kampf, aber als US-Bürger müssen wir versuchen, die Gräben zwischen uns nicht einreißen zu lassen, sondern zu überwinden.

In ihrem Tagebuch hat Anne Frank einst geschrieben: "Trotz allem glaube ich immer noch, dass die Menschen im Grunde ihres Herzens gut sind."

Es bleibt viel zu tun.

Robert Wilson, 75, ist Theaterregisseur.

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