US-Politik:"Ich flehe euch an"

Der US amerikanische Senator Bernie Sanders hat an der Freien Universität FU Berlin eine Rede über

Das Radikale an ihm ist, dass er seine Ansichten nicht für radikal hält, sondernnur für vernünftig: Bernie Sanders an der Freien Universität Berlin.

(Foto: Klaus Martin Höfer/imago)

Der amerikanische Sozialist Bernie Sanders, 75, stellt in Berlin sein Buch und seine linke Botschaft vor. Und die Studenten feiern ihn begeistert.

Von Matthias Kolb

Bernie Sanders ist rastlos. Vor der Präsidentschaftswahl hatte er unermüdlich für die Demokratin Hillary Clinton geworben, seit Mitte November tourt er kreuz und quer durch die USA, um vor den Folgen der Politik Donald Trumps zu warnen. Kein anderer Politiker wird in der "Trump Resistance", der bunten und vielfältigen Widerstandsbewegung gegen den neuen Präsidenten, mehr verehrt. Niemand kämpft ausdauernder für soziale Gerechtigkeit. Andere Herzensthemen sind Umweltschutz und Klimawandel.

Der Zufall will es, dass Sanders in Berlin ist, als der Republikaner Trump seine Entscheidung über den Verbleib im Pariser Klimaabkommen treffen will. Zur Präsentation seines Buches "Unsere Revolution" (Ullstein-Verlag, 24 Euro) hält Sanders am Mittwochabend eine Rede an der Freien Universität und übermittelt eine klare Botschaft: "In den USA gibt es Millionen wundervolle Menschen, die sich täglich einsetzen für Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit. Trump steht nicht für die Werte, an die die Mehrheit der Amerikaner glaubt." Das Publikum applaudiert hingerissen. Die 1200 Tickets für das Audimax waren nach zwei Stunden vergriffen. Die Studenten bejubeln Sanders wie einen Popstar.

Zu Beginn des Wahlkampfs, so erzählt Sanders, habe er den Begriff der Millennials nicht gekannt - also jener Generation der unter 35-Jährigen, die ihn, Sanders, Mitte siebzig, Senator aus Vermont, zum Helden erkoren hat und in sozialen Netzwerken unter dem Hashtag #FeeltheBern feiert. Seine Botschaft kommt über Generationen hinweg an. Sanders ist heute der beliebteste amerikanische Politiker. 57 Prozent denken positiv über ihn. Solche Werte erreichen jenseits des Atlantiks sonst nur First Ladys, aber kein aktiver Politiker, der sich auch noch als "demokratischer Sozialist" bezeichnet.

Mehr als zwei Wochen Urlaub, Mutterschutz, bezahlte Krankheitstage, kostenloses Studium an öffentlichen Hochschulen: Vieles von dem, wofür Sanders wirbt, ist in Westeuropa längst Standard, und deshalb sagt er: "Die USA sollten von Deutschland lernen." Er fuchtelt mit dem Zeigefinger in der Luft, wird laut. Die Empörung lässt ihm keine Ruhe.

Sanders zieht mit einer simplen Frage durch Amerika: Warum sind wir als reichstes Land der Welt nicht in der Lage, unseren Bürgern die gleichen Rechte zu geben wie anderswo? Seine Radikalität besteht darin, dass er sich weigert, seine Vorschläge als radikal zu betrachten. Er hält sie für schlicht vernünftig.

Oft wird er belächelt, wenn er von "politischer Revolution" spricht. Doch damit meint er den Versuch, Politik für junge Menschen, Ärmere, Schwarze und Latinos wieder interessant zu machen. Der idealistische Ansatz kommt in Berlin an. Groß ist der Applaus, als Sanders dazu aufruft, gegen die "Gier der Milliardäre" einzutreten, und demokratisches Engagement fordert: "Ignoriert nicht, was in der Welt passiert. Zieht euch nicht ins Private zurück, ich flehe euch an." In Amerika sage man, "democracy is no spectator sport", so Sanders: In einer Demokratie dürfe man nicht nur zuschauen und meckern.

Geht es aber um seine Themen, dann ist Sanders bereit, zu meckern und anzugreifen. Am Morgen nach der FU-Rede ist er noch verschlafen, schließlich ist es an der Ostküste vier Uhr morgens. Doch mit jeder Minute wird er wacher. Er warnt davor, dass Trump die Demokratie durch seine Attacken auf Richter und Journalisten untergräbt. Der Präsident ziele auch auf die Arbeiterklasse: "Sein Ansatz ist der Gegensatz von Robin Hood: Er nimmt den Armen etwas weg und gibt es den Reichen."

Bevor Sanders Senator wurde, war er Abgeordneter und Bürgermeister in Burlington, Vermont. Gewählt wurde er stets als Unabhängiger. Entsprechend hart fällt im Interview sein Urteil über die Demokraten aus: "Die Partei muss sich entscheiden: Will sie weiter abhängig sein von Wall-Street-Banken, Corporate America und reichen Einzelspendern oder wirklich für die Bedürfnisse der Arbeiter kämpfen? Dann muss sie diesen Gruppen die Stirn bieten." Sein Modell: Er nahm kein Geld von Konzernen und dubiosen Wahlvereinen an, sondern sammelte von 2,5 Millionen Unterstützern Kleinspenden. Im Schnitt waren das nur 27 Dollar, aber es reichte, um Hillary Clinton gefährlich nahe zu kommen.

In seinem Buch berichtet er über sein Leben: Aufgewachsen in Brooklyn als Kind polnischer Juden, in der Schule Langstreckenläufer, seit dem Studium in Chicago überzeugter Sozialist. Viel mehr Platz widmet Sanders den "oligarchischen Zuständen in den USA", also dem enormen Einfluss weniger Milliardäre auf Wirtschaft und Politiker. Illustriert mit vielen Grafiken und Schaubildern seziert Sanders, was falsch läuft in den Vereinigten Staaten. Er nennt Konzerne, die mit teuren Anwälten ihre Steuerlast auf ein Minimum drücken, und skizziert, wie "Koch-Brüder aus jener rechtsextremen Unternehmerfamilie" strengere Umweltauflagen torpedieren.

Er muss pünktlich zum Flughafen. Der Billigflieger wird nicht auf ihn warten

Im Kapitel "Die Medienkonzerne und die Bedrohung unserer Demokratie" beschreibt er, dass sechs Großunternehmen 90 Prozent dessen kontrollieren, was Amerikaner "sehen, hören und lesen". Viele US-Bürger dürften nicht wissen, dass Disney den TV-Sender ABC besitzt oder hinter CNN und Fox News Firmen mit Multimilliardenumsätzen stehen, für die politische Bildung nicht das Wichtigste ist. Dass 43 Millionen Amerikaner in Armut leben, erfuhr der TV-Zuschauer erst, als Sanders in Dutzenden Interviews darüber sprach und sogar Fox News dieses Thema aufzwang.

"Unsere Revolution" ist kein reines Lesevergnügen, aber die 464 Seiten machen klar, wieso Millionen Amerikaner seit Jahren wütend sind und die Wahl 2016 von einem Anti-Establishment-Gefühl durchzogen war. So unterschiedlich ihre Visionen und Lösungen sind, so wenig ist der Zuspruch für Sanders im linken Spektrum und Trump auf der rechten Seite ein Zufall.

Deutschland ist für Sanders nur ein Zwischenstopp. In Großbritannien absolviert er mehrere Auftritte, unter anderem vor 5000 Zuhörern in London-Brixton. Einige Organisatoren seines Wahlkampf-Teams mobilisieren seit Wochen junge Briten für die Labour-Partei. Deren Spitzenkandidat Jeremy Corbyn hofft auf eine offizielle Wahlempfehlung. Ob ein Treffen der beiden Altlinken stattfindet, wisse er noch nicht, sagt Sanders. Dann muss er zum Flughafen. Er fliegt mit Easyjet nach London, und Billigflieger warten nicht auf die Hoffnungsträger der Millennials.

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