US-Präsident:Wie Trump in seiner Rede das Volk definiert

Donald Trumps Antrittsrede zeigt, dass er weiterhin ein Präsident der Spaltung sein wird. Und sie zeigt, wie er mit Sprache umgeht: meisterlich manipulativ.

Von Jakob Biazza

Es muss mit einem Tweet beginnen. Schließlich geht es um Donald Trump, den Menschen, den Politiker, der wie kaum jemand vor ihm auf und durch Twitter wirkt. Der sich rühmt - Bing, Bing, Bing - den Lauf der Welt mit 140 Zeichen beeinflussen zu können.

Der Politiker Donald Trump - vielleicht auch der Mensch Donald Trump, die Grenzen sind da ja sehr fließend - hat also zwei Tage vor seiner Amtseinführung, seiner #Inauguration, ein Bild getwittert. Der damals noch designierte 45. Präsident sitzt da vor einer sehr pompös gefließten Wand an einem dunklen Holztisch, zu seiner Linken ein prächtiger Adler, vor ihm ein DinA4-Block, und schaut mit leicht zusammengekniffenen Augen am Betrachter vorbei. Vielleicht in eine weit vor ihm liegende Zukunft. Vielleicht auch nur gedankenverloren in die Ferne. Ein Blick verrät so etwas ja nicht.

Der Tweet verrät aber laut Trump, dass das Bild ihn zeige, wie er vor drei Wochen im "Winter White House, Mar-a-Lago" an seiner Antrittsrede schreibt. Und das ist nun interessant, weil der Ort, an dem ein Mensch die wohl vorerst wichtigste Rede seines Lebens schreibt, ja etwas aussagt darüber, um was für einen Menschen es sich handelt. Und um was für eine Art von Rede.

Bei diesem Mar-a-Lago handelt es sich immerhin um ein herrschaftliches Domizil in Palm Beach, Florida. 10 000 Quadratmeter Grundfläche, entworfen vom Architekten Joseph Urban und 1980 vom US-Innenministerium zum "National Historic Landmark" ernannt. Donald Trump hat das Anwesen 1985 gekauft. Für fünf Millionen Dollar. Und damit weit, weit unter Marktwert. Zuvor hatte er über Strohmänner die Strandgrundstücke in der Reihe vor dem Grundstück erworben und den Preis mit der Drohung gedrückt, den Meerblick mit einem Betonbunker zu verbauen. Klar: Wer Visionen entwickeln will, braucht dafür einen freien Blick. Da trifft sich das alles gut.

Trumps Rede zeigt gewaltige Verachtung für das Establishment

Was schreibt ein Mann also für eine Rede, wenn er in einer solchen Winterresidenz sitzt und in eine unverbaute Ferne blickt? Bei seiner Amtseinführung als 45. US-Präsident am Freitag konnte die ganze Welt das Ergebnis betrachten.

Trump schreibt zunächst dies: "Wir werden auf Herausforderungen stoßen, wir werden uns mit Mühen konfrontiert sehen, aber wir werden den Job erledigen." Und dann schreibt er: "Allzu lang hat eine kleine Gruppe in unserer Hauptstadt den Lohn geerntet, während das Volk die Kosten tragen musste. (...) Die Politiker wurden reich, aber die Jobs gingen verloren und die Fabriken schlossen. (...) Und während sie in unserer Hauptstadt gefeiert haben, gab es für die leidenden Familien im ganzen Land wenig zu feiern." (die Rede im Wortlaut hier).

Das zeigt einerseits eine weiterhin gewaltige Verachtung für all das, was Trump schon im Wahlkampf als "das Establishment" geschmäht hat - die Politikzirkel in Washington im weitesten Sinne. Und es ist ein sehr klares Signal dafür, wie Trump sein Amt, wie er die Präsidentschaft, wie er von nun an Politik überhaupt sieht: als (Geschäfts)Projekt nämlich. Als ökonomischen Kampf um Einfluss und Ressourcen. Regieren als Job. Nicht auszuführen von Politikern und Eliten, sondern von Geschäftsmännern. Leadership als Unternehmensführung. Job done!

Es zeigt aber auch und vor allem, wie brillant der neue Präsident es versteht, mit Sprache umzugehen. Wie er es schafft, mit wenigen Sätzen ein gewaltiges Gefühl in den Raum zu stellen, stärker als jedes Argument, das auf Fakten basiert.

Es war schon immer zu leicht, sich über Trumps Rhetorik lustig zu machen

Die Stilmittel, die er dafür nutzt, sind dieselben, die schon den Wahlkämpfer Trump ausgemacht haben - was auch eine Absage an all jene ist, die gehofft oder gar geglaubt hatten, mit dem Amt käme auch ein präsidialerer Ton: eine beinahe brachial simple Sprache. Reine, greifbare Emotion. Und Schlag- und Reizwörter, die an Stellen stehen, an denen sie nach syntaktischen Gewohnheiten nichts verloren haben (meistens am Ende).

Es war schon immer allzu leicht, sich über diese Art von Rhetorik halb herablassend, halb besorgt lustig zu machen. Die Carnegie Mellon University in Pittsburgh, Pennsylvania, hat die Wahlreden des Präsidentschaftswahlkampfs 2016 analysiert. Ihr Ergebnis: Trumps grammatikalisches Niveau liegt unter dem eines Sechstklässlers. Nur das von George W. Bush war noch niedriger (der Schnitt liegt immerhin bei Achtklässlern). Viele Kommentatoren warfen ihm inhaltsleere Worte und Satzhülsen vor.

Aber wie fast immer, wenn etwas allzu leicht erscheint, ist es eigentlich komplizierter. Denn so tumb und brachial Trump vermeintlich redete (und offenbar weiterhin redet), war er schon immer meisterhaft in dem, was sich politisches oder moralisches "Framing" nennt.

"Frames" sind Interpretationsmuster, gedankliche Deutungsrahmen, die Schlussfolgerungen über eine Sache oder Situation mit sich bringen: Wer das Wort "Telefon" hört, assoziiert damit Klingeln, Wählen, Reden. Beim Wort "Chili" können wir uns vorstellen, wie es auf der Zunge brennt. Und wenn einer von "Flüchtlingsströmen" redet, beschwört er damit eine Naturkatastrophe. Also eine Gefahr .

Trumps Zivilreligion ist die Ökonomie

Trump nutzt diesen Mechanismus, wenn er von "feiernden Politikern" und "leidenden Familien" spricht. Und noch mehr im weiteren Verlauf seiner Rede, in der er immer wieder tiefe Gräben zwischen der Realität und dem Anspruch des Volkes aufmacht: Die Amerikaner wollen "großartige Schulen für ihre Kinder", sie wollen "sichere Nachbarschaften für ihre Familien" und "gute Jobs für sich selbst". Alles "völlig legitime Anliegen rechtschaffener Bürger" ("reasonable demands of righteous people").

Für die meisten Bürger sähe die Realität aber anders aus: "Frauen und Kinder, die in Armut gefangen sind, durch und durch verrostete Fabriken". Dazu "all das Verbrechen und die Gangs und die Drogen, die so viele Leben gestohlen haben".

Großartige Schulen, Sicherheit und die Wünsche rechtschaffener Bürger auf der einen Seite also. Und auf der anderen: Rost, Drogen, gefangene Frauen und Kinder und gestohlene Leben. Alles beinahe mit bloßen Händen greifbare Bilder. Alles sehr konkrete Bedrohungsszenarien. Man sieht die Bausubstanz bröckeln. Man hört, wie die Knarren der Gangs auf Unschuldige feuern.

Als Barack Obama 2009 an selber Stelle stand, stellte er fest: "Heute sage ich Ihnen, dass die Herausforderungen echt sind. Sie sind ernst, und es gibt viele davon. Sie werden nicht leicht oder in kurzer Zeit zu bewältigen sein. Aber, Amerika, du musst wissen: Sie werden bewältigt. An diesem Tag sind wir zusammengekommen, weil wir die Hoffnung über die Furcht gestellt haben, die gemeinsame Willenskraft über Streit und Zwietracht."

Eine Referenz an Franklin D. Roosevelts Ausspruch: "Das Einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Furcht selbst." Aber was kann diese Referenz schon gegen die Gefühlsgewalt verrottender Industrien und drogensüchtiger Gangs ausrichten? Gegen all die Angst und die Bedrohungen, die Trump anruft? Beim Schreiben von Reportagen gibt es ein eisernes Prinzip: "Show, don't tell". Behaupte nicht, dass etwas da ist. Zeige es den Leuten. Lass es sie erfahren. Trump wäre, das zeigt seine Rede, vermutlich ein großartiger Reportagen-Schreiber.

Er dürfte aber, auch das zeigt seine Rede, ein weiterhin tief spaltender Präsident sein. Einer, der Protektionismus und Abschottung lebt ("Protektionismus wird zu Wohlstand und Stärke führen."). Einer, der Menschen an ihrem Grad an Patriotismus misst ("Wenn du dein Herz dem Patriotismus öffnest, gibt es keinerlei Raum für Vorurteile.") Der Politik als Kampf und ökonomischen Wettstreit begreift ("Amerika wird wieder gewinnen, und zwar so wie nie zuvor.").

Vor allem wird er aber ein Präsident sein, der keine Versöhnung mit all jenen sucht, die ihn fürchten, die er in seinem Wahlkampf verletzt und verhöhnt hat: Latinos, Schwarze, Homosexuelle und viele Frauen plagen sich mit düsteren Visionen, wenn sie auf die Amtszeit des Immobilien-Milliardärs blicken. Er erwähnt diese Sorgen mit keiner Silbe. Stattdessen sucht er das Heil der Nation nicht in ihrer emotionalen, sondern in ihrer ökonomischen und nationalen Einheit: "Wir werden unsere Jobs zurückbringen. Wir werden unsere Grenzen wieder zurückbringen. Wir werden unseren Reichtum zurückbringen. Und wir werden unsere Träume zurückbringen." Jobs, Grenzen, Reichtum. Das sind die Träume Donald Trumps.

Es gibt eine Tradition in den Antrittsreden der amerikanischen Präsidenten. Sie alle haben auf die ein oder andere Art rhetorisch das beschworen, was der Soziologe Robert N. Bellah 1967 mal eine Zivilreligion ("civil religion") genannt hat. Einige, etwa George Washington, riefen tatsächlich Gott an, um das Volk zu einen. George W. Bush betonte, besonders nach den Anschlägen des 11. September, das Motiv einer internationalen Mission: Amerika sollte das Feuer der Freiheit auch im dunkelsten Winkel der Welt zum Leuchten bringen. Für Obama bestand die Zivilreligion eher in einem transnationalen Humanismus.

Trumps Zivilreligion ist die Ökonomie. Auch die hat etwas Einendes. Für jene, die im Kapitalismus funktionieren. Über die Befindlichkeiten von Randgruppen, von Minderheiten sagt das nichts aus.

Er wolle, das sagt Trumps Rede im Subtext fast jedes noch so kurzen Satzes, ein Präsident für das Volk sein. Für dieses - und nicht für das Establishment - will er "bis zum letzten Atemzug kämpfen". Das klingt integrativ. Es klingt nach Inklusion. Es hat aber einen nicht nur rhetorischen Haken: Wer zu diesem Volk nämlich gehört, auch daran lässt seine Rede keine Zweifel, bestimmt immer noch nur einer: Donald Trump. Er bestimmt es bis hierhin nur mit Worten. Aber wer diesen Worten zuhört, kann nicht mehr glauben, dass seine Taten anders aussehen werden.

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