US-Komikerin Amy Schumer:Superheldin des Geschlechterkampfes

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Sie ist gnadenlos - und wird dafür bewundert. Jetzt hat die amerikanische Komikerin Amy Schumer einen Film gedreht. Eine Begegnung.

Von Annett Scheffel

Milk Milk Lemonade", singt sie und kräuselt dabei etwas zu verführerisch ihre Lippen - Mimik an der Grenze zwischen Medienrealität und Peinlichkeit. Dies ist sie, die groteske, scharfsinnige Comedy-Welt von Amy Schumer, der lustigsten Frau Amerikas. Milch und Limonade gehören zu einem Sketch, einem Hip-Hop-Videoclip mit viel Popowackeln. "Um die Ecke gibt es Buttertoffee", geht der Song zunächst harmlos weiter, ein amerikanischer Kinderreim. Aber Schumer hat ihr Thema längst am Wickel: die Fetischisierung des weiblichen Hinterteils in der Rap-Kultur. Und niemand kann heute solche Machofantasien überzeugender, drastischer und witziger entlarven als sie. Der Hintern wird bei Schumer wieder zu der Stelle, "wo die Kacka rauskommt". Toilettenhumor und Feminismus - bei ihr geht das zusammen.

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"Ich bin schon seit zehn Jahren der am schnellsten aufsteigende Comedy-Shootingstar."

Diesen und viele andere Sketche aus ihrer Comedy-Show "Inside Amy Schumer" finden sich auf Youtube. Gerade ist ihr erster Kinofilm, die Liebeskomödie "Dating Queen", angelaufen, für den sie nicht nur die Hauptrolle übernommen, sondern auch das Drehbuch geschrieben hat. Für sie hat Judd Apatow, Hollywoods wichtigster Comedy-Regisseur und -Produzent der letzten zehn Jahre, zum ersten Mal ein fremdes Drehbuch verfilmt.

Der von den Linken vergötterte Komiker Jon Stewart umwarb sie als Nachfolgerin für seine Satiresendung "The Daily Show". Und es vergeht kein Tag, ohne dass die Blondine mit dem Engelsgesicht und dem unverschämten Humor für Aufregung sorgt: Etwa wenn sie sich ironisch vor Kanye West und Kim Kardashian auf den roten Teppich wirft oder auf dem Cover eines Männermagazins in sexy Pose am Finger des Star-Wars-Roboters C-3PO saugt.

Angefangen hat sie 2003 mit Stand-up-Comedy in New Yorker Clubs. Heute ist sie 34 Jahre alt und sitzt im schicken, viel zu kühlen Konferenzraum eines Hotels in Berlin, während draußen auf dem Potsdamer Platz der Beton in der Hitze glüht. "Ich bin schon seit zehn Jahren der am schnellsten aufsteigende Comedy-Shootingstar", scherzt sie. Tatsächlich ist es für die studierte Schauspielerin ein langer Weg gewesen bis zu ihrem ersten Film: Über eine Talentshow führte er zu Nebenrollen und schließlich 2013 zu ihrer eigenen TV-Show beim Kanal Comedy Central.

Sie ist in Deutschland, um Interviews zum Kinostart von "Dating Queen" zu geben. Und so ganz wird man das Gefühl nicht los, dass sie, die sonst so böse, dreckige Witze reißt, auch über VIP-Rummel und falschen Glamour, ein wenig fehl am Platz ist in dieser klimatisierten Welt unter Presseleuten, unter dem Druck, einen 35-Millionen-Dollar-Film anzupreisen.

Wie viel von der echten Amy Schumer steckt in ihrer Bühnen- und Filmrolle?

Trotzdem lächelt Schumer, und es sieht tatsächlich ehrlich aus und nicht nur professionell. Dass Judd Apatow neben ihr Platz genommen hat, macht die Sache einfacher. Die beiden spielen sich Witze und Pointen zu. Wie viel von der echten Amy Schumer in ihrer Bühnen- und Filmrolle steckt - dieser smarten, leicht obszönen Single-Frau?

"Ich würde sagen, meine Comedy ist zu 34 Prozent autobiografisch", antwortet sie. Apatow fällt ihr ins Wort: "Sie denkt sich jedes Mal eine andere Zahl aus." - "Stimmt", gibt Schumer zu, "aber egal, wie viel nur wahr ist, ich kann mich in alles, was diese Charaktere machen, hineinfühlen. Das selbstzerstörerische Dating-Verhalten, der Alkohol und das Ringen um Selbstwertgefühl, das kenne ich von meinem früheren Ich aus Collegezeiten."

In "Dating Queen" spielt sie eine mehr oder weniger klassische New Yorker Single-Frau. Als Redakteurin eines Männermagazins trinkt und kifft sie viel, hat mit Zufallsbekanntschaften Sex und Angst vor Beziehungen. Der Film folgt den Regeln der romantischen Komödie, aber er greift sämtliche Geschlechterklischees mit spitzen Gags auf.

Apatow, in Hollywood bekannt für seine herzerwärmende, aber vulgäre Komödienschule, sagt, er habe den Film begonnen, wie er alles beginne: "Als Fan." Er habe Amy Schumer eines Tages im Radio gehört. "Sie war unglaublich witzig, persönlich und so frisch, und ich dachte: Das will ich unbedingt in einem Film sehen." Obwohl er seine ersten Erfolge mit männlichen Loser-Figuren feierte ("Jungfrau, 40, männlich, sucht"), ist der Regisseur spätestens seit "Brautalarm" als Spezialist für lustige Frauen bekannt.

Er hat immer nach der perfekten Stimmung zwischen menschelnd und saukomisch gesucht. Lachen können am Ende alle, Frauen und Männer. "Erzählen Sie das bitte den Leuten, damit sie der Filmtitel nicht davon abhält, ins Kino zu gehen!", sagt Amy Schumer. Sie spielt auf die deutsche Übersetzung des Originaltitels an. Der lautet "Trainwreck", so viel wie "Totalkatastrophe", und trifft Schumers Humor schon deshalb besser, weil sie stets vom Scheitern ausgeht.

"Oversharing" nennen die Amerikaner es heute, wenn jemand zu viel Intimes in der Öffentlichkeit ausbreitet. Am besten sieht man das in ihrer Fernsehshow. Sie berührt jene Themen, an die andere sich nicht herantrauen, wo es wehtut, wo es eklig und blamabel wird : Sexgeschichten, Alkoholprobleme, Rassismus, verquere Moralvorstellungen. Sie tippt im Katzen-T-Shirt Sex-Nachrichten ins Smartphone, stößt bei einem illustren Picknick mit Schauspielerin Julia Louis-Dreyfus auf ihren "Last Fuckable Day" an (den Tag des letztmöglichen Beischlafs) und fleht zu Gott, die Infektion nach dem letzten One-Night-Stand rückgängig zu machen.

Ihre Witze machen vor nichts halt - nicht einmal vor Vergewaltigung

Einer von AmySchumers ambitioniertesten Sketchen ist eine Parodie auf Sidney Lumets Film "Die zwölf Geschworenen". Bei Schumer wird der Schwarz-Weiß-Klassiker zu einer hitzigen Männerdiskussion über die Frage, ob sie sexy genug fürs Fernsehen sei. Sie macht Witze über Tampons, sogar - viel heikler - über Vergewaltigung.

"Im Grunde finde ich es bei den wirklich schlimmen und traurigen Dingen sogar am wichtigsten, dass man darüber lachen kann", sagt Amy Schumer. Sie meint das nicht nur als Komikerin, sondern als hochgradig politischer Mensch: als eine Frau, die etwas zu sagen hat und die weiß, dass es jetzt, wo die Menschen ihr zuhören, wichtiger ist denn je, dass sie das auch tut.

Dazu passt, dass es Schumer nicht bei einem Tweet beließ, als im Juli in Louisiana zwei Menschen bei einer Kinovorführung von "Dating Queen" von einem Amokläufer erschossen wurden. Stattdessen wurde sie keine zwei Wochen später zum Gesicht einer politischen Kampagne gegen Waffengewalt. "Es ist nicht so, dass ich keine Angst hätte, solche Themen anzusprechen", sagt sie, "aber es ist einfach zu wichtig, um die Klappe zu halten."

"Schumer ist das Mädchen mit den schnellen, gefährlichen Augen"

Im Grunde ist sie so etwas wie eine Superheldin des Geschlechterkampfes, oder besser: Sie ist die perfekte Durchschnittsfrau, deren übermenschliche Fähigkeit darin besteht, ihrem Publikum den verklemmten Umgang mit Sex und weiblichen Schönheitsidealen vorzuführen. Tilda Swinton, die in "Dating Queen" als Amys Chefredakteurin spielt, formulierte in einer Laudatio für das Time-Magazin, das Schumer in seine Liste der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten aufnahm: "Amy Schumer ist das Mädchen mit den schnellen, gefährlichen Augen, das du an deiner Fantasie-Schule kanntest. Als du dir gewünscht hast, die Lustigen wären auch nett, die Cleveren hätten echten Mut und der Anblick der Begehrenswerten wäre interessanter als der einer Actionfigur."

Hat Schumer wirklich eine feministische Agenda? "So ticke ich nun mal. Es geht mir gar nicht darum, zu schockieren, sondern darum, dass Frauen sich ein bisschen weniger schlecht fühlen mit ihren Ängsten. Trotzdem glaube ich, dass Feministinnen bei mir in guten Händen sind," sagt sie und lächelt ihr schelmisches Lächeln. Ernst meint sie das trotzdem. Und deshalb sind nicht nur Frauen, sondern alle gut bei Amy Schumer aufgehoben.

© SZ vom 14.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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